Daniel Strassberg: "Der Teufel hat keine Zeit":Denken üben

Daniel Strassberg: "Der Teufel hat keine Zeit": Die Eleganz der mittleren Distanz: der Psychiater, Lehrer und Kolumnist Daniel Strassberg.

Die Eleganz der mittleren Distanz: der Psychiater, Lehrer und Kolumnist Daniel Strassberg.

(Foto: Rotpunktverlag)

Mit den Widersprüchen lebt es sich besser: Daniel Strassbergs famoses Kolumnenbuch "Der Teufel hat keine Zeit".

Von Jens-Christian Rabe

Seit gut 15 Jahren gibt es in einer breiteren, intellektuell interessierten Öffentlichkeit ein stark gestiegenes Interesse an Philosophen und philosophischen Gedanken aller Art. Es existieren mit dem Philosophie Magazin und Hohe Luft nicht nur zwei niedrigschwellige Zeitschriften, sondern auch populärphilosophische Bestseller wie Wolfram Eilenbergers Buch "Zeit der Zauberer" - und mit der Phil Cologne in Köln längst ein großes Publikumsfestival. Die Stimmung ist gern andächtig, beseelt vom Versprechen dabei zu sein, wenn Denker denken. Und doch bleibt die Flughöhe oft verblüffend niedrig, weil lieber schlaglichthaft Klassiker-Wissen und Weltanschauungen präsentiert werden, statt tatsächlich Denken geübt, als Praxis der Erkundung und Infragestellung von Wissen und Weltanschauungen.

Wäre das von einer Kulturpublizistik, die ja auch - ob sie will oder nicht - dem unerbittlichen Zwang zu unterhalten unterliegt, zu viel verlangt, weil zu methodisch, zu wenig konkret? Vielleicht. Aber Annäherungen wären ja auch schon etwas, zum Beispiel in der Art, wie sie seit einigen Jahren dem Schweizer Psychiater, Psychoanalytiker und Philosophielehrer Daniel Strassberg in seiner wöchentlichen Kolumne im feinen (und hierzulande zu wenig beachteten) Schweizer Online-Magazin Republik gelingen. Womöglich ist es die beste philosophisch inspirierte deutschsprachige Kolumne, die es derzeit gibt. Was für ein Glück, dass es unter dem Titel "Der Teufel hat keine Zeit" nun 41 Folgen davon auch als Buch gibt.

Daniel Strassberg: "Der Teufel hat keine Zeit": Daniel Strassberg: Der Teufel hat keine Zeit - Philosophisch-politische Betrachtungen. Rotpunktverlag, Zürich 2022. 220 Seiten, 25 Euro.

Daniel Strassberg: Der Teufel hat keine Zeit - Philosophisch-politische Betrachtungen. Rotpunktverlag, Zürich 2022. 220 Seiten, 25 Euro.

(Foto: Rotpunktverlag)

Die Themen sind so unterschiedlich wie zeitgenössisch: die ständige Beschwörung des Volkswillens, gendergerechte Sprache, die Bürokratie, die hypochondrische Vernunft, das ewige Rechthabenmüssen, das Persönlich-Nehmen oder der Zwang zur pointierten Verallgemeinerung. Aber immer gelingt dem 1954 in St. Gallen geborenen Strassberg auf gerade einmal drei bis sechs Seiten das Kunststück, die Dinge verblüffend leichtfüßig schwerer zu machen, komplizierter - und also wahrer. Es geht ihm darum, sich in "eine mittlere Distanz" zu den Problemen zu begeben, dorthin, "wo das Objektiv sich für Verschlingungen und Unebenheiten, Widersprüche und Unsicherheiten öffnet". Der hohe Preis der Eindeutigkeit sei dagegen, "dass Widersprüche auseinandergerissen würden und als Kampf zweier Parteien" inszeniert würden, was bloß zu faulen Kompromissen führe, die "uns später um die Ohren fliegen".

Konkret kann das dann auch mal den Rat bedeuten, im Alltag auf alle Verallgemeinerungen zu verzichten und auf Behauptungen anderer nur zu antworten: Manchmal ist es so, manchmal anders, es kommt darauf an. Man würde so zwar sicher keine Wahlen gewinnen und keine wichtigen Bücher schreiben, aber "Sie werden die Welt anders erfahren. Als wäre sie ein großer Roman".

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