Süddeutsche Zeitung

Das Internetvideo der Woche:Diva im Pelz

Dramatische Wendung: Das Netz spielt mal wieder verrückt und macht einen theatralischen Präriehund zum Superstar - der unaufhaltsame Aufstieg eines Nagetiers in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Normalerweise leben Präriehunde, wie ihr Name verrät, in den staubigen Weiten Nordamerikas. Seit kurzem jedoch macht ein Exemplar der eng mit den Murmeltieren verwandten Art eine Traumkarriere im Netz. Und zwar mit einem einzigen tiefen Blick, der kaum einen menschlichen Zuschauer kalt lässt. Die Szene stammt aus einer japanischen Fernsehshow: In einem gläsernen Käfig wurde der Präriehund dem Publikum vorgeführt, und die Geste, die ihn berühmt machte, fiel nicht weiter auf.

Doch ein User erkannte das Präriehundpotential, schälte das Motiv heraus und unterlegte es im Clip "Dramatic Look" mit einem dramatischen Tusch. Nun wird deutlich, dass der Präriehund sich von den aufgeregten Teenagern rund um den Käfig so in die Enge gedrängt fühlt wie Bette Davis im Film "What Ever Happened to Baby Jane?" und sich mit einer pathetischen Wendung Respekt zu verschaffen sucht: Mit dieser Nummer machte er innerhalb eines Monats Weltkarriere.

Eine effektivere Kombination aus Einfachheit und markantem Ausdruck ist kaum denkbar: Der nur fünfsekündige Clip "Dramatic Look" ist ein visueller Kern, in dem große Bilderinnerungen enthalten sind. Deshalb kursieren neben dem reinen Blick zahlreiche Bearbeitungen im Netz, die die Kulturgeschichte nach dem Präriehundmuster neu sortieren und dramatische Blicke in allerlei Genres entdecken: User remixen den Präriehund mit Aufnahmen von Joan Crawford und anderen Hollywood-Diven; sie ziehen ihm eine Gangsta-Rapper-Kluft mit Bling-Bling an; unterlegen ihn mit der Musik von "Psycho" oder "Kill Bill" und färben ihn schwarzweiß ein. Sie stellen die Szene mit Puppen nach; lassen ihn Kaninchen-Pornos gucken; verpflanzen ihn in Fernsehserien wie "24" oder "Lost" und lassen Katzen aus Rachelust das Maschinengewehr rausholen, weil der Präriehund die Herzen des Publikums gestohlen habe.

Viele der Weiterschreibungen dieses Work in progress sind missraten, was wieder einmal zeigt, dass Schaffensdrang und Talent unabhängig voneinander auf die Menschen verteilt sind. Doch die Bearbeitungen des Motivs erheben auch keinerlei Anspruch darauf, als eigenständige Kunstwerke zu gelten - ein User rühmt sich, seinen Beitrag "in einer halben Stunde zusammengeschustert" zu haben. In dieser Teilhabe ist vielmehr die intensivste Form des Applauses zu sehen: der Konzertbesucher hat seine Hände zum Klatschen; der Computernutzer mittlerweile serienmäßig Bildbearbeitungsprogramme im Software-Paket, die benutzt werden wollen. Die große Geste des kleinen Tieres erinnert jeden Menschen an irgendeinen anderen Menschen oder an sich selbst und setzt kreative Kräfte frei, wo eigentlich keine sind.

Der affektierte Präriehund wirkt wie eine Parodie besonders pathetischer Momente in Kunst und Leben und wird in den Bearbeitungen selbst zum Gegenstand der Parodie: Man macht sich damit nämlich über süße Tierfilmchen und das Genre Internetvideo lustig. Denn Clips auf Filmportalen gelten gemeinhin als Phänomen der Häppchenkultur: niveaulos, klamaukig und geklaut. Der Clip "Dramatic Look" spitzt alle diese Eigenschaften in fünf Sekunden zu: Er ist so kurz, dass er keine Geschichte erzählen kann, er ist trashig und aus dem TV gestohlen. Die User haben mit diesem Clip auch Spaß, weil sie sich sagen: Seht mal, was wir uns hier wieder angucken - erstaunlich, wie viel überflüssige Zeit wir haben, diesen Quatsch auch noch rumzuschicken und weiterzudrehen!

Im Clip "Dramatic Chipmunk vs Star Wars Kid" drückt ein User dem Prairie Dog dann auch ein Laserschwert in die Pfote und montiert ihn in einen Zweikampf der Zweckfreiheit mit dem "Star Wars Kid", einem anderen Internetfilmstar: Der junge Mann wurde berühmt, als er sich bei Kampfübungen mit einem Golfballgreifer anstelle eines "Star Wars"-Laserschwerts filmte. Die Aufnahmen wurden ins Netz gestellt und bearbeitet. Komplette Zweckfreiheit macht eben noch mehr Spaß, wenn man sie ohne schlechtes Gewissen bejahen und mit anderen teilen kann, die ihren Tag ebenfalls komplett zweckfrei verbringen.

Folgerichtig ist also die Handlung des Animationsfilms "Drama Prairie Dog DATES Paris HILTON", der unseren Helden zum Verehrer von Paris Hilton macht. Frisch aus dem Gefängnis entlassen, stürzt sie sich ins schabernackreiche Strandleben mit ihrem pelzigen Freund. Sie sollten mehr Zeit zusammen verbringen, schreibt der Präriehund am Ende, und davon haben sie ja beide genug: Das ist eine spielerische Kritik der Überflusskultur, die ihre Zeit mit Prominentenberichterstattung (aktiv und passiv) und Präriehunden im Netz verbringt. Schön passend, dass der Clip "Drama Prairie Dog DATES Paris HILTON" mit Hilfe einer Website produziert wurde, auf der man sich die Langeweile durch das Basteln von infantilen Fotomontagen vertreiben kann.

Wir wissen zwar um das Elend der Welt, die Armut Afrikas und die Erderwärmung, sehnen uns aber nach solch ganz großem Quatsch, um das alles zu vergessen.

"Das Leben der Anderen" live auf der Bühne - am 13. und 14. Juli 2007 im Rahmen des "Brandherde"-Festivals in den Münchner Kammerspielen:

DREAMLAND: KORTMANN & GÜNTHER SURFEN DURCH DAS PARALLELUNIVERSUM

Wer heute im Internet surft, braucht ein gutes Informations-Immunsystem, um glaubwürdige und unglaubwürdige, wichtige und unwichtige Quellen zu unterscheiden. Täglich gibt es unzählige brandaktuelle Videos über Gott, die Welt und das Leben in der Röhre. Christian Kortmann, der Woche für Woche die besten Clips in seiner sueddeutsche.de-Kolumne "Das Leben der Anderen" vorstellt, diskutiert mit Matthias Günther über aktuelle Netzphänomene.

www.muenchner-kammerspiele.de

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