Das Computerspiel zu "Matrix Reloaded":Enter gut, alles gut

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Zum zweiten Teil des Matrix-Universums gehört auch "Enter The Matrix", ein Computerspiel. Angeblich enthält es wichtige Informationen zum Verständnis des Kino-Films. Entwarnung. Tatsächlich entdeckt es andere Kontinente der Scheinwelt - wirft aber dieselben Fragen auf. Von Bernd Graff

Der erste Teil der Matrix-Trilogie eröffnete eine Welt, in der selbst unmögliche Bilder glaubhaft erschienen. Denn sie kokettierte mit der nicht mehr auflösbaren Ungewissheit darüber, ob es die Wirklichkeit überhaupt gibt. Die Reflexion kann nirgends vor Anker gehen, raunte es von der Leinwand. Aber so war das noch nie gezeigt worden. Gewiss aber war: Die betörend schönen Stunt- und Action-Sequenzen dementierten Bild für Bild, dass sie von dieser Welt sind. Ein Phantasma aus Pixeln war das, eine Imagination aus dem Computer. So real, wie virtueller Schwindel nur sein kann.

Keine Zeit für Proseminaristen-Geschwurbel: Heldin Niobe in Action - in Dauer-Action (Foto: N/A)

Vier Jahre ist das her. Ein Äon in der Zeitrechnung der Computertechnologie. Schnellere Rechner und avanciertere Programme erlauben heute eine noch perfektere Simulation unwirklich wirklicher Bilder. Bilder für die Kinoleinwände - und Bilder für die Monitore von Personal Computern. Auch in den Wohnzimmern ist die Rechenzeit nicht stehen geblieben, erlauben schnellere Chips und größere Speicher die Animation virtueller Charaktere - in Welten, die man zur Zeit von "Matrix 1" allenfalls im statischen Einzelbild auf den Desktop brachte.

An die zwanzig Milliarden Dollar setzen die Hersteller von Computerspielen pro Jahr weltweit um - dreimal mehr als 1999. Dennoch haben die Produzenten von Videospielen kein leichtes Spiel. Es gibt viele Anbieter - bei steigenden Kosten für die Entwicklung. Weil aber das Angebot so groß ist, bleibt der Industrie nur eine kurze Frist, um mit einem Titel Gewinn zu machen. Im Schnitt sind es ein paar Wochen, denen eine oft mehrjährige Produktionsdauer gegenüber steht.

Knapp dreißig Monate Entwicklungszeit sind für das den Film begleitende Computerspiel "Enter The Matrix" ins Land gegangen. An die 47 Millionen Dollar hat die Firma Infogrames, die sich seit neuestem Atari nennt, in die Entwicklung und Lizenzierung dieses Spiels investiert. Den größten Teil der Summe wird dabei die Übernahme der eigentlichen Produktionsfirma Shiny Entertainment verschlungen haben. Gleichviel: Eine solche Summe ist im Umfeld eines einzelnen Computerspiels noch nie genannt worden - auch wenn sie sich geradezu bescheiden ausnimmt gegen die mehr als 300 Millionen Dollar, welche die beiden Wachowski-Brüder angeblich für die Produktion der neuen Matrix-Folgen verpulvert haben.

So wird denn auch die Werbetrommel gerührt wie niemals zuvor. Das Spiel sei eng mit dem Film verwoben, heißt es. Tatsächlich übernimmt es Personal und Schauplätze des Films. Dennoch gehört es nicht in die Kategorie "Spiel zum Film" und damit zu jenen oft rührend missglückten Versuchen, den Plot und die Charaktere eines Kino-Erfolges nachträglich in das Narrativ und die Ikonographie von Computerspielen zu übersetzen. Das liegt daran, dass sich die Spiele-Produzenten einen Nebeneffekt der Matrix-Produktion zunutze machen konnten: Da man die Bewegungen der realen Schauspieler in einem aufwändigen Motion-Capturing-Verfahren ohnehin für den Film digitalisieren musste, konnten die Spiele-Produzenten die so gewonnenen Bewegungsdaten parallel verwerten. Die Wachowski-Brüder, die Regie bei Film und Spiel führten, komponierten ihre Bilder dabei in nur einem Arbeitsgang - für unterschiedliche Datenträger: das Zelluloid des Kinos wie die CD-Rom des Computers und aller gängiger Konsolen. Ein schöner Synergie-Effekt.

Entstanden ist ein Spiel, das einen Nebenstrang der Matrix-Handlung verfolgt, fast vollständig auf die Film-Protagonisten verzichtet und statt ihrer drei Nebenfiguren ins Zentrum rückt. Verzichtet wird auch auf das Proseminaristen-Geschwurbel zur Realität der Wirklichkeit, den Turbo-Konstruktivismus und den Erlöserwahn des Films - dazu hat der Spieler als Martial Artist auch keine Zeit. Dennoch gibt es im Spiel Ansätze, die angebotene Realität auf die Matrix typische Schleifspur des Zweifels zu bringen. Zum einen gleiten Videosequenzen zwischen Filmszenen mit realen Schauspielern, die eigens für das Spiel gedreht wurden, und solchen, die Avatare, also die Computerabbilder dieser Schauspieler, zeigen, nahtlos hin und her. Diese so genannten cineractives wiederum gehen über in die Bilder jener Figuren, die man als Spieler steuern muss: Transsubstantiationen der Körper ins Virtuelle und Steuerbare in wechselnden Richtungen.

Zum anderen aber führt "Enter the Matrix" ausdrücklich die Option ein, sich mit der angebotenen Realität des Spiels nicht abzufinden. Der Spieler kann über einen Button selbst zum Hacker der Spielmatrix werden, indem er die schon jetzt im Internet kursierenden "Cheat-Codes" in das System einspeist. Danach ist der von ihm gelenkte Protagonist wenigstens "zeitweise unsterblich", er verfügt über reichlich Waffen und Munition. Und er besitzt im Übermaß von jener "Focus"-Gabe, welche Kampfsequenzen in Zeitlupe choreographiert, die Helden dabei aber ungleich effektiver prügeln lässt.

So wird über diese offen eingeräumte Manipulationsmöglichkeit des Spiel-Codes auch hier die Frage strapaziert, die der Film immer wieder aufwirft: Kann es sein, dass selbst meine Möglichkeiten, Einfluss auf die Realität zu nehmen - und sei es die echte in der falschen - wiederum nur gewollt und Teil des großen Matrix-Plans sind? Und noch etwas ist bemerkenswert: Im Trailer sagt Jada Pinkett-Smith - sie spielt die Niobe in Film und Spiel -, dass die Handlung des Spiels tatsächlich die des Films beeinflusst habe. Ein historisches Zitat. Denn nicht unwahrscheinlich ist es, dass es sich schon in wenigen Jahren umgekehrt verhält.

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