3-D-Kino:Das geht uns zu nah

Totalitärer Anspruch: In einer nicht allzu fernen Zukunft sollen nur noch Filme in 3-D produziert werden. Dabei schafft die neue Technik meist keinen dreidimensionalen Raum - allenfalls 2-D in Scheiben. Daher sollte vielmehr gelten: Nieder mit dem 3-D-Kino! Eine Abrechnung.

Fritz Göttler

Der Frust kommt, wenn man im Kino mal die 3-D-Brille von der Nase nimmt, um sich die strapazierten Augen zu reiben - und er trifft einen fast schmerzhaft: diese unerwartete Leuchtkraft, diese strahlenden Farben, diese blendende Fülle des Lichts, die sich plötzlich von der Leinwand ergießt - und die von den 3-D-Brillen mit ihren Polarisationsfiltern den ganzen Film über heftig absorbiert wird.

3D Gläser auf der Internationalen Funkausstellung IFA

Bei der Internationalen Funkausstellung IFA lagen in diesem Jahr unzählige 3-D-Brillen in den Messehallen unter dem Funkturm in Berlin bereit, um das Angebot von 3-D-Fernsehen richtig wahrnehmen zu können. Ein größeres Sehvergnügen bieten die unförmigen Brillen nicht unbedingt - sie reduzieren das Licht und zwingen den Zuschauer dazu den Kopf möglichst unbewegt zu halten.

(Foto: dpa)

Man setzt die Brille zurück auf die Nase, und das Kino, diese Kunst des painting with light, sinkt zurück in einen diffusen Dämmer, das Blickfeld wird zusammengepresst wie in einem engen Gang.

Der absolute Kinoblick, das ultimative Kinoerlebnis, als das uns 3-D seit einigen Jahren (wieder) verkauft wird, ist in unseren Kinos im Augenblick - und wahrscheinlich sogar für immer - mit unglaublichen Einschränkungen und Nötigungen verbunden.

Die unförmigen Brillen, die Reduzierung des Lichts, der Zwang, den Kopf möglichst unbewegt zu halten, um Unschärfen und Schwindelgefühle zu vermeiden - das erinnert an die Situation, in der sich der arme Alex fand am Ende von Stanley Kubricks "Clockwork Orange", als er mit einer erzwungenen Bildertherapie umerzogen werden sollte zu einem nützlichen Mitglied der Gesellschaft.

Wie eine Zwangsverpflichtung zum nützlichen und wahren Kinoglück mutet auch der Propagandafeldzug an, der die Liebe zum 3-D in uns wecken soll - er kam so richtig in Fahrt, als James Camerons "Avatar" innerhalb weniger Monate zum erfolgreichsten Film der Welt wurde, was seine technische Avanciertheit anging und sein internationales Einspiel an den Kinokassen.

Die Zukunft des Kinos wird 3-D sein, hieß es danach, in einer nicht allzu fernen Zukunft werden nur noch Filme in 3-D produziert werden. Ein totalitärer Anspruch, wie er einem Anfang der fünfziger Jahre, als zum ersten Mal das Kino sich an 3-D versuchte, gewiss nicht in den Sinn gekommen wäre. Damals nahm man die neue Technik eher lässig und spielerisch - das berühmte Pingpongspiel aus "House of Wax"! -, und nach ein paar Jahren war alles wieder vorbei.

Die Absolutheit, mit der heute 3-D propagiert wird, wäre unerträglich, käme sie nicht von so sympathischen Leuten wie Jeffrey Katzenberg, dem Chef der DreamWorks Animation ("Shrek", "Kung Fu Panda", demnächst "Der gestiefelte Kater"), oder James Cameron, dem König der Kino-Welt. Das sind Lobbyisten der Extraklasse, Leute, die das Kino lieben und einen starken Sinn für Professionalismus und Perfektion haben, die wissen, was sie dem Publikum schuldig sind.

Sie sind mit ihrem Enthusiasmus damals vorgeprescht, inzwischen hat sich aber doch wieder Ernüchterung breitgemacht bei ihnen und in der Branche. Die teure Umrüstung der Kinos auf Digital- und 3-D-Betrieb geht langsamer als erwartet, und immer mehr Produktionen, die zweidimensional gedreht wurden und dann - 3-D-Aufnahmen sind aufwendig, umständlich und teuer - am Computer auf 3-D konvertiert wurden, enttäuschen das Publikum, das doch einen erheblichen Aufpreis für 3-D-Vorführungen zahlen muss. Ein Tatbestand, den man bei diesen Produkten eigentlich als Betrug deklarieren müsste.

Gereizte Diskussion

So sieht das jedenfalls Roger Ebert, Amerikas prominentester Filmkritiker, der Anfang des Jahres, ebenso radikal wie die 3-D-Verteidiger, 3-D zur Technologie ohne Zukunft erklärte: "The case is closed."

Die aktuelle Diskussion ist gereizt und verbittert, von harter Unversöhnlichkeit geprägt. Kürzlich hat Ebert einen prominenten Mitstreiter aus Hollywood gefunden, der James Cameron durchaus ebenbürtig ist - Walter Murch, der große kreative Geist der Bild- und Tonmontage, Erfinder des Sound Design, er hat mit Coppola "Apocalypse Now" geschaffen - und hat für ihn den Schnitt bei einem 3-D-Film der Achtziger besorgt, "Captain Eo", mit Michael Jackson.

In einem Brief an Ebert hat Walter Murch das Scheitern von 3-D mit der physiologischen Basis der menschlichen Perzeption erklärt - man müsse den Blick allgemein auf die Leinwand konzentrieren, ihn aber zugleich den verschiedenen vom 3-D generierten Distanzen anpassen, müsse auf eine bestimmte Entfernung fokussieren und auf eine andere konvergieren, und so etwas Schwindelerregendes täte kein Lebewesen auf der Welt.

Wer das Kino liebt, wird für alle möglichen Sehweisen im Kino offen sein, muss also auch auf 3-D neugierig sein. So wie er seine Stummfilme und Schwarzweißfilme liebt, die verschiedenen Farbverfahren, das Scope, die neuen digitalen Möglichkeiten. Dass 3-D heute noch mit Kopfweh und Schwindligkeit verbunden ist, wird Cineasten nicht abschrecken, die amerikanische Experimentalfilme wie Tony Conrads "The Flicker" oder Michael Snows "La région centrale" durchgesessen haben. Und der Vorwurf von Ewiggestrigkeit und Purismus, den man mangels allzu spontaner 3-D-Begeisterung wieder mal vorgesetzt kriegt, ist einem wahrlich nicht neu.

Doch, es ist eine Neugier da auf 3-D, aber wann wird sie endlich wirklich erfüllt? Wann will das 3-D-Kino endlich liefern, wann wird es seine Möglichkeiten erforschen und erproben und uns zeigen, was das Wesen, das Geheimnis des 3-D-Kinos ausmacht und wie es sich zum Kino allgemein, zur Kinogeschichte verhält? Wann wird es den Anspruch auf Originalität, Lebendigkeit und Frische endlich einlösen - ein Anfang könnte ja sein, jene gefakten, nachträglich konvertierten 3-D-Filme mit Bann zu belegen.

Diese Praxis der Konvertierung erinnert fatal an die unseligen Kolorierungen, mit denen ein paar Jahre lang von Schwarzweißfilmen fürs TV-Publikum Farbversionen hergestellt wurden, weil's diese lustvoller konsumieren könnte. Inzwischen werden auch Kultfilme der letzten Jahre dreidimensioniert zur Wiederaufführung gebracht, Disneys "König der Löwen" zum Beispiel, der 3-D angenehm zurückhaltend nutzt, die Einsamkeit der großen Wüste beschwört, die Leere, die ein Leben ohne Solidarität bedeutet. Und im nächsten Frühjahr wird James Cameron seine "Titanic" auf 3-D herausbringen, zum Hundertsten der Katastrophe - er sieht das als einen ganz eigenen Film.

Auch die arrivierten Regisseure des neuen Hollywood haben sich nach langem Zögern auf 3-D eingelassen, aber Spielberg - der einen der irrsten dreidimensionalen Effekte des zweidimensionalen Kinos schuf, den rollenden Stein im ersten Indiana-Jones-Film - hat "Tintin" auf die Leinwand gebracht und mit seiner hypertrophen Animationskunst der Leichtigkeit der ligne claire den Garaus macht, Martin Scorsese bringt in Kürze "Das Geheimnis des Hugo Cabret", und natürlich arbeitet George Lucas an einer Neufassung seiner "Star Wars".

Der Aufwand ist beträchtlich beim 3-D-Kino, der technische - die Polarisierungs- oder Shutter-Brillen, die bis zu hundertmal in der Sekunde das Blickfeld erst fürs eine und dann fürs andere Auge öffnen und schließen -, aber auch der mentale - das Gehirn, das aus diesem wilden Alternativtaumel räumliche Bilder zusammenbastelt. Aber all diese Anstrengungen nur, damit einem in sinnlosen Actionkaskaden dann Sehen und Hören vergeht, damit ein Kino, das sich seiner Räumlichkeit rühmt, alles dransetzt, den filmischen Raum mit brutalen Effekten zu zerstören? Fantasy, Mythologisches, Animation, Horror, und die Action besteht zum größten Teil aus spektakulären Aufstiegen und Sturzflügen, zwischendurch zielt man wieder, wie in den alten Filmen der Fünfziger, direkt auf den Zuschauer.

Wie die alten Theaterprospekte

Den größten Sachverstand dieser neuen filmischen Errungenschaft gegenüber zeigen die Kinder - sie können auf den zusätzlichen 3-D-Spektakel leicht verzichten.

Immersion ist das Zauberwort, ein Eintauchen in den Lauf des Films, sich mitreißen lassen, vertieft und versunken sein. In dieser Bewegung ist 3-D die Fortsetzung jener anderen unseligen Entwicklung, die uns die Videocliptechnik bescherte - die besinnungslose Steigerung der Geschwindigkeit, eine Montagetechnik, die nur noch Einstellungsblitze produziert, ihre Helden durch die Szenen hetzt, ohne dass man ein Gefühl für sie und ihre Aktionen gewinnen und entwickeln könnte.

Aber Kino ist nie nur Überwältigung gewesen, stets hat es Momente der Reflexion dabei gegeben, und in Camerons "Avatar" ist, all dem wilden Spektakel zum Trotz, am schönsten doch der magische Wald der Na'vi, in seiner leuchtenden Transparenz. Ein 3-D-Gedicht.

Räume erforschen, Räume erschaffen, dafür hat das Kino sich von Anfang an begeistert. Es hat auf sehr abstrakte Weise unglaublich konkrete Räume gebaut, es hat mit dem Phänomen der Perspektive gespielt und zeigen können, wie abstrakt im Grunde Raumerfahrung ist. Es hat auf der zweidimensionalen Leinwand einen lebendigen Eindruck von Räumlichkeit erzeugt - unglaublich plastisch ist die Kameraarbeit in den vierziger Jahren, schwarzweiß und Farbe.

3-D tut so, als wäre von nun an das Kinosehen dem natürlichen Sehen angenähert, das heißt, es stellt den Zuschauer in einen Raum und lässt ihn dort stehen. Und meistens ist dieser Raum nicht wirklich dreidimensional, allenfalls 2-D in Scheiben - wie die alten Theaterprospekte, die hintereinander gestaffelt sind, um die Illusion einer Perspektive zu erzeugen. Die Freiheit des Blicks, die das Kino so lange mit seiner Montage geschaffen hatte, ist verschwunden, seine Ungebundenheit und Ortlosigkeit, im starren Raster der Dreidimensionalität ist davon nur noch ein einziger fester Punkt geblieben.

Man hat in vielen 3-D-Filmen nie das Gefühl, die Dreidimensionalität sei wirklich Teil des Films, sei wichtig für die Geschichte, die er erzählt - und die meisten kommen ja sowohl in zwei- und in dreidimensionaler Gestalt in die Kinos. 3-D ist ein Zusatz, ein Surplus, und es muss entsprechend dafür gezahlt werden. Als die Geschichte der "Drei Musketiere" nicht genug hergab für die 3-D-Neuverfilmung, holte man sich einfach ein paar blödsinnige Luftschiffe in den Plot. Wenn 3-D wirklich das ganze Kino sein will, wo bleiben dann die Melodramen, Thriller, Kammerspiele der neuen Technik?

Man ist richtig dankbar für die naive Neugier, mit der Werner Herzog oder Wim Wenders auf 3-D reagierten, in "Höhle der vergessenen Träume" und "Pina" - und sich auch ein paar Gedanken dazu machten. Herzog, der mit 3-D die Geburt der Kunst in der Steinzeit gestaltet, abstrakte Höhlenbilder wieder plastisch werden lässt. Wenders, der inzwischen Werbung für dreidimensionale (Fernseh-) Erfahrungen macht und sogar am Meister Cameron rummäkelte: "Als wir anfingen, war es der nackte Horror. Die Technik konnte zwar den Raum beherrschen, aber nicht die Bewegung . . . Sie war noch nicht so weit."

Wenders hat in seinem Film seine Technik nach der Motorik von Pina Bauschs Tanztheater geformt.

In ihrer Faszination werden die beiden nur von Scorsese mit "Hugo Cabret" übertroffen, auf eine Weise, die fast mit der ganzen vermaledeiten Technik versöhnt: "Es ist so befreiend . . . Jede Einstellung bedeutet, das Kino neu zu denken."

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