Süddeutsche Zeitung

Konzert in der Isarphilharmonie:Noten wie einzeln hingestochen

Daniil Trifonov spielt zur Eröffnung der Isarphilharmonie alle fünf Klavierkonzerte von Beethoven.

Von Helmut Mauró

Fünf hochkarätige Konzerte mit den Münchner Philharmonikern und dem Mariinsky-Orchester, geleitet von Chefdirigent Valery Gergiev, ergänzt durch den Klaviersolisten Daniil Trifonov. Und dies in einem neuen Konzertsaal, dessen Eröffnung man ebenfalls mit Spannung erwartete. Was zunächst wie ein Nachschlag zum Beethoven-Jahr anmutete, Trifonov spielte an jedem Abend eines der fünf Klavierkonzerte Beethovens, entpuppte sich nach und nach weniger als Rückschau, sondern als durchaus riskanter Aufbruch in eine neue Kunst des Hörens. Das betraf zunächst den neuen Saal, der schon jetzt von den Münchnern heißgeliebten Isarphilharmonie, ein gelungenes und auch schon hinreichend besungenes Provisorium, das an den ersten Tagen über einige Planungsmängel hinwegsehen ließ; etwa die fehlende Pausenbewirtung, die vor allem das junge Publikum frustrierte.

Wichtiger allemal ist die Akustikfrage des neuen Saals, die sicherlich noch eine Weile kontrovers und wie in der alten Philharmonie mal sachlich, öfter aber emotional diskutiert werden wird. Um es kurz zu machen: Wenn man die Wahl hat, sollte man die ersten Reihen meiden. Der Orchesterraum ist für eine große Besetzung wie bei Mahler oder Strauss relativ eng. Das hat den Vorteil, dass man im ganzen Saal gut hören kann, selbst auf den obersten hintersten Plätzen. Das hat aber auch den Nachteil, dass sich der Klang in den ersten Reihen nicht wirklich zu einem runden Ganzen verdichtet. Und während es die Aufgabe der Architekten und Akustiker ist, einen möglichst für alle Ensemblegrößen passenden Saal zu bauen, ist es die Herausforderung an den Dirigenten, mit den akustischen Gegebenheiten umzugehen und das Orchester darauf auszurichten.

Häufig zerfiel der Orchesterklang in seine Einzelteile, darunter metallisch scharfe Geigen

Bei einem so hochkarätigen Orchester wie den Münchner Philharmonikern ist das - wenn auch nicht ganz ohne ein paar knirschende Scharnierstellen - gut möglich, meist sogar sehr gut. Bei einem klanglich weniger ausbalancierten Ensemble wie dem Mariinsky-Orchester gerät man da offenbar schnell an die Grenzen des Machbaren. Warum, fragte man sich etwa in Beethovens fünftem Klavierkonzert, glaubt das Fagott, hier oder dort ein Solo zu haben? Wo es doch nur den Bass farblich grundieren und etwas profiliert anschärfen soll? Solcherlei Überraschungen gab es immer wieder, und über weite Strecken zerfiel der Orchesterklang in seine Einzelteile, in oft metallisch scharfe Geigen und in sich disparate Bläser. Man spielte mit unhistorisch und unnötig großer Besetzung.

Und Trifonov? Hatte seine überzeugendsten Auftritte an den ersten beiden Abenden, mit Beethovens viertem und erstem Klavierkonzert. Gerade letzteres, dieses stets unterschätzte Meisterstück, gestaltet Trifonov wie kein Zweiter. Es ist noch nicht der rigoros-pathetische oder gar machtvoll wütende Beethoven, sondern der vorsichtig sich vorwärts arbeitende, dennoch mit sicherer Hand formvollendet gestaltende Melodiker Beethoven. Trifonov widersprach spielend der Legende, dieses Konzert sei noch mehr Mozart als Beethoven. Allerdings wurde der Wunderpianist hier auch kongenial begleitet von den Münchner Philharmonikern unter dem mit linker Flatterhand nervös agilen und hörbar zischenden Valery Gergiev. Am letzten Abend war es dann ein erträglicheres leises Fauchen. Tiervergleiche bieten sich an, helfen aber nicht weiter. Schließlich zählt das Ergebnis, und das war, was die Philharmoniker mit Trifonov betrifft, trotz teils sehr breiter Tempi wirklich phänomenal. Auch wenn man bei letzterem eine neue Tendenz entdecken kann, die Fragen aufwirft. Warum bricht er neuerdings immer öfter aus dem vorgegebenen Taktschema aus, warum setzt er seinem traumhaften Pianissimo ein manchmal doch etwas grob anmutendes Forte entgegen? Am dritten Abend, bei Beethovens drittem Klavierkonzert, klang der Flügel gar oftmals polternd.

Was Trifonov an den Beethoven-Konzerten aber besonders profiliert herausstellt: dass sie gleichermaßen eine neue Epoche des Virtuosentums einläuteten und eine weite Rückbesinnung auf das rein Melodische verkörpern, klassisch-romantische Zwitterwesen sind, die erst dann voll zur Geltung kommen, wenn man eine Balance zwischen diesen beiden Parametern schafft. Manches wirkt zunächst irritierend, die metrischen Verschiebungen etwa, vor allem aber die phrasierungstechnische Dialektik aus etwas härterem als dem konventionellen Portato und einem weich fließendem Legato. Das wirkt dann nach diesem Portato, das kein Legato mehr ist aber auch noch kein Stakkato, noch zwingender, oft wie erlösend nach den einzeln hingestochenen Noten des Seitenthemas. Da entfaltet Trifonov große Wirkung, vielleicht ein wenig auf Kosten der Beethovenschen Vorstellungen, wie sich die Themen gegenüberstehen und aufeinander zubewegen sollen. Man hört das bei Trifonov zwangsläufig neu, und das schadet ja erst mal nicht. Wer es traditioneller haben will, ist bei der neuen Aufnahme des ebenso hypersensiblen Krystian Zimerman bestens aufgehoben.

Was in dem noch ungewohnten Saal mit Dirigent Gergiev möglich wurde, erstaunte

Im Übrigen besticht Trifonov, mehr denn je, durch eine ganz andere Dialektik: der makellosen Technik unter ihm und der inspirierten und inspirierenden Musikalität in ihm. Das schien auch die Philharmoniker anzuregen, wie umgekehrt leider das Mariinsky-Orchester den Pianisten zu beeinflussen schien, noch eigenwilliger, für sich zu agieren. Am auffälligsten erschien dies an den Schnittstellen, beim Wiedereintritt des Orchesters etwa am Ende der Solokadenz, das Trifonov so genau auf den Zielpunkt hin dramatisierte, dass nicht nur Schlusston der Kadenz und Einsatzakkord des Orchesters passgenau in eins fielen, sondern gleichsam auch die innere Haltung, die damit einhergeht. Das ist ein Ergebnis höchster Konzentration und gegenseitigen Mitdenkens, wie man es kaum je erleben kann.

Die Münchner Philharmoniker konnten ihren Part indes in den umrahmenden Stücken, vor allem in Richard Strauss' "Ein Heldenleben" noch einmal in aller Größe und Intensität ausleben. Beeindruckend: der allmähliche klangliche Umschlag vom Melancholischen ins aufrecht Fatalistische. Was da an Klangzauber in dem noch ungewohnten Saal mit Dirigent Gergiev möglich wurde, erstaunte, überwältigte Zweifel. Auch der Pianist Trifonov stellte sich noch solistisch vor, mit Zugaben, die auf seinem neuen Album "Bach: The Art of Life" zu finden sind. Ein Menuett aus dem "Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach", die Transkription des Liedes "Bist du bei mir" oder die Choralbearbeitung "Jesu bleibet meine Freude". Immer hochkonzentriert, noch mehr bei sich als ohnehin schon, mitunter ebenso eigenwillig phrasierend wie in den Klavierkonzerten zuvor. Was das begeisterte Publikum erst recht in Wallung brachte. Jubelstürme allenthalben.

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