Es ist, als tauchte beim Familientreffen nach langen Jahren der eine merkwürdige Onkel wieder auf. Ach ja, der! Hat der nicht früher immer so verschrobene Witze erzählt? Und spätabends mit quäkiger Stimme lauter böse Lieder gesungen, über die anderen Onkel und über die Nachbarn? Ganz schön alt ist er geworden. Warum war der eigentlich so lang nicht mehr da?
Ja, wo war Randy Newman so lang? Sein letztes Album hat er vor neun Jahren veröffentlicht, davor war (abgesehen von ein paar Neueinspielungen alter Songs) auch schon neun Jahre Pause. Nennt man das noch Karriere? Seine Erklärung, vor Kurzem in einem Interview dahingeschnoddert: Er habe keine Lust gehabt. In ein Studio gehen und Songs aufnehmen, das sei eben einfach nicht besonders aufregend. Fertig, aus.
Hübsche Melodien und großartig böse Texte
Na ja, ein bisschen wunderlich war er immer - inzwischen ist er noch dazu 73 Jahre alt, ziemlich behäbig und sehr weißhaarig. Altersmäßig gehört Randy Newman, geboren 1943 in Los Angeles, zur Generation der Beatles und Rolling Stones. Aber er wurde er erst viel später bekannt, Anfang der Siebzigerjahre. Ein linkischer Typ mit großer Brille, Sozialkundelehrersakko und einem Schwung Lieder, denen man die Liebe zum Jazz anhörte, zum Broadway, zum Schwarz-Weiß-Film. In die hübschen Melodien verpackt dann aber: großartig böse Texte, sarkastische Beschreibungen dumpfer Patrioten und Parodien amerikanischer Politiker, die sich dank Atombombe für übermenschlich halten ("Political Science").
"Short People" wurde 1977 zum Klassiker, geschmeidiger L. A.-Pop, dazu dann aber der berüchtigte Text: Ich mag keine kleinen Menschen, kleine Menschen haben keinen Grund zu leben, sie haben kurze Babybeine und so weiter. Es war klar, wie das gemeint war, so überdeutlich, ein Lied über Vorurteile.
Aber prompt nahmen viele den Text für bare Münze und demonstrierten gegen Newman. Also: Skandal. Also: Hit. Keiner brachte Satire und Ohrwurm so auf einen Nenner wie dieser eigenartige Typ. Bis heute ist er auf dem Feld ziemlich allein, eine Art Georg Kreisler der Westcoast.
Jetzt hat sich der weißhaarige Mann also wieder einmal in ein Studio bemüht und neue Songs aufgenommen. Und anscheinend kam in der langen Pause seit dem letzten Album dann doch viel zusammen, was rausmusste: "Dark Matter" ist Randy Newman in hochverdichtet. Es geht los mit der atemlosen Zirkusvorstellung "The Great Debate": pathetisches Intro, dann Jazz-Nummer, ein paar Takte Gospel, auf einmal schräge Geigen, Märchenerzählerstimme, plötzlich Spukmusik, harter Wechsel zur Nachtclub-Säuselei, wieder zurück zum Gospel, dann eine Art Hymne, die gleitet in eine Country-Rock-Nummer, wieder Geigen, ein pathetisches Ende, das zu jedem Republikanerparteitag passen würde, schließlich die Ziellinie, Schlussakkord. Wumm. Die halbe amerikanische Musikgeschichte in acht Minuten, neun Sekunden. Dagegen ist "Bohemian Rhapsody" ein Kinderlied. Und im Text wird nicht weniger verhandelt als der ganz große Streit zwischen Wissenschaft und Religion, es geht um die Evolution, Charles Darwin taucht auf, Newman macht sich lustig über Kreationisten und Orthodoxe aller Art, singt mit verschiedenen Stimmen alle Personen und Rollen, dazwischen gibt er auch noch den Erzähler. Absolut irre. Und irre gut.
Aber Newman hat in all den Jahren, schon zu "Short Poeple"-Zeiten, auch hemmungslos romantische Songs geschrieben, große Liebeshymnen, kleine Alltagsgeschichten. So sehr er in manchen Momenten wie ein singender Michael Moore klang, so freudig johlte er plötzlich Cowboy-Songs (bei "Rider In The Rain" sangen sogar seine Freunde von den Eagles den Chor). Auch auf "Dark Matter" gönnt sich Newman wieder tolle, große Tränendrüsenmomente.
"Lost Without You" ist eine fürchterlich deprimierende Geschichte von Alter und Demenz, unterlegt von schweren Streichern. "She Chose Me" ist eins von diesen Liebesliedern, in denen der Sänger staunt, warum die wunderbare Frau eigentlich ausgerechnet mit ihm, dem Nichtsnutz, zusammen ist: "I'm not much to talk to / And I know how I look / What I know about life / Comes out of a book / But of all of the people / There are in the world / She chose me".
"On The Beach" erzählt zu Schunkeljazz die rührende Geschichte eines Kerls, der in jungen Jahren irgendwie in der Strandromantik hängen geblieben ist und heute als Obdachloser zwischen neuen Schnellstraßen übernachtet, genau da, wo es einst schön war. Eine traurige Miniatur in starken Bildern, dazu täuschend gemütlicher Strandpromenadenswing: Wer bitte außer Newman macht so etwas sonst? Da fällt einem höchstens noch Tom Waits ein - beide wühlen gern in denselben Kisten mit den Erinnerungsstücken der amerikanischen Songwriter-Tradition, beide lieben Geschichten über Sonderlinge, beide singen, nun ja, eher auffällig.
Fein komponierte Kammermusik wie für die Leinwand geschrieben
Das irrste Stück des Albums ist "Putin": Zu überdrehter Revue-Musik besingt Newman den russischen Präsidenten, der gern den harten Kerl mit freiem Oberkörper gibt, als Comedy-Figur, als selbstherrliche Nudel. "He can drive his giant tractor / Across the trans-siberian plain / He can power a nuclear reactor / With the left side of his brain" - er fährt auf einem Riesentraktor durch Sibirien und kann einen Atomreaktor mit seiner linken Hirnhälfte steuern. Dazu Musical-Hektik, ein Saloon-Frauenchor ("It's the Putin girls!"), eine einzige gigantische Farce, ganz großes Kino, ein Song wie ein Mel-Brooks-Film.
Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert
Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.
Dabei wollte Newman ja viele Jahre lang irgendwie vom Kino wegkommen. Er hatte gleich drei Onkel, die große Filmkomponisten waren, Alfred Newman allein hat sagenhafte neun Oscars gekriegt. Dass Neffe Randy sich auskennt, dass er mit Jazz aufgewachsen ist und später Musik studierte, das war immer deutlich zu hören. Er konnte mal eben Gershwin-Akkorde rausperlen, wenn es ihm gefiel, auf seinen Platten findet sich immer wieder fein komponierte Kammermusik. Und vieles wirkte wie für die Leinwand geschrieben. Tatsächlich hat ja Newman in all den Jahren auch viel Filmmusik komponiert, unter anderem für "Ragtime" und "Zeit des Erwachens".
Er ist selbst ein großer Geschichtenerzähler
Aber er wollte nicht nur die Begleitmusik für die Geschichten anderer schreiben, er ist ja selbst ein großer Geschichtenerzähler, einer, der Figuren erfindet und sie in seinen Liedern auftreten lässt, zu Szenen arrangiert, ins Unglück stürzt, in den Himmel erhebt. Sein Pech oder Glück, dass er mit den Soundtracks erfolgreicher wurde als mit allem anderen. Er ist seit Jahren der Hauskomponist von Pixar, hat die Musik für alle "Toy Story"-Filme geschrieben, für die "Monster AG", für "Cars", dazu die Soundtracks für Ben Stillers "Meet The Parents"-Reihe. Inzwischen hat er zwei Oscars, sechs Grammys, drei Emmys und einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame.
Klar, da kann einer leicht sagen, er habe einfach keine Lust mehr gehabt, ein Al-bum aufzunehmen. Vielleicht hat er aber all die viele Zeit von Album zu Album einfach gebraucht, um zu sich selbst zu finden: Auf "Dark Matter" lässt Newman seine verschiedenen Welten endlich so hemmungslos aufeinanderkrachen wie nie zuvor. Liedermacherkunst und gesungenes Kino, Satire, Pop, Jazz und weiß gelocktes Eigenbrötlertum. Mal zart und wehmütig, mal ganz groß inszeniert, mit Pauken und Trompeten - im übertragenen wie wörtlichen Sinne. Ein buntes, lautes, herrliches Affentheater.
Ein Song über Donald Trump?
Ach so, eins noch: Hätte ein Künstler wie Randy Newman nicht längst einen Song über Donald Trump schreiben müssen? Wo ist der König der Pop-Satiriker, wenn man ihn braucht? Die Antwort: Er hat längst einen geschrieben.
In einem Interview verriet er gerade den Text, es wurde ein Lied, das vom ewigen Schwanzvergleichen handelt, gipfelnd in dem Refrain: "There's my dick / Isn't that a wonderful sight? What a dick / What a dick!" Die Zeilen handeln im amerikanischen Englisch natürlich nicht nur vom Unterleib, sondern können eben auch bedeuten: "Was für ein Trottel." Ziemlich passend also. Aber dann hat Newman den Song einfach weggeworfen. Sein Argument: "Ich wollte zu dem ganzen grässlichen Thema nicht auch noch was beitragen." Wahre Größe.