Übernahmen in der Buchbranche:Die Kampfansage

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Ressourcen teilen, Backlists zusammenführen: Daniel Kampa in seinem Zürcher Büro im Jahr 2019. (Foto: mauritius images / Keystone)

Der kleine Literaturverlag Kampa hat mal eben zwei Konkurrenten übernommen, und die Branche reibt sich die Augen: Wie macht er das? Ein Besuch in Zürich bei dem Verleger Daniel Kampa.

Von Miryam Schellbach

Ein Buchladen ist nicht zu sehen. Der Weg vom Zürcher Hauptbahnhof in das beschauliche Anwohner-Quartier, in dem der Kampa-Verlag sein Zuhause gefunden hat, führt an keinem Geschäft vorbei, dessen Schaufenster mit Büchern wirbt. Woanders in Zürich gibt es sie noch, die inhabergeführten Buchläden, in denen gestöbert und beraten wird. Sie sind besonders wichtig, gerade für Bücher mit kleiner Auflage und damit für den Kampa-Verlag, einen 2018 gegründeten Verlag, der nach kürzester Zeit schon schwarze Zahlen schreibt und gerade bekannt gab, zwei weitere, traditionsreiche Literaturverlage eingekauft zu haben: den Frankfurter Schöffling-Verlag und den Salzburger Jung-und-Jung-Verlag. Seitdem fragt sich die halbe Buchbranche: Wie ist so etwas möglich?

Es soll ja Verleger geben, die Jeans tragen, Wuschelhaar und unordentlich aus dem Jackett ragende Hemdsärmel. Daniel Kampa ist von der anderen Sorte. Er ist ein Anzug-Verleger, und er hat sich vorzeigbar eingerichtet in Zürich, in einem hellen Ladengeschäft mit Intelligenzija-Flair, Altbau, Fischgrätenparkett und Edelstahl-Kaffeemaschine. Vor dem Laden ist ein Weihnachtsbaumhändler zwischenstationiert, er darf Kampas Strom nutzen, der Verleger hofft, dass im Gegenzug am Ende eine Tanne für ihn übrig bleibt.

So ähnlich soll jetzt auch der Verlag funktionieren, nach dem Prinzip geteilter Ressourcen. Die "Backup-Synergien" kleiner Verlage seien die einzige Antwort auf die Krise des Buchmarkts, sagt Kampa, Kleinstverlage müssten sich zusammen organisieren, den teuren Vertrieb oder die aufwendige Netzwerkpflege teilen, einander helfen bei den komplizierten Lizenzverhandlungen und ein selbstbewussteres Gegengewicht gegenüber den Handelsfilialen und, ja, auch den Onlinehändlern bilden.

Die Überlebenschancen von kleinen unabhängigen Verlagen verschlechtern sich

Die Übernahmen sind so gesehen eine Kampfansage an die Konzentrationen in der Buchbranche. Es gibt immer mehr Kettenbuchhandlungen, die kleinen Geschäfte verschwinden, heute gibt es nur noch knapp halb so viele wie vor zwanzig Jahren, ihre Zahl ist kontinuierlich rückläufig. Der Internetbuchhandel nimmt zu, die Innenstädte veröden. Für kleine Verlage ohne die mächtigen Vertriebssysteme der Konzerne im Rücken, macht es das schwer, ihre Bücher den Leserinnen oder Lesern überhaupt erst mal bekannt zu machen.

"Eigentlich möchte ich nur Bücher machen und in zehn Jahren noch auf dem Markt sein", sagt Kampa. Das ist kein bescheidener Wunsch, denn die Überlebenschancen von kleinen unabhängigen Verlagen verschlechtern sich stündlich. Altehrwürdige Häuser wie der für seine manuskriptnahen Transkriptionen und aufwendigen Gesamtausgaben berühmte Stroemfeld-Verlag schlossen auf ewig ihre Türen. Auf der anderen Seite treten zunehmend kleine und mittelständische Unternehmen unter das Dach von großen Verlagsgesellschaften; die Vielfalt der Branche, so befürchten viele, leidet darunter.

In Zürich jetzt also die Gegenidee, ein bibliophiles, hierarchiefreies Netzwerk, eine Armada der Kleinverlage. "Wir wollen nicht wachsen, um zu wachsen, ich spreche lieber von Kooperation, das hört sich sonst so merkantil an", sagt Kampa. Diese habituelle Kritik am freien Markt wirkt angesichts von Kampas selbstbewusstem Auftreten auf ebenjenem Markt etwas kokett. Vor drei Jahren hat er seinen eigenen Verlag gegründet, zuvor war er Verleger des Hamburger Hoffmann-und-Campe-Verlags gewesen und davor bei Diogenes in Zürich, wo er unter anderem das Werk von Georges Simenon betreute. So erfolgreich, dass Simenons Erben ihm die Rechte anvertrauten. Er konnte Simenon also mitnehmen in seinen neuen Verlag, eine schöne Geschäftsgrundlage. Nun also baut er seinen Erfolg aus, indem er zwei der feinsten und beliebtesten kleinen Häuser Deutschlands und Österreichs an seine Seite nimmt.

Einen dritten, den Atlantis-Verlag, hat Kampa gemeinsam mit der Verlegerin Daniela Koch aus einer 30-jährigen Todesstarre reanimiert. Atlantis war der erste Verlag, in dem Max Frisch seine Werke veröffentlichte, im ersten Programm 2022 wird auch ein Buch von ihm sein. Auch in diesem Jahr neu unter dem Kampa-Schirm ist der Aki-Verlag, ein Imprint, gegründet von der Verlegerin Ann Kathrin Doerig, mit einer Spezialisierung auf Autorinnen der 60er-Jahre, Dorothy Gallagher oder Audre Lorde etwa, deren Ruhm im deutschsprachigen Gebiet unverdientermaßen noch etwas auf sich warten lässt.

Das Kampa-Programm selbst lässt sich schwer charakterisieren, es ist ein Füllhorn von fast allem. Da sind die Bücher von Georges Simenon und Louise Penny: "Die Kriminalliteratur finanziert unseren Verlag", sagt Kampa, und die Mischkalkulation erlaubt ihm, auch postmigrantische Autofiktion von Jamaica Kincaid und Jean Kyoung Frazier zu verlegen und Gesprächsbände mit Margaret Atwood oder Carolin Emcke.

Für den kleinen Kampa-Verlag, der weniger als zehn Mitarbeiter hat, ist die Erneuerung im Jahr 2021 ungefähr so drastisch wie der Umstieg von der Kutsche ins Flugzeug ohne Umweg über das Auto. Das Haus vereint jetzt Verlage aus drei deutschsprachigen Ländern unter seinem Dach, deren Buchmarkt doch nach je unterschiedlichen Regeln funktionieren. Aber auch inhaltlich legt Kampa Tempo vor: Es gibt den Verlag überhaupt erst seit drei Jahren, trotzdem hat er schon eine Nobelpreisträgerin im Programm. Seine polnische Mutter, die bis heute nicht so recht versteht, was er da arbeitet, habe ihm einst die Lektüre von Olga Tokarczuk empfohlen, erzählt Kampa. Er sicherte sich die deutschsprachigen Rechte an ihrem Werk, 2018 erhielt sie den Literaturnobelpreis.

Das Jahr 2021, das Jahr der geschlossenen Buchläden, des Papiermangels und der Umsatzeinbrüche ist das beste des Verlags gewesen. Aber dennoch, Jung und Jung und den Schöffling-Verlag hat auch Daniel Kampa nicht aus der Portokasse kaufen können, das Geld haben ihm Freunde geliehen, das sei einfacher gewesen als es bei der Bank zu bekommen, sagt er, denn es brauche schon etwas Idealismus dafür, Geld in eine so unsichere Branche zu pumpen. Glücklicherweise gebe es immer noch Leute, "die an das Buch glauben", "buchbegeisterte Menschen eben", die gern beitragen. Ihre Namen will er nicht nennen.

Bei Schöffling dürfe alles bleiben, wie es seit der Verlagsgründung sei

In Frankfurt gab es einige, die das Schlimmste befürchteten, als vor wenigen Wochen bekannt gegeben wurde, dass der alteingesessene Frankfurter Schöffling-Verlag vom Jahreswechsel an zu Kampa gehören wird. Nach dem Wegzug von Suhrkamp 2010 zählt die Buchmessestadt jeden ihrer übrig gebliebenen Verlage wie Ringe am Finger. Aber alles dürfe bleiben, wie es seit Verlagsgründung 1993 sei, sagt der neue Chef, "der Schöffling-Verlag und seine Mitarbeiter bleiben in Frankfurt". Wie auch Jung und Jung in Salzburg.

Mit Schöffling kauft der Verlag die Werke von Eva Demski, Guntram Vesper, Ror Wolf, Joshua Cohen, frühe Veröffentlichungen von Juli Zeh und nicht zuletzt Elisa Diallo, eine der talentiertesten jungen Lizenzmitarbeiterinnen der Branche. Und mit dem Salzburger Jung-und-Jung-Verlag holt er unter anderem die Werke von Xaver Bayer oder Ursula Krechel und eine der großzügigsten Verlagsförderungen Europas ins Haus. Allein in den letzten drei Jahren hat der österreichische Staat Jung und Jung mit 400 000 Euro Verlagsförderung gestützt.

In Deutschland forderten 2018 in der "Düsseldorfer Erklärung" 60 Verlegerinnen und Verleger mehr staatliche Hilfe für ihre Unternehmen. Die damalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters antwortete mit der Einrichtung des deutschen Verlagspreises, der zumindest symbolpolitisch unterstützt und Aufmerksamkeit bringt. "Es war schon immer schwierig, mit guten Büchern Geld zu verdienen. Mittlerweile ist es aber sogar schwierig, mit schlechten Büchern Geld zu verdienen", sagt Kampa zum Abschluss. Daran fällt zweierlei auf. Erstens klingt es, als hätte er diesen Satz schon ziemlich oft gesagt. Und zweitens scheint für Kampa diese nüchterne Diagnose kein Grund zu sein, den Mut zu verlieren.

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