Süddeutsche Zeitung

Daniela Krien: "Der Brand":Es könnte alles so einfach sein

Isses aber nicht: Daniela Krien erzählt in ihrem uckermärkischen Kammerspiel "Der Brand" von einer Liebe, die erlischt.

Von Cornelius Pollmer

Die Anamnese der Ehe von Rahel und Peter beginnt mit einem Rüstungsbericht. Teure Trekkingstiefel hatte Peter sich gekauft, "fußstabilisierende Socken" und "eine erstklassige Jacke", vielleicht sogar in derselben Farbe wie die Jacke seiner Frau, man muss immer mit dem Schlimmsten rechnen. Ihrerseits hatte Rahel fast täglich Sport getrieben, zur Vorbereitung auf einen Wanderurlaub, der nun kurz vor der Abreise platzt - die akribisch recherchierte und langfristig gebuchte Hütte in den Ammergauer Alpen ist abgebrannt.

Der Plan war gewesen, sich mit ausgedehnten Touren täglich jene wohltuende Ablenkung und Erschöpfung zu erarbeiten, die Paare mit Problemen einigermaßen friedlich durch den Urlaub bringen können. Die Umplanung sieht vor, dass Rahel und Peter wochenlang das Haus einer Freundin in der Uckermark hüten. Dort gibt es viele Erinnerungen, etwas Gartenarbeit und ein paar versehrte Tiere - eine einohrige Katze, einen flugunfähigen Storch, eine dreiundzwanzig Jahre alte Fuchsstute. Dort gibt es sonst allerdings - nahezu nichts.

Rahel und Peter begeben sich in ein Krisengebiet, in dem fußstabilisierende Socken kaum helfen. Sie begeben sich in das Krisengebiet ihrer Ehe und ihrer Lebensläufe, auch in die Krise einer Gesellschaft, zu der sich beide aus nur teilweise unterschiedlichen Gründen kaum noch zugehörig fühlen.

Fast wird das Ferienhaus zum Lazarett in Selbstverwaltung

Peter ist Germanistik-Professor an der TU Dresden und hat dort jüngst einen schweren identitätspolitischen Unfall erlitten, von dem er sich kaum je erholen wird - er hatte die nicht-binäre Olivia P. zunächst beharrlich als Frau angesprochen, woraufhin P. einen Shitstorm organisierte. Rahel ist Psychotherapeutin und beginnt in diesem Nicht-Urlaub bald, sich selbst zu behandeln. Es ist, auf ganz eigene Weise, wie im Actionfilm, wenn der Held sich vor einem stumpfen Spiegel die Patrone aus dem Oberarm holt und die Wunde dann mit Wodka ablöscht.

"Der Brand" ist der dritte Roman der Leipziger Autorin Daniela Krien, deren großer Erfolg im erweiterten Literaturbetrieb nicht immer nur registriert wird. Manchmal schwingt in Texten der stumpfe Snobismus mit, dass niedrigschwellige Pageturner keine Wow!-Literatur sein könnten. Das Gegenteil lässt sich gut begründen. Mit "Der Brand" gelingt Daniela Krien erneut eine unheimlich präzise Studie darüber, wie deutsche bürgerliche Erwachsenennormalität aussehen kann.

Der Roman enthält gerade so viel landschaftsmalerische Dekoration, dass er noch unterhalb der Kitschgrenze bleibt. Und er ist ansonsten wieder reduziert auf Wesentliches. Wesentlich ist für die Autorin in "Der Brand" die Inspektion einer erlöschenden Liebe. Wesentlich ist für sie aber auch das Nachdenken über die Entfremdung liberal denkender Menschen in Zeiten eines "moralischen Rigorismus", wie es Krien kürzlich in einem Gespräch mit der NZZ am Sonntag formulierte.

Daniela Krien benötigt für ihr Erzählen keinen barocken Handlungsrahmen, das lässt sich auch daran sehen, dass der Versuch eines größeren Plot Twists in diesem Buch etwas schiefgeht, sonst jedoch kaum etwas. Kriens Paradedisziplin bleibt die Reduktion. Sie bringt in einem von Baufälligkeiten bedrohten Haus in müder Landschaft mit müden Tieren ein Kammerspiel zur Aufführung. Hauptpersonen dieses Kammerspiels sind die ihrerseits müden Eheleute Rahel und Peter, geleitet werden sie von einer Frage, die gar nicht mal unausgesprochen bleibt. Rahel fragt sich und ihren Mann, "Peter, was ist mit uns?"

Er fühlt sich nicht gesehen, sie sich nicht begehrt

Fast wird das Ferienhaus zum Lazarett in Selbstverwaltung. Rahel leidet unter der Appetenzstörung ihres Mannes, dieser wiederum zieht sich auch deswegen zurück, weil er sich von seiner Frau weder gesehen noch geborgen fühlte, als manche Studierende ihn an der Uni am liebsten oben- wie untenrum enthauptet hätten. Zum Fluchtpunkt wird die Uckermark zudem für die beiden erwachsenen Kinder, die wie Rahels Patienten auf der Suche nach "Sinngebundenheit und Würde" in Schwierigkeiten geraten.

In diese konkreten privaten Krisen mischen sich jene der Welt. "Das Virus" taucht lange nur als Tupfer in wenigen Sätzen auf und später häufiger, ohne allerdings dem Buch das Schandmal "Corona-Literatur" einzuhandeln. Auch ein spezifisch ostdeutscher Biografieschaden beschäftigt die Familie. Die bei den Eltern anhaltende Halbdistanz zum kapitalistischen System ist eine Position, in der man besonders gut zugrunde gehen kann.

All dies verdichtet sich zu einem gewissermaßen gesamtuckermärkischen State of Mind. Da sind viele Wochen Urlaub auf dem Land mit genügend Geld, sich guten Wein und frischen Fisch zu kaufen, und trotzdem ist da eine depressive Verstimmung. Es könnte alles so einfach sein - ist es aber nicht.

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