Das Comeback der Whitney Houston:Die Ballade vom kaputten Leben

Der innere Feind ist besiegt: Sängerin Whitney Houston will noch einmal ganz nach oben und verarbeitet ihre Leidenszeit in einem neuen Album.

Tanja Rest

Auf whitneyhouston.com steht seit einigen Tagen ein YouTube-Link, Videoschnipsel von ihrem Listening Event in Los Angeles. Ein Saal voller Stars. Jane Fonda ist da, Halle Berry, Stevie Wonder, Magic Johnson, Iman, und natürlich der große alte Mann des Pop, Clive Davis. Projektionen an den Wänden versprechen: "She will always love you" und "The wait is over..." - das Warten hat ein Ende.

Das Comeback der Whitney Houston: Sieht besser aus, als man das nach einer Dekade mit Alkohol, Marihuana, Crack und Kokain für möglich gehalten hätte: Whitney Houston.

Sieht besser aus, als man das nach einer Dekade mit Alkohol, Marihuana, Crack und Kokain für möglich gehalten hätte: Whitney Houston.

(Foto: Foto: Getty Images)

Dann kommt Whitney. Sie trägt ein klassisch-schwarzes Kleid und winkt gerührt ins Publikum, sie sieht besser aus, als man das nach einer Dekade im freien Fall für möglich gehalten hätte. "Dieses Album hat mich sieben Jahre gekostet, das war eine furchtbar lange Zeit", sagt sie und schlägt die Hände vors Gesicht. Das eigentlich Interessante aber sind die Gesichter im Publikum. Begeisterung wäre noch untertrieben. Es ist eine Art enthusiastischer Ergriffenheit, wie sie nur Menschen empfinden können, die gerade das ganz große Happy End miterleben. Mit diesem 24. Juli in Los Angeles ist die irrlichternde Geschichte von Whitney Houston wohl endlich zu Ende erzählt.

Rekapituliert man einige der großen Karrieren des Pop, so ist es beinahe beängstigend, wie genau sie den Postulaten des klassischen Dramas folgen. Aufstieg. Fall. Und Läuterung. Britney Spears, die einmal als Jungfrau in die Ehe gehen wollte, musste sich im psychotischen Drogenrausch erst eine Glatze scheren lassen und das Sorgerecht für ihre Kinder verlieren, bevor sie im März 2009 zu ihrer ausverkauften Welttournee "Circus" aufbrechen konnte.

Michael Jackson verlor zuerst seine Physiognomie, dann seine Unbescholtenheit und schließlich sein Vermögen - hätte er sich von dieser Welt nicht voreilig verabschiedet, sie wäre in diesen Wochen bereit gewesen, ihn in der Londoner O2-Arena wieder in die Arme zu schließen. Amy Winehouse, die mal als kreuzbraves Talent galt, steckt vorläufig im Fegefeuer fest. Einzig Madonna war so klug, niemals als sie selbst anzutreten: Sie schickte ihre jeweils aktuelle Inkarnation ins Rennen, die dann stellvertretend triumphierte und alsbald zerstört wurde. Läuterung bedeutete bei Madonna immer: die Geburt einer neuen Madonna-Figur.

Whitney Houston war 20 Jahre alt und ein recht erfolgreiches Model, als sie entdeckt wurde - von Clive Davis, der zuvor schon Janis Joplin, Patti Smith und Bruce Springsteen aufgebaut hatte und seither nie ganz von ihrer Seite gewichen ist. Das Debütalbum 1985 hieß schlicht "Whitney Houston" und verkaufte sich allein in den USA 13 Millionen Mal. Auf dem Cover trug sie eine Perlenkette zur gerafften Robe und sah aus wie eine Klosterschülerin - die sie gewissermaßen ja auch war. In ihrer baptistischen Gemeinde in New Jersey sang Whitney mit ihrer Mutter Cissy im Kirchenchor Gospels, ihre Stimme überwand mühelos drei Oktaven. Sie galt als heilige Jungfrau des Soul, legendär dünnhäutig, hypernervös. Allein das Wort "Sex" in Interviews brachte sie damals an den Rand der Ohnmacht.

Lesen Sie auf Seite 2, wie die Diva sich selbst zum größten Feind wurde.

Perfektion und Selbstzerstörung

Bevor sie fallen konnte, musste Whitney Houston nach den Gesetzen der Branche aber zunächst ganz nach oben - und höher als sie stiegen in den achtziger Jahren nur wenige. Bereits das zweite Album, "Whitney", schoss über Nacht an die Spitze der US-Charts und brachte diese unglaubliche und bis heute unerreichte Serie von sieben Nummer-eins-Hitssowie den zweiten Grammy Award. Whitney Houston wurde zur erfolgreichsten Sängerin der Welt und blieb doch ein unbeschriebenes Blatt. Keine Drogen, keine Sex-Geschichten, überhaupt wenig Privates. Von ihren Konzerten hieß es, sie seien perfekt, aber es fehle ihnen an Seele. Der Boulevard begann, sich ein wenig über das Sauberfräulein lustig zu machen. Was Anfang der Neunziger folgte - ein weiteres Album, der Film "Bodyguard", die Hit-Single "I will always love you" - war immer noch enorm erfolgreich, doch es konnte der Whitney-Geschichte nichts hinzufügen. Die blieb überschaubar und auf makellose Weise unfertig.

Whitney Houston rtr

2006 präsentierten sie sich als glückliche Familie: Von ihrem Mann Bobby Brown ist Whitney Houston seit zwei Jahren geschieden, Tochter Bobbi lebt heute bei ihr.

(Foto: Foto: Reuters)

Wenn sich bei "Deutschland sucht den Superstar" eine Kandidatin vorwerfen lassen muss, sie sei "zu perfekt", dann kann man das zynisch finden. Aber es erzählt eben auch etwas über dieses Geschäft, in dem nie nur die Stimme, sondern immer auch die Biographie zu Markte getragen wird. 1992 heiratete Whitney Houston den R&B-Sänger Bobby Brown und schlingerte alsbald durch die Klatschblätter wie ein Dreimaster, an dessen Steuer keiner mehr steht. Kurz: Sie gab den Leuten etwas, über das sie reden konnten.

"Whitney Houston wiegt nur noch 40 Kilogramm!" (Hello Magazine). "Whitney und Bobby: Schlägerei in L.A." (USA Today). "Whitneys Tochter hat ihre Mutter mit einer Rasierklinge bedroht und dann versucht, sich umzubringen." (People Magazine). "Whitney Houston ist tot" (Radiomeldung aus dem Jahr 2001). Es war die Zeit, in der jeder alles behaupten konnte, weil es an Bord der Whitney keinen mehr gab, der noch hätte dementieren können.

Fotos zeigten die einstige Diva als ausgemergeltes und verwirrtes Drogenwrack, offenbar kam in dieser Lebensphase alles zusammen: Eheprobleme, Handgreiflichkeiten, der Streit um das Sorgerecht für die Tochter, nicht zuletzt Alkohol, Marihuana, Crack und Kokain. Whitney Houston erschien nicht mehr zu Proben, sagte Termine und Konzerte ab, sie ließ sich in eine Entzugsklinik einweisen und rannte nach wenigen Tagen wieder davon. In einem ihrer raren Interviews, bei denen sie noch bei Bewusstsein war, sagte sie: "Ich bin mein schlimmster Feind."

Am 1. September wird also, nach einer Pause von sieben Jahren, ihr neues Album "I look to you" erscheinen. Der Titelsong ist eine schmelzende, eingängige Ballade, die an das Frühwerk nahtlos anschließen würde - wäre in der Zwischenzeit nicht alles anders geworden. Diesmal gibt es ja etwas, von dem Whitney Houston erzählen könnte, und sie selbst hat diese Erwartung noch geschürt. Die Aufs und Abs der letzten Jahre, den Schmerz, die Verzweiflung, all dies werde man auf ihrem Album wiederfinden. "Das macht es wahrhaftig." Schon jetzt wird in den Musikforen im Internet jede Zeile der Lyrics auf ihren selbstreflexiven Gehalt hin abgeklopft, werden Vermutungen angestellt und Schlussfolgerungen gezogen - es gibt kein besseres Marketing als den möglichen Blick durchs Schlüsselloch auf ein kaputtes Leben. War Whitney nicht in der Hölle? Ist sie nicht deshalb zurückgekommen, um uns davon zu erzählen?

Von ihrem Mann Bobby Brown ist Houston seit zwei Jahren geschieden, die 16-jährige Tochter Bobbi lebt bei ihr. Es heißt, die Sängerin nehme schon länger keine Drogen mehr, habe ihr Leben wieder im Griff und sei bereit für "das Comeback des Jahres". Falls sie glaubt, die Vergangenheit irgendwann abhaken zu können, so hat ihr Publikum vorerst wenig Interesse daran. "Wird sie kommen?", notierte der Redakteur eines deutschen Promi-Blatts beim PR-Termin in London. "Die Spannung im Ballroom des Mandarin Oriental-Hotels steigt."

So viel Drama gibt die wiedergeborene Whitney allemal her.

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