Süddeutsche Zeitung

"Das Erwachen der Macht" im Kino:Kein Spoiler verdirbt "Star Wars"

Warum Sie keine Angst haben müssen, vor dem Kinobesuch über ein Detail aus "Das Erwachen der Macht" zu stolpern.

Von Matthias Huber

Eins vorweg: Wenn Sie diesen Text gelesen haben, brauchen Sie sich "Star Wars: Das Erwachen der Macht" nicht mehr anzusehen. Glauben Sie mir nicht? Gut so.

Aber: Wenn in diesem Text gewisse Details der Handlung - sogenannte Spoiler - stehen würden (was nicht der Fall ist, so viel sei zur Beruhigung gesagt), dann gäbe es Leser, die genau das auf Facebook oder in einer Mail an uns schreiben würden: "Na toll, jetzt haben Sie alles verraten! Dann brauche ich den Film ja gar nicht mehr anzuschauen!"

Was für ein armseliges Medium wäre denn ein Film, wenn das stimmen würde? Wenn ein Film nicht mehr zu bieten hätte als ein paar Handlungsdetails - wer mit wem, wer gegen wen, wer ist wer? Würden wir dann wirklich noch ins Kino gehen? Oder würden wir uns nicht lieber die Zusammenfassung bei Wikipedia durchlesen?

Spoiler-Angst führt zu bizarren Überreaktionen

Schon der Begriff ist Quatsch. "Spoiler" kommt vom englischen "to spoil", das heißt verderben. Ein Spoiler verdirbt also etwas: einen Film, eine Serie, einen Roman, ein Fußballspiel. Die Angst vor ein paar unbedachten Worten ist gerade im Internet gewaltig. Kaum ein Online-Forum - von der winzigen Nischen-Community mit fünf Mitgliedern bis hin zum globalen Mega-Forum Reddit - kommt deshalb ohne "Spoiler-Tags" aus: Spezielle Format-Befehle, die bestimmte Textpassagen unsichtbar machen, wenn der Leser sie nicht extra anklickt.

Das führt zu bizarren Überreaktionen: "Besonders cool fand ich ja die Szene", schrieb ein Nutzer mal in einem Filmforum über "Stirb Langsam 4", "als [spoiler]Bruce Willis den schwarzhaarigen Terroristen erschießt[/spoiler]". Alles aus Angst, jemandem mit dieser völlig überraschungsfreien Information den Spaß am Film zu verderben? Oder doch eher aus Angst vor dem etwas irrationalen Zorn derjenigen, die sich ganz, ganz fest vorgenommen haben, wirklich gar nichts über den neuen Film wissen zu wollen, sich aber aus unerfindlichen Gründen trotzdem in die Diskussion über einen Text zum Film verirrt haben?

Selbst im Internet sind nicht alle Menschen schlecht

Dabei können Spoiler durchaus einen Sinn haben. Sie dienen dazu, in einem Gespräch - dazu gehört auch der Monolog einer Filmkritik - für gleiche Voraussetzungen zu sorgen. Der Kritiker hat den Film bereits gesehen, und mit diesem Wissensvorteil tritt er vor sein Publikum. Er muss ein Stück weit erklären, warum er den Film gut oder schlecht fand - und wird versuchen, anhand von Beispielen zu argumentieren, damit der Text nicht zu einer inhaltsleeren Meinungsäußerung wird.

Also wird er spoilern müssen. In Maßen und mit Bedacht. Denn für jeden Spoiler, den er sich leistet, will er dem Leser etwas Neues mitgeben. Er tauscht das schnöde Handlungsdetail gegen eine Idee oder eine Erkenntnis, die den Leser und späteren Filmschauer weiter bringt. Wenn Sie mit jemandem über ein Fußballspiel reden wollen, dann würden Sie das Gespräch ja auch eher beginnen mit "Wahnsinn, wie sich der Lewandowski beim 2:0 den Ball geschnappt hat" als mit "Bayern hat 2:0 gewonnen". Kluge Spoiler sind ein Gewinn für Autoren und für Leser.

A Guada hoits aus, und um an Schlechtn iss ned schod

Leider braucht es dafür gehöriges Vertrauen. Vertrauen, dass derjenige, der spoilert, eben kein schadenfroher Depp ist, sondern sich gut überlegt hat, warum er etwas verrät. Ein Vertrauen, das wohl nur die wenigsten Internetnutzer einander entgegenbringen. Oder PR-Agenturen gegenüber Journalisten, denn auch die bitten bei Pressevorführungen darum, den Lesern doch nicht "den Spaß am Film zu verderben".

Und wenn es doch einmal passiert, wenn Sie doch plötzlich in einen Spoiler stolpern? Halb so wild! Überlegen Sie sich, ob Sie den Film wirklich nur deshalb sehen wollten, um zu erfahren, wie er ausgeht. Oder ob Sie vielleicht doch lieber die Actionsequenzen, den Verrat und die Liebesszenen mit eigenen Augen sehen wollen.

Ein bayerisches Sprichwort beschreibt es ganz gut: "A Guada hoits aus, und um an Schlechtn iss ned schod." Ein guter Film hält's aus, und um einen schlechten ist es nicht schade. Egal, was ich Ihnen verrate: Sie würden sich "Star Wars: Das Erwachen der Macht" doch sowieso anschauen wollen. Und Sie täten gut daran. Kein Spoiler der Welt würde daraus einen schlechteren Film machen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2785260
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/jobr/dd
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.