"Das Beste kommt noch" im Kino:Träume von Elefanten

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Fabrice Luchini und Patrick Bruel sidn ein eingespieltes Team. (Foto: Constantin)

"Das Beste kommt noch": eine französische Tragikomödie über zwei Freunde und ihre letzten Wünsche.

Von Fritz Göttler

Englisch bitte, sagt Arthur zu seiner Tochter, die neben ihm im Auto sitzt. Die Eltern leben getrennt, an diesem Tag ist der Vater dran mit der Tochter. Und das Englisch will geübt sein, im täglichen Leben. Als er an einer Ampel halten muss, wendet Arthur sich an die Fahrerin im Wagen nebenan und spricht sie an - er wäre jetzt eine Weile hinter ihr her gefahren, und sie hätte nie mit ihrem Blinker die Richtungswechsel signalisiert, das sei gefährlich ... Ach, erwidert die Frau schnippisch, Sie fahren mir nach ... Die Tochter ist genervt und tut das dem Vater kund. Englisch please, meint der, die Tochter ganz folgsam: Fuck off, Dad.

Arthur ist ein Pendant, ein fröhlicher Spießer. Fabrice Luchini - man kennt ihn eher schusselig aus den comédies von Éric Rohmer, wo er sich immer wieder in amouröse und auch andere Beziehungen verhedderte - gibt ihn mit abgeklärter Korrektheit. Plötzlich hat Arthur ein Problem, er muss César, dem allerbesten Freund von Jugend an, mitteilen, dass er Lungenkrebs und noch etwa drei Monate zu leben hat. Weil Arthur der Zeitpunkt plötzlich ganz unpassend vorkommt, schiebt er, um César zu schonen, das aber erst mal hinaus.

Patrick Bruel ist César, wuchtig und draufgängerisch, seine Wohnung ist eben gepfändet worden, seine Freundin hat Schluss gemacht, und wegen Arthurs Zögerlichkeit kommt er versehentlich auf den Gedanken, dieser wäre der todgeweihte Patient. In schöner Parallelität arbeiten beide nun daran, dem anderen die letzten Tage zu verschönern, mit dem Wissen fertig zu werden, dass das Leben bald vorüber sein wird. Sois patient, ist die Parole, sei geduldig, als Patient.

Die bürgerliche Behaglichkeit gebiert Träume von Zersetzung und auch Zerstörung

Die bucket lists, die beide nun aufstellen, die Liste der Sachen, die man unbedingt noch machen sollte, aber sich bisher nicht getraut hatte, sind von schönster Diversität. Ein Fallschirmsprung, ein Autorennen fahren, einen Elefanten und einen Koala streicheln, das ist César. Den ganzen Proust noch einmal lesen, inklusive "Jean Santeuil", das ist Arthur. Abgehakt werden muss überkreuz, vom jeweils anderen.

Die Männer-Midlife-Krisen-Paare bevölkern eine Art eigenes Genre im französischen Feelgood-Kino der letzten Jahre, mit ihren verrückten Feiern von Lebenslust und Solidarität. Bei Alexandre de La Patellière und Matthieu Delaporte - bekannt durch den Erfolg von "Der Vorname" - ergibt sich Feelgood aus einem Reigen von Rücksichtnahmen. Immer nur die besten Absichten, das muss ins komische Chaos führen, zu Missverständnissen und Fehlleistungen. Der Tod ist die Wurzel des Unbewussten, sagt der Psychoanalytiker J.-B. Pontalis, und die Psychoanalyse in Frankreich, auch die, die das Kino praktiziert, ist immer existenzieller, gründlicher, fatalistischer, schwärzer.

Die Aktivitäten der letzten Tage schwanken in diesem Film zwischen Expansion und Intimität. Es gibt einen Trip nach Indien, zu einem erfolgreichen Heiler - er hat Armstrong geholfen (nicht dem Trompeter, dem Radfahrer) -, aber auch ein stilles morgendliches Beisammensein nach ereignisreicher Nacht am Strand von Biarritz. Und es gibt eine Rückkehr zum Vater, eine Versöhnung, eine neue Geborgenheit. Das französische Kino lebt von der Hermetik, nirgendwo sonst sind die Räume so abgeschlossen und gesichert durch Tradition und Stil wie die Apartments von Paris. Aber diese bürgerliche Behaglichkeit gebiert Träume von Zersetzung und Zerstörung - der Einrichtung, der Vorstellungen, der Beziehungen. In einer wilden Nacht, in der sie mit allen möglichen Tabus spielen, sieht man die beiden in ihren Tuxedos dahermarschieren - das höchste Gefühl der bürgerlichen Gefühle -, sie schauen eher lächerlich aus und sie wissen das. In einem noblen Restaurant markieren sie ein schwules Paar und lassen den Kellner - ein bisschen mehr Diskretion! - fröhlich auflaufen. Risiko und Verschwendung ist angesagt, die ökonomischen Berechnungen haben keine Gültigkeit mehr. Ich brauch ein bisschen Geld, sagt der Sohn zum Vater. Ein bisschen wie viel, fragt der Vater, Ein bisschen viel, sagt der Sohn.

Wenn es dann keine Zweideutigkeit und falschen Schlüsse mehr gibt, sieht man César verschwinden in einer dicht bevölkerten Straße, wirklich verschwinden, er ist mit einem Mal nicht mehr zu identifizieren, und die Kamera schwenkt hoch, ein paar Stromleitungen hängen quer die Straße, ein paar Tauben flattern herum, es geht immer weiter hinaus und dann bleibt nichts als der blaue Himmel. Der allerletzte Punkt auf der bucket list wird dann postum übermittelt.

Le meilleur reste à venir, F 2019 - Regie, buch: Alexandre de La Patellière, Matthieu Delaporte. Kamera: Guillaume Schiffman. Schnitt: Célia Lafitedupont, Sarah Ternat. Musik: Jérôme Rebotier. Constantin, 117 Minuten.

© SZ vom 09.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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