Dankesrede für Literaturpreis:Büchner-Preisträgerin Terézia Mora besorgt über Radikalisierung

Georg-Büchner-Preis für Terezia Mora

Georg-Büchner-Preisträgerin 2018: Die deutsch-ungarische Schriftstellerin Terézia Mora

(Foto: dpa)

"Der Fisch stinkt vom Kopf her": Die deutsch-ungarische Schriftstellerin prangert in ihrer Dankesrede an, dass es Hetze inzwischen auch auf Regierungsebene gebe.

In ihrer Dankesrede für den Georg-Büchner-Preis hat die Schriftstellerin Terézia Mora eine Veränderung der Debattenkultur kritisiert. In den vergangenen drei Monaten habe sich die öffentliche wie die private Rede in eine Richtung radikalisiert, "die uns zu recht besorgt sein lässt", sagte die 47-Jährige am Samstag bei der Preisverleihung im Staatstheater in Darmstadt. Der bedeutendste deutsche Literaturpreis ist mit 50 000 Euro dotiert.

"Früher konnte ich sagen: hetzerisches Reden findet in Deutschland wenigstens nicht auf Regierungsebene statt. Das kann ich so nicht mehr", sagte sie in ihrer Rede, die als Brief an einen Freund verfasst war. "Der Fisch stinkt vom Kopf her, aber - machen wir uns nichts vor - auch überall anderswo." Am Ende komme es darauf an, "was du tust oder nicht tust".

Mora erinnerte an den ungarischen Schriftsteller Peter Esterházy (1950-2016), von dem sie zahlreiche Werke Esterházys ins Deutsche übersetzt hat. Gegen ihn und andere als "'linksliberal' verschrieene Künstler" laufe derzeit eine Kampagne in Ungarn. Diese richte sich gegen jede Form von Intellektualität.

Ähnliche Sorgen äußerte ein weiterer Preisträger, der österreichische Autor, Journalist und Übersetzter Martin Pollack, der am gleichen Abend mit dem Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essays ausgezeichnet wurde. Der 74-Jährige forderte in seiner Dankesrede angesichts des Zulaufs zu rechten und rechtsextremen Parteien in Europa: "Für die Demokratie müssen wir kämpfen, jeden Tag." Und: "Wir müssen alles tun, um die Zivilgesellschaft aufzurüsten und zu stärken."

Moras Werke treffen den Nerv der Zeit, so die Jury

Terézia Mora widmet sich in ihren Romanen und Erzählungen Außenseitern und Heimatlosen, prekären Existenzen und Menschen auf der Suche. Sie treffe damit schmerzlich den Nerv der Zeit, heißt es in der Begründung der Jury. Schonungslos nehme sie die Verlorenheit von Großstadtnomaden in den Blick und lote die Abgründe innerer und äußerer Fremdheit aus. "Dies geschieht suggestiv und kraftvoll, bildintensiv und spannungsgeladen - mit ironischen Akzenten, irisierenden Anspielungen und analytischer Schärfe."

Die bereits mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin und Übersetzerin wurde 1971 in Ungarn geboren und wuchs zweisprachig auf. Seit 1990 lebt sie in Berlin, wo sie Theaterwissenschaft und Hungarologie studierte und an der dortigen Filmhochschule das Drehbuchschreiben lernte. Ihr Debut gab Mora 1999 mit dem mehrfach ausgezeichneten Erzählband "Seltsame Materie". Der Großstadtroman "Alle Tage" (2004), dessen vielsprachig-nomadischer Held Abel Nema Höllenfahrten erlebt, wurde von der Kritik als literarisches Ereignis gefeiert.

In ihren Frankfurter Poetikvorlesungen "Nicht sterben" berichtete sie, wie sie zum Schreiben fand und wie viel Mühe sie darauf verwendet, in ihre Figuren die abschüssigen Schrägen, die Löcher des Selbstverlustes einzuzeichnen. Für ihren Roman "Das Ungeheuer" - den zweiten Band einer Trilogie über das Leben des IT-Spezialisten Darius Kopp - erhielt sie 2013 den Deutschen Buchpreis.

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt vergibt den Büchner-Preis seit 1951 an Schriftsteller, die in deutscher Sprache schreiben. Zu den Preisträgern gehören Max Frisch (1958) und Günter Grass (1965) sowie zuletzt Jürgen Becker (2014), Rainald Goetz (2015), Marcel Beyer (2016) und im vergangenen Jahr der Lyriker Jan Wagner. Das Preisgeld stammt vom Bund, dem Land Hessen und der Stadt Darmstadt. Namensgeber ist der Dramatiker Georg Büchner, zu dessen bekanntesten Werken das Dramenfragment "Woyzeck" gehört. Er wurde 1813 im Großherzogtum Hessen geboren und starb 1837 in Zürich.

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