Süddeutsche Zeitung

Das Bauhaus:Mystik und Moderne

Einen völlig neuen Weg wollte das Bauhaus beschreiten. Die Grenzen zwischen Architektur, Theater, Kunst, Design sollten weichen, und auch Esoterik spielte eine Rolle. Der große Ruhm entstand erst im Ausland.

Von Thomas Steinfeld

Soviel Vernunft mag keiner widersprechen. Sie scheint nur etwas Einfaches zu verlangen, etwas Praktisches und Gutes: Ein Haus ist mehr oder minder rechteckig, es braucht ein Dach (womöglich ein flaches), und es ist symmetrisch angelegt. So war es eigentlich fast immer, doch im frühen 20. Jahrhundert entstand in Architektur und Kunst eine Schule, die das Selbstverständliche zu etwas ganz und gar Grundsätzlichem erhob: Das Bauhaus, erklärte der Architekt Walter Gropius in seinen "Grundsätzen der Bauhausproduktion" vom Sommer 1924, habe sich der "Beschränkung auf typische, jedem verständliche Grundformen und -farben, Einfachheit im Vielfachen, knappe Ausnutzung von Raum, Stoff, Zeit und Geld" verpflichtet. Fast hundert Jahre danach gelten immer noch dieselben Regeln, und es sieht nicht so aus, als ob sich in den kommenden Jahrzehnten daran etwas ändern würde.

Auf der ganzen Welt wird nach den Prinzipien des Bauhauses gebaut und gestaltet - vor allem gilt das für Bürobauten und Hochhäuser. Und längst gelten seine Maximen für eine unendliche, immer noch größer werdende Zahl von Gebrauchsgegenständen. Die Stile mögen vergangen sein, etwaige Ornamente werden, wenn nicht selbst als historisch, so doch als Zitat von etwas Vergangenem wahrgenommen. Das Bauhaus in seiner scheinbaren Einfachheit hat alle anderen Stile nicht nur überlebt, sondern auch abgelöst. Dieser Stil ist, so möchte man meinen, eigentlich gar kein Stil mehr, sondern eine Kultur, so groß und so allgemein, dass sie am Ende als die Sache selbst erscheint.

Entstanden war das Bauhaus unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg aus der Kunstgewerbeschule in Weimar, die von Henry van de Velde geleitet worden war, einem der wichtigsten Architekten des Jugendstils. Im Frühjahr 1919 wurde der Berliner Architekt Walter Gropius zu ihrem Direktor ernannt. Bald darauf gelang es ihm, sie mit der "Hochschule für Bildende Kunst" am selben Ort zu vereinen, und dann dauerte es nicht lange, bis wiederum daraus das "Staatliche Bauhaus Weimar" geschaffen war - möglich waren solche eiligen Gründungen nur in der politischen Wirrnis nach dem Krieg, und vermutlich auch nur in einer berühmten ehemaligen Residenzstadt in der thüringischen Provinz. Zugleich aber strebte man, in Weimarer Tradition, nach dem Höchsten, nach einer Vereinigung von Kunst und Handwerk, von Architektur und Bildender Kunst, von Bauwesen und Inneneinrichtung. Viele der Lehrer, darunter die Maler Johannes Itten, Lyonel Feininger, Gerhard Marcks, Oskar Schlemmer oder Wassily Kandinsky, waren erfolgreich gewesen, bereits bevor sie nach Weimar kamen. Das gilt auch für Paul Klee, der im Januar 1921 als Werkstattmeister für Buchbinderei ans Bauhaus kam. Walter Gropius versorgte einen großen Teil der Schule mit den Aufträgen an sein privates Architekturbüro. Sie alle hatten handfeste Gründe, nach Weimar zu kommen: Das Bauhaus schien ihnen etwas zu bieten, was sie allein nicht hätten erreichen können. Hier, mochten sie gedacht haben, lasse sich eine neue Wirklichkeit ins Bild setzen, mit Hilfe einer großen Gruppe von Gleichgesinnten. Hier könne die Form für eine neue Welt entstehen.

Die eilige Gründung war wohl nur in den politischen Wirren nach dem Krieg möglich

Das Bauhaus, so erinnert man sich heute (wobei man die Kunst und den Übergang in die Abstraktion gern als etwas minder Bedeutsames behandelt), betrieb die Anpassung an die Erfordernisse der Zeit in der Architektur und in der Formgebung des Hausrats, es machte sich zum ersten Mal in der deutschen Kunstgeschichte die Sache der seriell reproduzierbaren Form zu eigen. Aber diese Erinnerung zieht eine gerade Linie durch einen krummen, unsicheren Anfang.

Das Bauhaus hatte als Schule des Lebens begonnen, tiefer verwurzelt in den volkspädagogischen Vorstellungen des Jugendstils, in den mystischen Theorien der Jahrhundertwende, die in Weimar so viele Propheten gefunden hatten, als es die scheinbar klare Sprache der Vernunft heute ahnen lässt. Der "Monte Verità", die Künstlerkolonie der Lebensreform im Tessin, war für das Bauhaus von größerer Bedeutung als die Möglichkeit einer amerikanischen Industriearchitektur. Der Maler Johannes Itten, neben Walter Gropius der wichtigste Lehrer am frühen Bauhaus, "Formmeister" der meisten Werkstätten, Erfinder und Leiter des "Vorkurses", hing nicht nur esoterischen Lehren an, sondern machte sie zur allgemein verbindlichen Lebensform: Berühmt ist sein gescheiterter, aber mit Vergnügen überlieferter Versuch, eine fleischlose Bauhaus-Diät nach den Vorschriften des Mazdaznan, einer aus der "Zarathustra-Gesellschaft" in Zürich und Leipzig hervorgegangenen diätetischen Heilslehre, durchzusetzen.

Als der Maler Wassily Kandinsky 1922 als Meister an das Bauhaus kam, hatte er die universalen Geheimnisse der Madame Blavatsky im Gepäck. Auch Paul Klee hatte sich (und mehr noch seine Frau) immer wieder intensiv mit okkulten Glaubenslehren beschäftigt. Und sogar das Bauhaus als solches, das pädagogische Konzept der Schule, ist von esoterischen Ideen durchzogen, von der Initiation im "Vorkurs" bis zur Organisation der einzelnen Werkstätten nach dem Modell der gotischen Bauhütte, von Lehrling und Meister bis zur gemeinsamen Kleidung mit dem kragenlosen Hemd und der Trichterhose. "Wollen, erdenken, erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird", schrieb Walter Gropius im "Manifest" des Bauhauses von 1919, "Architektur und Plastik und Malerei, der aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen wird als kristallines Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens."

Die Einfachheit, die das Bauhaus propagierte, war viel mehr als etwas Einfaches: In der Reduktion auf die schlichtesten Elemente der Geometrie sollte sich letzte Wahrheit erschließen, die Befreiung vom Ornament war das größte aller Ornamente. Das frühe Bauhaus war deswegen auch ein ästhetischer Geheimbund. Der ungarische Architekt László Moholy-Nagy, der in den späten dreißiger Jahren das "New Bauhaus" in Chicago gründete, erinnerte sich aus gutem Grund an ein "logenhaftes Gemeinschaftsleben", und diese Formel war eher vorsichtig gewählt.

Sechs Jahre, vom April 1919 bis zum März 1925, blieb das Bauhaus in Weimar. Es ließ nur ein kleines, nahezu unbewohnbares Modellhaus oberhalb des Parks an der Ilm zurück. Tatsächlich hätte das Bauhaus überall existieren können, und das tat es denn auch. In Dessau, wohin es im April 1925 zog, hatte es mehr Erfolg. Weit entfernt von der lebensreformerischen Radikalität der frühen Jahre baute man dort vor allem Häuser. Der Berliner Otto Bartning, ein Anhänger eines einfachen, handwerklich orientierten Klassizismus, übernahm 1928 die Leitung der staatlichen Bauhochschule mit einem deutlich höheren Etat. Der Architekt Ernst Neufert, im Jahr zuvor noch Büroleiter bei Gropius, wurde Leiter der Bauabteilung an der Hochschule. Vor allem in Jena entstanden nun die Häuser, die das Weimarer Bauhaus nie gebaut hatte - doch langsam, aber sicher brach das Bauhaus auseinander, weil der politische Druck immer größer wurde, aber auch aufgrund von inneren Querelen. Als Paul Klee im Sommer 1931 eine Professur in Düsseldorf annahm, hatte er sich von den ursprünglichen Konzepten längst weit entfernt. Die Nationalsozialisten hatten andere Vorstellungen vom "großen Bau", das Bauhaus ging ins Exil: nach Schweden und nach Tel Aviv, nach Südamerika und nach Nordamerika, wo es sich mit der Glas-, Beton- und Stahlarchitektur zum mächtigsten Stil der Moderne zusammenschloss: Dort entstand der große Ruhm des Bauhauses, nach dem Zweiten Weltkrieg, und als er nach Deutschland zurückkehrte, war er ein Widerhall aus Chicago, Boston und New York.

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SZ vom 29.03.2018
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