3-D-Technologie:Flach ist die Einsamkeit

Wie weit darf ein Weg sein und wann ist ein Kuss ein Kuss? Dreidimensionale Filme stellen Regisseure auf die Probe: Der Raum muss nicht nur gezeigt, sondern auch gefüllt werden.

Bernd Graff

Das menschliche Gehirn ist hin und wieder etwas störrisch. Es sieht Tiefe, wo keine Tiefe ist, weil es Tiefe sehen will. Es versucht sogar bis zum Kopfschmerz, an einem Tiefen-Eindruck festzuhalten, auch wenn der nur Illusion ist und lediglich auf zwei übereinander gelegten Bildern gründet. Für das Kino bedeutet das, nicht nur das Herz, auch das Hirn will überrumpelt werden.

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Form, Farbe, Licht, Raum: Zum Beispiel am Animationsfilm

Up

kann man erkennen, wie die dritte Dimension die emotionalen Valeurs eines Filmes verändern kann.

(Foto: Foto: Verleih)

Seit James Cameron mit dem dreidimensionalen "Avatar" den kommerziell erfolgreichsten Kinofilm in der Geschichte des Bewegtbildes schuf, gelten die zum Teil seit 150 Jahren bekannten Verfahren, Bilder räumlich erscheinen zu lassen, derzeit wieder als ultima ratio der Filmschaffenden. Stereoskopie ist das Gebot der Stunde. Was gedreht wird, wird in den Raum hinein gestreckt. Sogar das, was zweidimensional produziert wurde, wird nachträglich mit Räumlichkeit versehen, wie etwa der kürzlich angelaufene "Clash of Titans".

Die Zukunft ist 3-D

Jeffrey Katzenberg, Filmproduzent und Miteigentümer von DreamWorks, meint, dass in drei Jahren jeder Film in 3-D erscheinen wird. Räumlichkeit gilt aber längst für alle Erscheinungsformen bildhaften Erzählens als die Zukunft, also auch für Computerspiele und TV.

Das hat zwei Gründe. Der Wichtigste ist sicherlich, dass die neuen Verfahren zur Produktion stereoskopischer Bilder wie die zur Ausgabe und Rezeption der Artefakte dank der Digitalisierung sehr weit entwickelt sind. Man kann die Plastizität der Bilder inzwischen pixelsicher steuern. Es ist möglich, dreidimensionale Bilder aufzunehmen, deren Tiefenwirkung von Computern optimieren und wieder ausgeben zu lassen. Zudem sind die Techniken für die Rezeption dieser Bilder, sprich die Technik in den Brillen, immens fortgeschritten. Heute befeuern Projektoren die Augenpaare mit wenigstens 120 Bildern in der Sekunde. Die aber werden geteilt: 60 Bilder rechts, 60 links, immer abwechselnd.

Batteriebetriebene Shutterbrillen, die vom Projektor per Infrarot gesteuert werden, verdunkeln dazu synchron das jeweils nicht informierte Auge. Jeweils 60-mal in der Sekunde wird jedes Glas schwarz. Zu häufig, um das Bild-Flimmern wahrnehmen zu können. Erzeugt wird so der Eindruck von Immersion, von umfangender, räumlicher Umgebung.

Der zweite Grund für den neuerlichen 3-D-Boom beruht auf kommerziellen Erwägungen. Angesichts der Bedrohung durch Raubkopien und hochauflösendes Fernsehen benötigt die Filmindustrie dringend überzeugende Alleinstellungsmerkmale, die das Erlebnis Film wieder einzigartig werden lassen. Jedenfalls solange, bis die Technik der 3-D-Fernseher diesen Vorsprung wieder wett gemacht haben wird. Die Bewegtbild-Branche macht sich 2010 also auf in die dritte Dimension. Es ist darum kein Wunder, dass die Fachkonferenz "fmx" für "Animation, Effects, Games & Interactive Media", die in der letzten Woche in Stuttgart von der Filmakademie Baden Württemberg ausgerichtet wurde, die Verfahren zur 3-D-Visualisierung zu einem ihrer Schwerpunkt-Themen machte.

Man muss den in Stuttgart vortragenden Niko Vialkowitsch von "parallax raumprojektion" und Josef Kluger von der Münchner "KUK-Filmproduktion" wirklich dankbar sein für ihre Erörterungen der physikalischen Voraussetzungen, die berücksichtigt sein müssen, um dem Auge Räumlichkeit überzeugend vorgaukeln zu können. Vialkowitsch und Kruger illustrierten sie an eigenen 3-D-Arbeiten. Vialkowitch hat einen Dokumentarfilm über das "Very Large Telescope" auf dem Berg Cerro Paranal in der chilenischen Atacama-Wüste gedreht. Kluger eine Filmreportage über ein Rennen auf dem Nürburgring und eine über eine Falkenjagd aus der Perspektive des Falken. Es sind also nicht ausschließlich synthetische Welten, für die 3-D eingesetzt werden kann.

Lesen Sie weiter auf Seite zwei, wie die dritte Dimension nicht nur Bildsprache, sondern auch die Art des Erzählens verändert.

Nähe und Distanz

Damit der Mensch einen Raum als Raum wahrnimmt, benötigt das Gehirn die Informationen von zwei geringfügig versetzten Bildern. 90 Prozent der Menschen sehen räumlich, 7 Prozent haben damit leichte Schwierigkeiten und 3 Prozent errechnen Distanz und Nähe aus Erfahrung, aktuelle Proportionen und Überdeckung. Die überwiegende Mehrheit aber sieht rechts und links zwei unterschiedliche Bilder, die vom Sehzentrum des Hirns zu einer räumlichen Erfahrung verrechnet werden.

Die beiden Bilder sind deswegen unterschiedlich, weil die Augen einen Abstand von etwa 60 Millimeter zueinander haben und deswegen jedes Objekt gleichzeitig aus unterschiedlichen Perspektiven wahrnehmen. Diese biologische Bedingungen des Sehens nutzt die 3-D-Darstellung. Sie zeigt gleichzeitig zwei Bilder eines identischen Objekts, verschoben um den Augenabstand und aufgenommen im anatomisch korrekten Winkel. Egal welche Projektionsverfahren dann zum Einsatz kommen, die Bilder werden nach der Helmholtz-Formel aus dem Jahr 1867 ausgegeben: WT = Z / ( (E/d) - 1)

WT = Z / ( (E/d) - 1)

Die Wahrnehmung von Tiefe (WT) ist demnach abhängig von der Entfernung des Zuschauers von der Leinwand (Z), vom Abstand der Objekt-Abbildungen in den beiden projizierten Einzelbildern (d) und dem anatomisch gegebenen Augenabstand des Zuschauers (E). Um es kurz zu machen: Je größer der Sichtabstand des Zuschauers von der Leinwand ist, (Z), umso größere Tiefe vermeint er zu sehen. Je weiter der Abstand der Projektionsabstand eines Objektes in den Teilbildern ist, (d), umso tiefer erscheint das Objekt in den virtuellen Raum gesetzt. Je enger die Augen zueinander stehen (E), umso tiefer positioniert erscheint das Objekt. Kinder sehen in demselben Film tiefere Bilder als Erwachsene. Mit diesen Parametern spielen nun die Filmemacher. Das geht umso leichter, als immer mehr Filmbilder gar nicht von Kameras aufgezeichnet werden, sondern gleich von Animations- und 3-D-Programmen errechnet werden. Diese Berechnungen wiederholt man, lediglich um einen virtuellen Augenabstand versetzt, für das Zweitbild. Das 3-D-Material so ist relativ schnell erstellt, doch die Filmschaffenden plagen weitere Sorgen.

Mit der dritten Dimension verändert sich allerdings auch die Bildsprache und die Art des Erzählens. Das Kino bekommt damit nicht nur eine neue räumliche, sondern auch eine neue semantische Dimension. Ob der Filmemacher das nun will oder nicht, er schafft neue Bedeutungsräume und muss sich darum kümmern. Denn nicht wenig Desorientierung und auch einige Zuschauer-Kopfschmerzen rühren daher, dass die Filmemacher trotz aller Widernatürlichkeit ihren Vorder- Mittel- und Hintergrund gleichermaßen scharf darstellen, ganz einfach, weil es eben möglich ist. Dann aber verliert das Auge den Halt und die Orientierung. Die Konzentration lässt nach. Geht ein Regisseur schlampig mit seinen neuen Räumlichkeiten um, wird das Raumvolumen über- oder unterdimensioniert, wodurch Distanz und Nähe von interagierenden Figuren bis ins Groteske verzerrt werden. Wie aber sind Raum-Akzentuierungen am schlüssigsten herzustellen? Wie weit darf ein Weg sein. Und wann ist ein Kuss ein Kuss?

Glaubwürdige Tiefe

Tim Burton, der in diesem Jahr mit Alice in Wonderland ebenfalls einen bahnbrechenden 3-D-Film in die Kinos gebracht hat, schwört auf eine nachträgliche, manuelle Bearbeitung der Filmbilder, die er jedoch klassisch mit einer Kamera, also in 2-D, aufgenommen hat. So habe er in der Postproduktion die größtmögliche Kontrolle über die entstehenden Tiefenwirkungen. Er muss dazu jedoch seine Objekte manuell freistellen und anschließend - notfalls Bild für Bild - im Raum positionieren, also von Hand die Pixelverschiebungen für das zweite Teilbild vornehmen. Sein Kollege James Cameron ist da ganz anderer Meinung: Avatar wurde von zwei Kameras im Augenabstand gedreht, weil, wie der Regisseur meinte, es "keinen Sinn macht, einen 3-D-Film in 2-D zu drehen." So sei es auch nicht sinnvoll, den für Shuttertechnik gedrehten Avatar in der DVD-Produktion für die rot-grünen Anaglyphen-Brillen umzuformatieren oder - noch schlimmer - 2-D-Filme, die nie für eine 3-D-Fassung konzipiert waren, nachträglich mit konstruierten Räumlichkeiten aufzublasen.

Dem würde auch Bob Whitehill zustimmen, der 3-D-Chef der "Pixar"-Studios. Er hielt in Stuttgart den beeindruckendsten Vortrag, weil er anhand von ausgesuchten Szenen des 3-D-Animationsfilms Up (Oben) demonstrierte, wie das Zusammenspiel von Form, Farbe, Licht und Raum die emotionalen Valeurs dieses Films entstehen lässt. So korrespondiere räumliche Tiefe hier mit glücklichen Momenten, flache Bilder mit der Einsamkeit der Hauptfigur. Whitehill will nicht Tiefe um jeden Preis, sondern glaubwürdige Tiefe. Aber dazu, rät er jedem Filmschaffenden, müsse man seinen Film schon dimensioniert haben, bevor man ihn gedreht hat.

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