Süddeutsche Zeitung

Dagobert-Album "Afrika":Heilung für Hipster

Mit viel Schlager-Lalala singt Dagobert von der Liebe, vom Heiraten und von vergnügten Bienen. Meint der das ernst? Fünf Fragen, fünf Antworten - und eine exklusive Videopremiere.

Von Kathleen Hildebrand

Der Schweizer Schnulzensänger aus den Bergen, so nennt er sich selbst, macht es einem leicht, erst einmal an einen ziemlich guten Scherz zu glauben: Mit pomadisiertem Haar, Maßanzug und Seidenkrawatte singt er von der Liebe, vom Heiraten und von Kindern, die im Garten spielen. Vor zwei Jahren wurde sein Lied "Ich bin zu jung" zu einem kleinen Hit. Erst auf Youtube, dann in Berlin-Mitte und schließlich in den informierten Kreisen deutschsprachiger Großstädte. Jetzt erscheint mit "Afrika" sein zweites Album.

Warum tun wir uns das an?

Weil das Ziel vieler empfindsamer Menschen ist, nach einer Phase kultureller Distinktion irgendwann wieder am Lagerfeuer sitzen und "Wonderwall" mitsingen zu können - ohne dass man sich dabei schlecht fühlt.

Denn wer in Dagobert nur einen ziemlich guten, ironischen Schlagerparodisten sieht, hat höchstens die Hälfte verstanden. Dagobert nimmt die hohl gewordene Form, dreht an den richtigen Schrauben und füllt sie mit seiner melancholischen Alien-Persona: Dem jungen, etwas weltfremden Schnulzensänger aus der Schweiz, der fünf Jahre völlig isoliert in einer Berghütte wohnt und Liebeslieder schreibt. Das Ergebnis ist auf merkwürdige Weise extrem echt und geht einem wirklich nah. Dagobert kennt die Ironie. Aber er hat sie überwunden. So kann man auch klischee-empfindlichen Hörern wieder von der großen, wahren Liebe vorsingen: Dagoberts Musik ist die Heilung des Hipsters mit den Mitteln des Hipstertums.

Hier die Videopremiere von Dagoberts neuer Single "Wir leben aneinander vorbei" - exklusiv auf SZ.de:

Was gibt es auf dem neuen Album zu hören?

Erst mal weniger Synthie-Sounds als auf dem Debütalbum vor zwei Jahren und dafür mehr echte Instrumente. Im ersten Eröffnungslied "Afrika" rollt der Beat gleich gut und dumpf wie Buschtrommeln los: "Leb wohl! Ich verschwinde aus der Zi-vi-li-sa-tion." Und das in Dagoberts weicher Schweizer Aussprache, immer etwas melancholisch, aber wie gegen seinen Willen: "Ich will nicht, dass es traurig tönt" singt er. Tut es natürlich trotzdem. Dazwischen gibt es zum Trost sonnige, absurd schöne Zeilen wie: "Jenny mein Freund/Ich bin immer schön gebräunt", naives Keyboard-Geklimper und, ja, auch viele verzerrte E-Gitarren-Soli. Dagoberts musikalisches Erweckungserlebnis war nun mal "Wind of Change" von den Scorpions.

Bester Moment

Auf jeden Fall "Zehn Jahre". Da ist alles drin. Tief empfundenes Neo-Biedermeier ("Frauen sind zum Heiraten da/Dacht ich mir, als ich eine sah"). Dann die Enttäuschung - die Frau will zehn Jahre warten, bis sie Ja sagt ("Ich freute mich zu früh/Dachte nicht daran" und dann, geschmettert, "dass zehn Jahre lange sind und vielleicht viel zu lang"). Und schließlich doch wieder diese Hoffnung, die jeder außer Dagobert leugnen würde, auch wenn er sie genauso hegt: "Drei hab ich schon hinter mir/Dann noch drei und nochmal vier".

Schlimmster Moment

"Am Natronsee" in der Mitte des Albums. Ein langes Instrumental-Stück mit viel Hall auf einem nicht enden wollenden Gitarrensolo. Zu viel Scorpions, zu wenig Dagobert. Erst im letzten Viertel, wenn das Trommelfell schon blutet, kommen ein paar traurig-schöne Liedzeilen.

Unbedingt kaufen sollten Sie das Album, wenn ...

Sie zu viele große gesellschaftsanalytische Essays gelesen haben, die von der Unfähigkeit von Großstädtern handeln, sich hoffnungslos zu verlieben, sich zu binden und zusammenzubleiben. Mit anderen Worte: Kaufen sollten Sie die Platte, wenn es solche Zeilen sind, auf die Ihr Herz gewartet hat: "Wo du auch bist/Da blühen weiße Rosen/Und Bienenvolk vergnügt sich ringsumher".

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Quelle:
SZ.de/khil/crab/rus
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