Süddeutsche Zeitung

"Das erstaunliche Leben des Walter Mitty" im Kino:Völlig losgelöst

Lesezeit: 4 min

Ben Stiller, der als Komiker gern ein bisschen schrill auftritt, ist in seinem neuen Film zur Meditation gelangt. "Das erstaunliche Leben des Walter Mitty" erzählt von einer Midlife-Krise voller phantastischer Abenteuer. Was für eine schöne Vergeblichkeit.

Von Fritz Göttler

Tagträumer machen - und sie wissen das - meist einen lächerlichen Eindruck. Walter Mitty zum Beispiel, ein klassischer Midlife-Typ - Ben Stiller verkörpert ihn mit erstaunlicher Gelassenheit -, steht mit einem von der Mutter gebackenen Klementinenkuchen in der Hand auf dem Gang, dann vor der Kaffeemaschine des Bürogebäudes, eine Stretch-Armstrong-Puppe in seinem Alu-Koffer, gaffend, man mag es versonnen nennen oder katatonisch, weil eben die neue Kollegin - Kristen Wiig, aus "Brautalarm" - in zehn Meter Entfernung auftaucht, von der er gern bemerkt werden würde und die er sich noch nicht anzusprechen traut. Zuhause hatte er versucht, ihr auf ihrer Network-Seite einen Wink zu verpassen - dass dies nicht klappte, ist eine vielsagende Fehlleistung, er hat Angst vor der eigenen Courage. In naiven, überdrehten Tagträumen hetzt er ihr als Retter entgegen, als mysteriöser Mann aus dem Eis, inklusive Falken.

Vom end of life erzählt der Film, dem Ende von LIFE, der legendären Zeitschrift, die jahrzehntelang den Amerikanern die Bilder der Welt vermittelte. Nun wird, um die Jahrtausendwende, die letzte Printausgabe produziert, von da an ist alles nur noch digital. Es wird alles neustrukturiert, dynamisiert, viele werden entlassen. Die Abwickler sind schon da, eine Gruppe selbstgefälliger Youngsters in dunklen Anzügen, dazu ein aggressiver, messerscharf gezogener Kinnbart, und wenn sie der versammelten Belegschaft des Magazins die Zukunft plausibel machen wollen, sieht man an ihrer wohlfeilen Dreier-Choreografie die verbissenen Manager-Schulungswochenenden an.

James Thurber hat die Vorlage für den Film geliefert, 1939, eine kleine Story, da ging es um einen amerikanischen Mittelständler, der von seiner Frau geschurigelt wird, er muss sie zum Friseur fahren und soll, während sie dort hockt, Hundekuchen und Überschuhe besorgen. Die Tagträume, in die er sich flüchtet, sind inspiriert von Operationssaal-Dramen, knallharten Gangster-Auftritten und Kampfpiloten-Melancholie. Eine Geschichte über die Kraft der Helden-Phantasien, in einem Land, das gerade anfängt sich Gedanken zu machen, wieviel Heldentum es selber brauchen wird in Zukunft. "Can Germany conquer the world through the air?", ist eine Schlagzeile, die Walter Mitty beim Warten liest.

Nach dem Krieg, 1947, hat es eine Verfilmung der Story mit Danny Kaye gegeben, da rettet er Virginia Mayo aus den Händen des sinistren Boris Karloff. Eine neue Version war schon seit über zehn Jahren in Vorbereitung, Jim Carrey sollte Walter Mitty spielen, irgendwann schaltete sich Steven Spielberg in das Projekt ein, schließlich hat Ben Stiller es übernommen und durchgezogen, er spielt Walter Mitty und führt Regie. In seinem Film ist die lange Entstehungszeit reflektiert, die Wandlungen des Heldenbildes und die neuen Techniken der Selbstdarstellung, die sich durch die Entwicklung der sozialen Netzwerke ergaben.

Walter Mitty ist nun Leiter der Negativabteilung bei LIFE, er verwaltet die visuellen Schätze aus aller Welt. Für seine Fotoreportagen ist das Magazin berühmt gewesen, und für die letzte Printausgabe hat Sean O'Connell, sein Starreporter, einen belichteten Film geschickt, dessen letztes Bild, frame 25, er auf dem Titel der letzten Ausgabe haben will. The quintessence of life ... Große Sache, findet sogar der junge Ober-Abwickel-Schnösel und will das Bild sehen. Dummerweise für Walter Mitty fehlt frame 25 ...

Er fehlt natürlich nicht wirklich, aber Walter, der gern mit Lupen und unförmigen Vergrößerungsapparaten arbeitet, kann ihn nicht sehen, weil er die Zeichen nicht erkennt. Er ist zu nah dran. Um frame 25 zu finden, muss er hinaus in die Welt, in die Wildnis, nach Grönland und Island, in den Himalaya. Von solchen Short cuts, die es nur über weitschweifige Umwege gibt, lebt das Handwerk der Psychoanalyse.

Ben Stillers Film lebt vor allem von der Retardation, von Momenten der Zurückhaltung und des Abwartens. Von der Stille der leeren U-Bahn-Stationen und der New Yorker Parks, von der so verstörenden wie beruhigenden globalen Allgegenwärtigkeit der Papa-Johns-Lokale, die in den fernsten Ecken der Welt auftauchen. Nur die Mitty-Tagträume sind aggressiv und hektisch und laut, schlimmstes Superman-Blockbuster-Format. Die Action, zu der dann Walter sich selbst aufschwingt, ist eher meditativ - radeln und skaten durch die weiten Landschaften von Island, völlig losgelöst vom Alltag.

Schöne Vergeblichkeit

Seit den Sechzigern, seit Antonioni und Godard, ist das Kino am besten, wenn es sich dem Wechselspiel der Blicke widmet. Einmal ist Walter mit der angehimmelten Kollegin im Park, sie telefoniert mit ihrem Ex, er steht bei ihrem Sohn, der sich an seinem Skateboard versucht. Walter zeigt ihm lässig ein paar Kickflip-Tricks, und manchmal wendet er sich kurz um, aber sie hat sich weggedreht für ihr Gespräch, und wenn sie doch mal kurz zurückschaut, steht Walter gerade steif da und sie kann nicht sehen, was für ein wendiger Skater er ist und was für ein guter Vater/Kumpel er wäre. Was für eine schöne Vergeblichkeit.

Mit der Produktion von Bildern wollten die Menschen die Zeit bannen, hat André Bazin in seinem berühmten Text zur Ontologie des fotografischen Bildes geschrieben, ihre Macht, ihren unerbittlichen Ablauf, der mit dem Tod endet. Sean O'Connell, der große Bildermacher, sieht das anders. Sean Penn spielt ihn, als letzten Abenteurer. Er ist nirgendwo und überall, ein Phantom, aber omnipräsent. Walter folgt seinen Spuren, ist immer einen Schritt zu spät. Erst im Hochgebirge, im Himalaya findet er ihn. Sean wartet da auf das Auftauchen des Schneeleoparden, der so selten ist, dass man ihn Geisterkatze nennt. Von Sean lernt Walter Mitty nun die ultimative Lektion. Dass man die Zeit nicht fürchten und bannen muss, erst recht nicht auf einzigartige Bilder. Dass man der Zeit sich hingeben, in ihr sich verlieren darf. Gleich nach dieser Lektion schließen die beiden sich einer Gruppe von Kids an, die auf dem Hang Fußball spielen. We only live once, hat Walter Mitty gesagt, in einer seiner Phantasien bei Thurber.

The Secret Life of Walter Mitty, USA 2013 - Regie: Ben Stiller. Buch: Steve Conrad. Nach einer Short Story von James Thurber. Kamera: Stuart Dryburgh. Musik: Theodore Shapiro. Schnitt: Greg Hayden. Mit: Ben Stiller, Kristen Wiig, Kathryn Hahn, Adam Scott, Shirley MacLaine, Adrian Martinez, Marcus Antturi, Patton Oswalt, Sean Penn. Twentieth Century Fox, 114 Minuten.

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SZ vom 02.01.2014
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