Dan Brown: "The Lost Symbol":Das blasse Böse

Konkurrenz für Katholiken: In Dan Browns neuem Roman "The Lost Symbol" werden auf sechshundert Seiten die Geheimnisse der Freimaurer gejagt.

Thomas Steinfeld

Ganz zu Beginn des Romans, auf der elften Seite, sieht der Feind noch halbwegs böse aus: "Sein mächtiger Körper war rasiert und glatt. Er senkte seinen Blick und richtete ihn auf seine Füße, auf die Gefieder und Krallen eines Habichts tätowiert waren. Seine muskulösen Beine waren als kannelierte Säulen tätowiert - sein linkes Bein in Spiralen, sein rechtes in vertikalen Streifen. Boas und Jachin.

Dan Brown, Foto: AP

Das Böse ist nicht besonders böse, dafür das Gute umso besser. Eine abgeschnittene Hand ist das erste Zeichen, das die Hauptfigur Robert Langdon in Dan Browns neuem Roman zur Suche nach Lösungen treibt.

(Foto: Foto: AP)

Der Feind schrumpft

Leisten und Unterleib bildeten einen geschmückten Torbogen, über dem seine kraftvolle Brust vom zweiköpfigen Phönix geziert wurde ...die Köpfe jeweils im Profil, so dass Mal'akhs Brustwarzen die Augen bildeten. Seine Schultern, Hals, Gesicht und der rasierte Schädel waren vollständig bedeckt mit einem kleinteiligen Geflecht uralter Symbole und Siegel. Ich bin ein Kunstwerk ...ein Zeichen, das bald sichtbar sein wird."

Doch schrumpft der Feind im Laufe der Geschichte, und auch wenn er seine niederträchtigen Absichten bis zum Ende weiterverfolgt, so ist doch darunter längst ein anderes Wesen erkennbar: das verstoßene Kind. Die Blässe des Bösen aber ist der größte Mangel in "The Lost Symbol", dem neuen Roman von Dan Brown. Am Dienstag ist das englische Original erschienen, für Mitte Oktober ist die deutsche Übersetzung angekündigt. Seine Schwäche mindert die Spannung, sie verwandelt, was ein Thriller sein sollte, in Erbauungsliteratur.

Was bleibt, ist die wilde Jagd von Geheimnis zu Geheimnis, von Auflösung zu Auflösung. In diesem, seit Jahren von Millionen Lesern heiß erwarteten Roman, dem dritten, der Robert Langdon, dem "Symbologen" von der Universität Harvard gewidmet ist, geht die Hatz durch Washington, die Hauptstadt der Vereinigten Staaten. Ihre Architektur ist, wie sich erweist, von Symbolen der Freimaurer durchsetzt, und zwar vor allem in jenen Gebäuden, denen das größte mediale und touristische Interesse gilt: im Capitol und darin der National Statuary Hall, im Lincoln Memorial und der Library of Congress, im Washington Monument und, naheliegend, im House of the Temple.

Etwas mehr als sechshundert Seiten hat das Buch, es könnten auch vierhundert oder achthundert sein. Denn weil das Böse so schwach ist und sich kaum selbst von der eigenen Bosheit überzeugen kann, fällt es als gestaltendes Prinzip aus, obwohl es dauernd aktiv ist: "Wenn sie nur meine Macht kennten", sagt es einmal zu sich selbst, als wäre es der Schauspieler der eigenen Figur. Der Rest des Buches besteht aus einer Reihe mehr oder minder aufregender Entschlüsselungen, deren Zahl sich beliebig vermehren oder vermindern ließe.

Das Zentrum einer globalen Macht

Der vermeintliche Anruf eines älteren Freundes lockt Robert Langdon nach Washington. Er soll einen Vortrag über die Symbolik der Freimaurer in Washington halten. Doch als er ankommt, wo die Veranstaltung hätte stattfinden sollen, liegt dort nur die abgeschnittene Hand seines Mentors, komplett mit Siegelring und der Ziffer "33", die den Träger als Bruder des Obersten Rates ausweist.

Wolle er seinen entführten Freund retten, erfährt Langdon, müsse er die größten und tiefsten Geheimnisse der Freimaurer entschlüsseln, die, wie sich bald erweist, nicht nur allesamt in Washington zu finden sind, sondern auch das Zentrum einer globalen Macht bilden. Und so entziffert Robert Langdon in größter Eile ein Symbol nach dem anderen, nicht ohne zwischendurch immer wieder als Nachschlagewerk daherzureden: "Bekannt als die Unvollendete Pyramide, erinnerte der Gegenstand symbolisch daran, dass der Mensch im Aufstieg zur Vollendung seiner Möglichkeiten immer unvollendet ist."

Dabei ist ihm das Böse auf den Fersen, weil es sich mit Hilfe des "Symbologen" seinerseits vollenden möchte, als was auch immer. Und auch der CIA in Gestalt einer sehr männlichen Orientalin jagt ihn (jedenfalls bis auf weiteres), schon weil es ihr unangenehm wäre, wenn etwa arabische Fernsehsender bekannte amerikanische Politiker in wunderlicher Kleidung bei ausgefallenen Riten zeigten.

Gut, dass es Freimaurer gibt

Wenn das Böse nicht besonders böse ist, sind die Guten um so besser: Tatsächlich tastet Dan Brown die Freimaurer nicht an. Mehr noch: er verehrt sie, und das nicht nur, weil sie - was historisch verbürgt ist, aber im 18. Jahrhundert, weil fast jeder halbwegs gebildete Mann Freimaurer war, wenig Aufsehen erregte - an der Entstehung der Vereinigten Staaten so großen Anteil hatten.

Aus der Bewunderung für die Freimaurer aber spricht eine Sehnsucht. Denn was sind die Freimaurer, wenn nicht die dunkle Seite der Aufklärung: die zu einer streng hierarchisch gegliederten Geheimorganisation gewordene Anmaßung, man wisse schon, was für den Rest der Menschheit gut oder schlecht sei?

Ein höchst elitäres Modell von Macht, Wissen und Herrschaft zieht sich durch alle "symbologischen" Romane Dan Browns. Und auch wenn die Kategorie "Schund" verschwunden ist und die Trivialliteratur in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen erstaunlichen Anstieg in der Achtung der kulturellen Eliten erlebte, und auch wenn es dabei nur um Fiktionen geht, sei doch gesagt: Es wird nicht leicht sein, noch konservativere, ja: noch reaktionärere Phantasien zu finden. Der Übergang zur "psychotechnischen Übungsgruppe" (Peter Sloterdijk) ist bei den Helden Dan Browns fließend.

Weil es auf diese Phantasien aber ankommt, weil jedes geheime "Symbol" zu ihrer Bestätigung dient, ist es beinahe gleichgültig, ob der "Plot", die Dramaturgie aufgeht oder nicht. Ja, es spielt nicht einmal eine Rolle, dass das Prinzip Freundschaft und Familie - der verstoßene Sohn des großen Freimaurers, seine Schwester, die zu Robert Langdons Gefährtin wird, der "Symbologe" selber - dem Prinzip der Brüder- oder Eidgenossenschaft widerspricht.

Und es ist erst recht bedeutungslos, dass Dan Brown - hier wie in "Sakrileg" - von Ketzern erzählt, ohne der Orthodoxie einen auch nur halbwegs angemessenen Auftritt zu gewähren. Entscheidend ist das unendlich oft wiederholte Erscheinen neuer Symbole und deren Entschlüsselung durch einen einzigartig begnadeten Deuter, der wesentlich mehr Ähnlichkeiten mit L. Ron Hubbard und dessen ungeniertem Eklektizismus besitzt als mit irgend einem real existierenden Wissenschaftler.

Sie Sonne über Washington als abschließende Symbolik

Denn jedes Symbol ist die Bekräftigung arkaner Kenntnisse, und jede Auflösung vergrößert den Abstand zwischen dem Missionar und seiner Gemeinde. Anders gesagt: auch wenn es sich hier nur um einen "Thriller" und also pure Erfindung handelt, so ist die paranoide Geschichtswissenschaft, aus dem diese Erfindung gemacht ist, doch alles andere als bedeutungslos. Wer das Buch bis zum Ende liest, gelangt zu einer Epiphanie. Die geheimste aller geheimen Botschaften der Freimauerei wird entschlüsselt, die Lehre liegt offen da: Gott ist alle Menschen, alle Menschen sind göttlich, die Freimauerei ist der Weg zu dieser Erleuchtung.

Schon "Sakrileg" hatte ein ähnliches Ende, als sich erweisen sollte, dass Jesus Christus mit Maria Magdalena eine Familie gegründet habe, deren Nachfahren bis auf den heutigen Tag lebten. Ein seichter, vulgärer Pantheismus bildet den Schluss auch dieses Thrillers, und danach geht über Washington die Sonne auf. Ihr erster Strahl lässt die Spitze des Washington Monument, des höchsten Obelisken der Welt, aufleuchten.

Und Robert Langdon "dachte an die Wissenschaft, an den Glauben, an den Menschen. Er dachte daran, wie jede Kultur, jedes Land zu jeder Zeit doch immer einer gemeinsamen Vorstellung gewärtig war. Wir haben alle einen Schöpfer." Die Katholische Kirche hat sich immer wieder gegen die Romane Dan Browns gewehrt. Man beginnt sie zu verstehen. Denn so spricht kein Heide. So spricht die Konkurrenz.

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