Das Ende der Superhelden:Helft uns!

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Die Supermänner als Opfer: Von der neuen Liga seiner gebrochenen Superhelden kann Amerika wenig erhoffen. Die Weltenretter des Kinos stoßen plötzlich an menschliche Grenzen.

Anke Sterneborg

Amerika hätte derzeit allen Grund, sich nach einem übermächtigen Superhelden zu sehnen. Denn natürlich sind diese phantastischen Retter schon immer aus der Not geboren: Kinder der Krise, bunte Gegenspieler jener Großen Depression, aus der Superman seinerzeit denkwürdig hervorbrach - um die Ära des modernen Weltrettertums überhaupt erst einzuläuten.

Schluss mit super: Das Bild des Helden beginnt zu bröckeln. (Foto: Foto: AP)

Doch irgendwie scheint diese Spiel heute nicht mehr zu funktionieren: Die Superhelden der Post-9/11 -Jahre sind zerrissener, als ihre Vorläufer es je waren, verführbarer und egomaner, sie ringen mit unkontrollierten Gefühlen wie Eifersucht und Selbstgefälligkeit, mehr denn je hadern sie mit ihrem Schicksal.

Natürlich war es noch nie ein Spaß, die letzte Hoffnung der Menschheit zu sein - Spaß hatten vor allem die Schurken. Wenn aber der "Friendly Neighborhood Spiderman" in seinem dritten Film auf größenwahnsinnige Abwege gerät; wenn ein heruntergekommener schwarzer Penner namens "Hancock", mit Alkoholfahne und schlechten Tischmanieren, halb Los Angeles verwüstet; und wenn der neue "Batman" in Gefahr ist, zum Buhmann der Nation zu werden - dann ist die Botschaft dieser Figuren doch seltsam verdreht.

"Helft uns!" scheinen sie zu rufen - kein gutes Statement für jemanden, von dem man eigentlich selbst Hilfe erwarten würde.

Stolpern zur Erlösung

Der Moment, als das Wünschen plötzlich nicht mehr geholfen hat, lässt sich etwa zehn Jahre zurückdatieren - zu "Batman und Robin", wo tatsächlich noch George Clooney als dunkler Ritter ins Rennen geschickt wurde, im schwülen Camp-Kostüm mit überdeutlichen Brustwarzen und großkotzigem Suspensorium. Ein Flop, eine Lachnummer.

Der Mann, der Batman damals die markigen Sprüche ins Drehbuch textete, ist heute einer der Produzenten von "Hancock": Akiva Goldsman, 46 Jahre alte, Oscargewinner für das Script von "A Beautiful Mind" - aus Erfahrung klug geworden, sollte man meinen, und inzwischen intimer Kenner der Superhelden-Psychologie.

"Es ist kein Zufall, dass diese Filme gerade jetzt aus Amerika kommen", sagt er beim Gespräch auf Deutschlandreise, als Teilnehmer der Werbekarawane um Will Smith. "Die Idee des gebrochenen Helden, der ins Stolpern kommt, aber Erlösung findet, spiegelt sehr genau wieder, wie viele von uns derzeit unser Land sehen.

Diese Wahrnehmung ist in der DNA dieser Geschichten angelegt, denn von wenigen Ausnahmen abgesehen, haben Filmemacher meistens eine eher liberale Sensibilität."

Superhelden in der Grauzone

Die heile Welt der Comics, die sich so klar in die Kategorien von Gut und Böse einteilen ließ, ist von der harschen Realität mit all ihren Widersprüchen und Zweifeln eingeholt worden - und die Superhelden sind Opfer dieser Entwicklung.

Sie haben ihre Macht und ihr Ansehen verloren, weil inzwischen jedes Kind im Kinosaal weiß, dass sich das allgegenwärtige Chaos von Korruption und Betrug nicht mehr mit einem beherzten Flug über die Dächer von New York oder Gotham City richten lässt.

Wenn der Schauspieler Christian Bale es dem Western "3:10 to Yuma" hoch anrechnet, dass er nicht den Glauben propagiert, dass sich einfach nur ein guter Mann gegen das Böse stellen müsse, damit alles wieder in Ordnung kommt, dann gilt das nicht nur für die Cowboys im Wilden Westen, sondern auch für die Wächter der Metropolen.

Bale ist es auch, der nun als "Dark Knight" unter der Regie von Christopher Nolan in die zweite Runde eines zunehmend aussichtslosen Kampfes zieht, mit Heath Ledger als bösem Joker, dessen offensichtliche Power in dieser Rolle schon die Internet-Foren erzittern lässt.

Menschliches, Allzumenschliches

Akiva Goldsman war einer der ersten, der nicht zuletzt unter dem Schock des "Batman und Robin"-Flops begriffen hat, dass man den Eskapismus des 21. Jahrhunderts zumindest ein bisschen raffinierter tarnen muss.

Lesen Sie weiter auf Seite 2 über muskelbepackte Schönlinge und strahlende Außenseiter.

Den Anfang machte allerdings Sam Raimi mit seinem "Spiderman", dem letzten Superhelden, der noch einmal über die Dächer von New York schwingen durfte, als das World Trade Center noch Teil der Stadtsilhouette war. Raimi hat den überlebensgroßen Helden auf menschliches Format gestutzt, als verwirrten, unsicheren und nicht besonders attraktiven Jungen mit echten Sorgen und Gefühlen.

Dazu gehört auch, dass er gegen den Willen der Studios, die in einem millionenschweren Blockbuster einen glamourösen Star sehen wollten, den damals noch weitgehend unbekannten Tobey Maguire durchsetzte.

Statt muskelbepackten Schönlingen ziehen die gebrochenen Helden seitdem eine ganz andere Liga ernst zu nehmender Charakterdarsteller an, denen die Superkräfte nicht a priori auf den oft eher schmächtigen Leib geschnitten sind - solche wie Christian Bale, Robert Downey Jr. als "Iron Man", Edward Norton als neuer "Hulk" - und gerade hat "Hellboy", ein Ausbund an puterroter Hässlichkeit, den heruntergekommen "Hancock" schon wieder von Platz eins der US-Kinocharts verdrängt.

Wenn sich Nick Cassavetes demnächst im Auftrag von Marvel an die Verfilmung von "Captain America" macht, kann man Wetten abschließen, dass er sich auch vor allem für die Brüche in der Heldenpersönlichkeit interessiert.

Strahlende Außenseiter

Ein Mann für die Brüche ist auch Akiva Goldsman, der als Autor oder Produzent auch für Filme wie "Mr.und Mrs Smith", " I, Robot", "Constantine" und "I Am Legend" verantwortlich zeichnet.

Seine anhaltende Faszination für Superhelden erklärt sich aus einer Neugier für alles Andersartige: "Ein Superheld sein zu wollen, habe ich schon als Kind aufgegeben. Aber ich war immer fasziniert von schrägen Charakteren, die ein undurchsichtiges Verhältnis zur Welt haben. Superhelden sind immer merkwürdige Leute, Außenseiter, die nicht dazu gehören."

Geschult ist Goldsmans Sensibilität an seinen Jugenderfahrungen - mit Eltern, die in ihrem Haus in Brooklyn ein Heim für psychisch gestörte Kinder leiteten: "Ich war nie ganz sicher, was wahr ist und was nicht, und habe sehr früh begriffen, dass Normalität ein ziemlich relativer Begriff ist. Da draußen gibt es niemanden, der wirklich normal ist - oder ich habe zumindest noch niemanden getroffen. Jeder Mensch hat sehr eigentümliche Eigenschaften und eine sehr spezielle Art, die Welt zu sehen."

Das Bewusstsein dafür, nicht normal zu sein, die Berufung, die damit einhergeht, aber auch das Leiden daran - das ist natürlich von Anfang an das Superhelden-Thema schlechthin. Wobei Goldsman die These vertritt, dass sich die Unterschiede ohnehin zunehmend verwischen: "In ,Hancock' ging es uns vor allem darum, außerordentliche Menschen zu zeigen, die ganz gewöhnliche Probleme haben", sagt er.

Otto Superbürger

Entsprechend fließender werden die Übergänge zwischen den Helden, die ihre Superkräfte per Geburt, Mutation oder Experiment erlangt haben, und den Normalbürgern, die sich ihre besonderen Fähigkeiten unter dem Druck extremer Umstände oder beruflicher Anforderungen aneignen - wie beispielsweise Will Smith, der als letzter Mensch auf Erden in "I Am Legend" überleben muss, oder "Mr. und Mrs. Smith", die unter ihrem biederen Provinz- und Ehealltag ein heimliches Doppelleben als Hochleistungs-Auftragskiller führen.

"Wir habe den Glauben an Superhelden verloren,", sagt Goldsman, "wir setzen unser Vertrauen jetzt eher in menschliche Helden."

Aber natürlich wäre Amerika nicht Amerika, wenn der Eskapismus nicht auch ein lernfähiges System wäre, für ein Publikum, dem man zwar nicht mehr alles erzählen kann, das sich aber immer noch sehr gerne einlullen lässt: "Amerika ist nicht mehr das, was es einmal war", sagt Goldsman, " aber das heißt ja nicht, dass es das nicht wieder werden kann!"

Ob die neuen zerrissenen Helden dabei helfen können? Nein, soweit würde er dann doch nicht gehen. Stattdessen hat er eine einfachere, näherliegende und sicherlich auch lukrativere Antwort gefunden: ein neues, smarteres Eskapismusprogramm für schlechtere Zeiten.

© SZ vom 15.07.2008/mst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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