Süddeutsche Zeitung

Das Hörbuch:Knarz, quietsch, Grusel

Die Geschichte des Dienstmädchens Helen kennt man als Hollywood-Thriller, nur wurde ein Hörspiel daraus: "Die Wendeltreppe".

Von Jens Bisky

Kunstkopfhörspiele sind wieder in Mode, seit es drahtlose Kopfhörer und Smartphones gibt. Die Aufnahmetechnik mittels einer Kopfnachbildung, wobei an der Stelle der Ohrmuscheln Mikrofone eingebaut sind, ermöglicht ein ungewohnt räumliches Hören, befördert die Illusion, man befände sich mittendrin im Geschehen. Das hat einen besonderen Reiz, weil es gleichermaßen lebensnah und künstlich wirkt. Man taucht ganz ein in die akustische Welt und hört in dieser so genau und plastisch, wie man es "draußen", im Alltag der wirklichen Welt, kaum tut. Es sei denn, Freude oder Angst schärfen die Sinne. Nachts, in alten, abseits gelegenen Häusern kann das Gehör über Leben oder Tod entscheiden.

Das Dienstmädchen Helen hat allen Grund zur Vorsicht. Ein Mädchenmörder geht um, ein Gewitter tobt. Niemand weiß, ob das einsame Landhaus, indem sie dient, Zuflucht bietet oder zur Falle wird. Helens Geschichte kennt man aus Robert Siodmaks Film "Die Wendeltreppe", 1945 nach dem Roman "Some Must Watch" von Ethel Lina White gedreht. Siodmaks Thriller gilt als Klassiker einer bis an die Grenzen des Erträglichen gesteigerten Spannung.

Es war eine gute Idee, dass Regine Ahrem mit Kunstköpfen und einem grandiosen Schauspielerensemble eine Villa aufgesucht hat, um dort ihre Version der Mädchenmördergeschichte zu inszenieren. Die Geräusche - Schritte, Türenquietschen, Wind, Regen, das Klappern der Fensterläden, Orgelspiel - sind ebenso Protagonisten des Geschehens wie Schwester Barker oder Lady Louise oder der seltsame Professor, der in seinem Musikzimmer nicht gestört werden will. Was Helen hört, was wir mit ihr hören, befördert Furcht und Hoffnung, und immer wieder deuten die Frauen im Landhaus die Klänge falsch.

In Szene gesetzt wird hier eine ganz altertümliche Art des Gruselns: Effekte aus der Zeit, als Klappern und Knarzen noch erschreckt haben. Gerd Wameling führt mit dem Ernst eines Märchenerzählers durch die Geschichte, Tina Engel und Karin Gregorek haben großartig kauzige Auftritte. Man fühlt sich in diesem Hörspiel geborgen, weil es eine Welt entwirft, in der jedem Geräusch ein Sinn zugeordnet werden kann und in der jeder Beteiligte ein Virtuose ist in seinem Fach.

Ethel Lina White: Die Wendeltreppe. Hörspiel von Regine Ahrem. Mit Gerd Wameling, Chris Pichler, Tina Engel, Karin Gregorek u.v.a. Osterwold Audio, Hamburg 2015. 1 CD, 62 Minuten, 14,99 Euro.

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Quelle:
SZ vom 10.08.2015
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