Das Internetvideo der Woche:Das Drama des begabten Hundes

Stella tanzt Ballett, Wunderwelpe Tyson bringt sich Skateboardfahren bei: Außergewöhnlich talentierte Hunde in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Die heutigen beiden Clips sind nicht die ersten animalischen Auftritte im "Leben der Anderen", und das Netz ist üppig mit Tier-Videos gefüllt. Man macht jedoch jeweils neue Seherfahrungen, weil sich die Clips je nach Tierart phänomenologisch voneinander unterscheiden: Anders als etwa die Katze oder das Kaninchen, deren filmische Kunststücke sich meist menschlicher Einflussnahme entziehen, ist der Hund bekannt für seine schematische Trainierbarkeit. Auch Hunde-Laien probieren es gerne mal mit dem Befehl "Sitz!", wenn sie einen Hund kennenlernen. Setzt er sich dann tatsächlich hin, wird sein Besitzer mit einem "Der hört aber gut" gelobt, dicht gefolgt von: "Gib Pfötchen!"

Im Clip "Stella the Dog" erkennt man den langwierigen Trainingsprozess hinter der Vorführung, sieht aber auch, wie viel Spaß Stella die Arbeit macht. Hund und Mensch leben schon lange zusammen, ihre Evolution verlief parallel, weshalb sie sich heute so gut verstehen. "Okay, Stella", sagt ihr Ausbilder, und begeistert legt Stella los: Blickt sie nicht sogar mit Primaballerina-Eitelkeit in die Kamera? Dass sie so lange auf den Hinterbeinen stehen kann, ist die erste Überraschung, das Gleichgewichtsgefühl bei ihren Pirouetten verblüfft, und das In-die-Knie-gehen ist ihr equilibristisches Meisterstück.

Kommandos von Hundebesitzern haben ja oft einen militärischen Unterton, aber manche Hunde genießen eben genau dieses Geführtwerden. So gern man Stella für ihre Fähigkeiten bewundert, schleicht sich beim Betrachter ihrer Ballettübung dennoch die Befürchtung der Zwang-Ausübung ein, die man aus humanistischer Sicht nicht gut heißen mag. Diese Unsicherheit bleibt: Glänzen Stellas Augen vor Freude am Tun oder nur in Erwartung der kulinarischen Belohnung?

Die antiautoritäre Summerhill-Variante des talentierten Hundes bekommen wir im zweiten Film, "Skateboarding Bulldog", zu sehen: Tyson. Der 6 Jahre alte Englische-Bulldoggen-Rüde verblüfft angeblich freiwillig mit Kunststücken, die er sich aus Lust, Laune, Langeweile und Begabung angeeignet hat. Mit seinen vier Beinen ist der Hund eigentlich von der Evolution optimal zur Fortbewegung an Land ausgestattet: Auch Tyson bräuchte keine Gehhilfe, aber er bevorzugt das Skateboard als Fortbewegungsmittel. Denn Skaten macht ihm einfach Spaß!

Asphalt als Chance

"Take a ride on wild side", sagt die Stimme aus dem Off, und zu sportlichem Fun-Punk rast Tyson ganz selbstverständlich los. Wie ein Mensch beschleunigt er mit den Beinen und springt dann aufs Brett. Er beherrscht das Lenken per Gewichtsverlagerung und legt seinen gedrungenen Körper mit dem ideal niedrigen Schwerpunkt sogar elegant in die Kurven, im Stile des Skateboardpioniers Stacy Peralta, der im Kalifornien der 1970er die Sportart in neue Dimensionen führte. Kein Wunder, dass Tyson eine Gastrolle im Skaterfilm "Lords of Dogtown" spielte, der eben diese Epoche fiktional aufbereitet.

Auf seiner Website skateboardingbulldog.com sagt Tyson, er sei in erster Linie Skater und nur zufällig nebenbei ein Hund. Als junger Hund, so erfährt man, jagte er Skateboardern nach, und seine Besitzer dachten, er würde Rollbretter hassen. Doch an seinem ersten Geburtstag kam er in direkten Kontakt mit einem Skateboard, und man merkte, dass er ein puppy prodigy, ein Wunderwelpe war: Der Mythos will, dass Tyson sich das Skateboardfahren selbst beigebracht hat.

Heute fährt er besser als die meisten Menschen und rollt jeden zweiten Tag ungefähr zwei Stunden lang über die Straßen von Huntington Beach, Kalifornien, wo er zusammen mit einigen Katzen in direkter Nachbarschaft von Jürgen Klinsmann wohnt. Natürlich macht Tyson regelmäßige Pausen zum Trinken und Markieren. Bekommt er seine Skate-Ration nicht, beschwert er sich lautstark. Angeblich geschieht all dies ohne menschlichen Druck: Tyson lebe, um zu skaten.

Tysons Bling-Bling-Halsband und sein sensationell abgeklärter Gesichtsausdruck machen ihn zu einem gern gesehenen Mitglied in jeder Skateboarder-Posse. Aber was sagen wohl die anderen Hunde, die weniger begabten; die, für die der Asphalt keine Chance, sondern die Unterbrechung zwischen Grünflächen bedeutet und die vom Skateboardfahren nur träumen können?

Sie bellen Tyson wahrscheinlich neidisch aus, wenn er elegant vorüber gleitet. Im Clip sieht man die klischeehafte Freundschaft von Tyson und dem Zeitungsverkäufer, er ist ein Hund unter Menschen, hat ihnen mehr zu sagen als seinen Artgenossen: Auch das ist Teil des Dramas des begabten Hundes.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: