Das Internetvideo der Woche:Alle Hände voll zu tun

Gegen ihn Basketball zu spielen, wäre noch unangenehmer, als früher im Schulsport gegen die Jungs anzutreten, die im Verein waren: Michael Conley spielt nämlich mit zwei Bällen gleichzeitig - absolutes Ballgefühl in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Wenn Michael Conley seine wohldressierten Schoßhündchen ausführt, genügt ihm dafür eine Ecke in einer Turnhalle. Denn bei seinen Schmusetieren handelt es sich um zwei Basketbälle, und wie der Titel des Clips verrät, "Keep the Ball on a String", gehorchen sie ihm, als hielte er sie an kurzer Leine: Er dribbelt mit zwei Bällen, die immer nah am Körper bleiben und seinen Einflussbereich nicht verlassen.

Weil er diese Macht über den Lauf des Balles besitzt, spielt der 20 Jahre alte Michael Alex Conley Jr. seit diesem Jahr für die Memphis Grizzlies in der NBA. "Keep the Ball on a String" ist ein Zusammenschnitt der Aufwärmübungen zum zweistündigen Techniktraining von Coach Ed Schilling.

Conley spielt die Bälle zwischen seinen Beinen und den weiten Shorts hindurch, und sie laufen gleichmäßig parallel, als folgten sie Gesetzen eines Planetensystems. Wenn er mit ihnen über den Boden jongliert, hat das Varieté-Qualität: Die Bälle tanzen umeinander, übereinander, kollidieren nicht, die Hände kreuzen sich, und in keinem Moment droht Kontrollverlust - Conleys Füße stehen immer an der gleichen Stelle, er muss die Position nicht korrigieren; muss nicht wie wir Stümper dem Weg des Balles folgen.

Man erkennt in dieser genauen Studie das Filigrane und Gefühlvolle des Dribbelns: Die Bälle gehorchen den feinen Druckunterschieden von Conleys Fingern. Hinsehen muss er schon lange nicht mehr, sein Kopf ist erhoben, die Augen schauen in die Richtung, aus der im Ernstfall Verteidiger und Anspielstationen auftauchen.

Das Einbläuen der Bewegungsmuster dient dem Zweck, im hektischen Spielgeschehen über Motorisches nicht mehr nachdenken zu müssen. Komplizierte Manöver, eine Körpertäuschung beim Dribbling, ein Fade-Away-Sprungwurf, laufen dann automatisiert ab. Für den Zuschauer, der zwei Minuten zusieht, ist das harte Training faszinierend, für den Sportler fühlt es sich mitunter wie monotone Arbeit an: Schließlich ist vorab ein unheimliches Pensum nötig, um überhaupt auf solchem Niveau trainieren zu können. Dafür ist dieses Training mindestens so sehenswert wie eine NBA-Partie. Und es schadet Conley - vielleicht ein kommender Basketball-Star - nicht, dass er sich in die Karten blicken lässt, sondern zeichnet ein kompletteres Bild von ihm als Ballkünstler.

Auf dem Weg zum Jahrhundertkorb

Im Clip ist ein großes Prasseln zu hören, das auf das Geschehen neben dem Bildausschnitt hinweist: Conley kommt zwar aus einer sehr sportlichen Familie - sein Vater war Olympiasieger im Dreisprung, sein Onkel Football-Profi -, ist aber kein Ausnahmetalent, denn alle die hier trainieren, können das, was er kann. Gut, denkt man da, dass man nicht gegen sie spielen muss, das wäre noch unangenehmer, als früher im Schulsport gegen die Jungs antreten zu müssen, die im Basketballverein waren. Sie wurden dafür nämlich nur vom Sportlehrer geliebt, von allen anderen aber mit noch größerer Skepsis als die Sportnieten betrachtet, die man immer als Letzte in die Mannschaft wählte. Ed Schilling, Conleys Trainer, hätte uns als Sportlehrer auch nicht glücklich gemacht. Er hat nämlich den Blick dafür, dass das, was gut aussieht, noch ein bisschen besser werden kann: "Schnell, schnell", ruft er, "und den Ball tiefer!"

"I hate basketball, but this training is awesome! Love it", kommentiert ein User bei YouTube. Der sportliche Aspekt ist in der Tat zweitrangig. Faszinierend an "Keep the Ball on a String" ist die Demonstration eines Könners, dessen Umgang mit dem Ball nahezu vegetativ ist.

In einem weiteren YouTube-Video beweist Conley sein absolutes Ballgefühl beim Bowling: Mal mit der rechten, mal mit der linken Hand räumt er mit punktgenau berechnetem und scharf am Rand der Bahn kratzendem Effet die Kegel ab, ganz entspannt im Freizeitmodus: "What can't Mike do?", fragt ehrfurchtsvoll ein Fan im Netz. Mit Hand und Ball ist ihm nichts unmöglich, muss man da wohl antworten. Die Kategorien Links- und Rechtshänder bleiben uns untrainierten Grobmotorikern überlassen, mit Talent und Training aber sind beidhändige Zaubereien möglich.

Am Ende von "Keep the Ball on a String" gibt der Trainer das Kommando, loszulaufen, und jetzt sind es die Spieler, die wie dressierte Hunde wirken, die von der Leine gelassen werden und in einen überblendeten Raum stürmen, der für ihre Zukunft steht: Sie sind hochgerüstet, mit mehr Waffen ausgestattet als sie im Spiel jemals brauchen werden. Technisch ist ihnen alles mitgegeben, um im Lauf ihrer Karriere den Korb des Jahrhunderts zu erzielen.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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