"Ulisse" in Frankfurt:Es forscht der Mensch, bis er stirbt

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Luigi Dallapiccolas "Ulisse" an der Oper Frankfurt: Iain MacNeil (Odysseus) und seine Ruderer im Zwischenreich. (Foto: Barbara Aumüller)

Sinnsuche mit Zwölftonmusik: Luigi Dallapiccolas "Ulisse" an der Oper Frankfurt.

Von Michael Stallknecht

"Erforschen wollt' im Leben ich Gutes und Böses": So führt sich der Titelheld von Luigi Dallapiccolas "Ulisse" selbst auf der Bühne der Oper Frankfurt ein, fast nackt dem tobenden Meer entronnen. Wie in Homers Epos hat Odysseus schwimmend die Insel der Phäaken erreicht, wo er von seiner Vergangenheit erzählt: von der Suche nach Liebe bei Kalypso und Kirke, von den Lotophagen, die Menschen glücklich machen, indem sie sie Vergangenheit und Zukunft vergessen lehren. Doch Ulisse, wie er in der italienischen Welt heißt, will nicht vergessen, sondern, so erzählt es der zweite Akt der Oper, zurückfinden nach Ithaka, zu seiner Frau Penelope, auch wenn er dort zum Mörder an ihren inzwischen zahllosen Freiern werden muss.

Luigi Dallapiccola (1904 - 1975) ist hierzulande vor allem durch seine Oper "Il Prigioniero" bekannt, mit der er in der Nachkriegszeit zum führenden Komponisten eines politisch engagierten Musiktheaters arrivierte. Dass der Italiener zwanzig Jahre später in seiner letzten Oper nochmal ganz andere - mythischere, philosophischere - Bahnen beschritt, verstörte nicht nur bei der Uraufführung an der Deutschen Oper Berlin im hochpolitischen Jahr 1968. Bis heute hat sich das Werk kaum auf den Bühnen durchgesetzt, das die Oper Frankfurt nun wie seinerzeit in Berlin in deutscher Übersetzung neu zur Diskussion stellt.

Die Regisseurin Tatjana Gürbaca lässt es in einer Zwischenwelt spielen: Eine Art düsteres Parkdeck (Bühne: Klaus Grünberg) erscheint als Sinnbild der Totenwelt des Hades, in die Ulisse in der zentralen Mittelszene hinabsteigt, aber auch als Bild des Meeres, dessen schwarze Wellen von Bühnenarbeitern für die offenen Verwandlungen hineingerollt werden. Die Kostüme von Silke Willrett zeigen Menschen von zeitloser Gegenwärtigkeit, nur vereinzelt erscheinen antikisierende Attribute wie faunische Hörnchen bei der Orgie am Hofe Penelopes. Der enorm darstellungsfreudige, dabei fabelhaft homogen klingende Chor der Oper Frankfurt stürzt sich lustvoll hinein; aus seinen Reihen lässt Gürbaca zu Beginn einen Ulisse erwählen, der einfach irgendjemand ist - oder "niemand", wie er in der Oper immer wieder genannt wird.

Glücklich wird Ulisse nicht, sterbend treibt er aufs Meer hinaus

Das ist weit mehr als eine Anspielung auf die homerische Szene rund um den Riesen Polyphem. Im selbst geschriebenen Libretto ging es Dallapiccola um den Menschen der Moderne, der alles erforscht, sich dabei aber selbst fremd geworden ist, der keine Grenzen anerkennt und sich dabei selbst zur Unkenntlichkeit, zur offenen Frage entgrenzt hat. Im Gegensatz zum Epos erkennt Penelope ihren "Niemand" am Schluss ohne Probleme wieder, aber glücklich wird Ulisse auch mit ihr nicht. Es treibt ihn erneut aufs Meer hinaus, wo ihm sterbend immerhin eine Gottesahnung zu Teil wird. Musikalisch hat Dallapiccola dafür eine ganz eigene Form der Zwölftonmusik entwickelt, der klanglich selbst etwas Forschendes, Gründelndes anhaftet. Der Dirigent Francesco Lanzillotta führt das detailintensiv spielende Frankfurter Opern- und Museumsorchester mit behutsamer Aufmerksamkeit hindurch, scheut Klangballungen nicht, betont aber doch vor allem die fließende Suche.

Orgie an Penelopes Hof (Foto: Barbara Aumüller)

Vielleicht müsste die Inszenierung dazu verrätselter ausfallen, als Tatjana Gürbaca es in ihrer souveränen, aber recht handfesten Erzählung tut. "Ulisse" ist kein Theaterwerk im eigentlichen Sinne, dazu mangelt es an dramatischen Verwicklungen, reflektieren sich die Figuren zu sehr selbst. Sie singen dabei freilich schöner, als es zwölftöniges Komponieren meist erlaubt. Mit unverkennbar italienisch geprägtem Sinn für das Kantable erkundet Dallapiccola die Möglichkeiten sämtlicher Stimmfächer. Da ist beispielsweise Katharina Magiera, die mit sämigem Alt in die Tiefengründe von Kirke und Melantho steigt, die dramatisch ergreifende Claudia Mahnke, der Ulisse als seiner toten Mutter im Hades begegnet, der süffige Tenor von Brian Michael Moore als Eumäos oder der markant virile Danylo Matviienko als Freier Antinoos. Sie alle bleiben aber letztlich Episode, während Iain MacNeil als Ulisse alles zusammenhält, mit einem herrlich bronzen gesättigten Bariton, der in der Höhe eine fast tenorale Wärme verströmt. Der noch recht junge Sänger übermittelt nicht nur die Selbstexegesen seiner Figur mit markanter Textverständlichkeit, sondern bindet sie auch stimmlich unter makellose Legatobögen.

Es gehört zur Programmpolitik des Frankfurter Intendanten Bernd Loebe, immer wieder unbekanntere Musiktheaterwerke vorzustellen. Dallapiccolas "Ulisse" erweist sich dabei als eines, das im Konzertsaal vielleicht besser aufgehoben ist als auf der Bühne, aber die Auseinandersetzung unbedingt lohnt. Weil Ulisse, dieser Niemand auf der Suche nach sich selbst, noch immer unser Zeitgenosse ist.

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