D'Angelos neues Album "Black Messiah":Wiedergeborenes Genie

D'Angelo

Im Video "Untitled" sah man seinen gestählten Oberkörper, danach ging D'Angelo bedenklich in die Breite. Inzwischen aber sieht er wieder ganz fit aus.

(Foto: Gregory Harris)

Um die Jahrtausendwende galt Michael Eugene Archer alias D'Angelo als Retter des Soul. Dann kamen Absturz und Entzug. Nun gibt es ein neues Album. Es ist eine Sensation.

Von Jens-Christian Rabe

Es gibt ein neues Studio-Album von D'Angelo. Das waren die kalten Fakten vor ein paar Tagen. Und für den Großteil der Menschheit dürfte der Satz genau so nüchtern geklungen haben, wie er hier steht. Insbesondere auf dieser Seite des Atlantiks, auf der Funk und Soul und R'n'B und Hip-Hop nun einmal nicht erfunden wurden.

D'Angelo? War das nicht der Typ, der Mitte der Neunziger einen halben Hit hatte und dann ein paar Jahre später noch mal einen halben? Der Typ mit dem Video, in dem nichts als sein nackter, absurd gestählter und glänzend geölter Oberkörper zu sehen war, bis ganz, ganz, ganz knapp vor den Schritt?

Ja. Das ist er, und auch wieder nicht. Weil niemand über den Mann so redet, der das Glück hatte, auch nur ein paar Minuten genau hingehört zu haben. Bei einem Hip-Hop-Song für die Ewigkeit wie "Left & Right" aus dem Jahr 2000 zum Beispiel. Oder jetzt bei der ersten, unfassbaren Single "Sugah Daddy" des neuen Albums.

Da drückt und wankt und klickt dir eine Musik zwischen die Ohren, die einerseits virtuos-komplex ist, dich andererseits aber auch unwiderstehlich warm willkommen heißt. Man nannte und nennt es lapidar Neo-Soul.

Doch die bequeme Sortierung muss man ganz schnell zurücknehmen. Wie viele Gedanken sich hier einer offenbar schon allein darüber gemacht hat, wie ein bloßes Klatschen oder ein einfacher sogenannter "Rim Click", ein Schlag mit dem Drumstick auf den Metallrand der kleinen Snare-Drum, klingen und arrangiert sein müssen.

Hervorragend getimte Tritte in den Hintern mit Moonboots

Das Klicken auf den zweiten und den vierten Schlag jedes Taktes ist hier weit nach vorne gemischt, ganze Songs winden sich darum herum. Und wenn man sich nur auf das Klicken konzentriert, dann ist es oft eigentlich einen kleinen Tick zu laut, zu scharf, zu präsent, ein kleiner Stich von innen an die Stirn. Backbeat. Eins, KLICK!, drei, KLICK!, eins, KLICK!, drei, KLICK! . . .

Aber darunter liegt dann diese merkwürdige Bassdrum, die nicht das gnadenlos-klapprige Paffbämmwämm ist, das man aus den Charts gewöhnt ist, sondern eher ein sehr tiefes, trocken-vibrierendes DMMM. Nicht so brachial, wie man es mittlerweile aus der elektronischen Bassmusik kennt, keine Massage mit der Eisenfaust. Eher ein paar hervorragend getimte Tritte in den Hintern mit Moonboots. DMMM. DMMM.

Die wuchtig-tänzelnde Bassline wiederum ist oft noch tiefer gelegt als die Bassdrum, was schließlich diesen besonderen Eindruck eines enorm dichten Sounds ergibt, der dennoch locker schwingt, sich nie selbst die Luft abdrückt. Mit Kopfhörern hat man manchmal den Eindruck, das eigene Trommelfell sei plötzlich ein vergnügtes Trampolin. DMMM . . . DMMM . . . DMMM . . .

Wenn Sie die Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Hüftspeck statt Six-Pack

Und nun also - ganz ohne wochenlange PR-Kampagne - das dritte Album des amerikanischen Sängers, Songwriters, Multi-Instrumentalisten und Produzenten Michael Eugene Archer alias D'Angelo: "Black Messiah". Für Eingeweihte ist das eine Sensation.

14 lange Jahre ist die Veröffentlichung seines zweiten Werks "Voodoo" her. 14 Jahre, in denen es zwar hier und da einen Auftritt gab, vor allem aber Rückzug, Alkoholmissbrauch, Zerwürfnisse mit Weggefährten, einen Autounfall, eine Anklage wegen Marihuana-Besitzes, Hüftspeck statt Six-Pack, Entzugsklinik. Die Bürde, der Retter der schwarzen Musik sein zu müssen, war wohl zu groß für einen einzelnen Menschen. Oder die Versuchungen des Ruhms. Oder beides.

Nicht wenige jedenfalls glaubten längst nicht mehr an ein großes Comeback des gerade einmal 40-jährigen Musikers. Schon gar nicht an eines, das seinem Ruf gerecht werden könnte. Auch wenn die erste neue Tour vor zwei Jahren sehr wohlwollende Kritiken bekam, stand doch immer die Frage im Raum, wie dieser gebeutelte Mann je wieder die Höhen von "Voodoo" erreichen soll.

Jenem Album mit Songs wie "Left & Right", "The Line" oder "Chicken Grease", das im Jahr 2000 den damals gerade 25-Jährigen endgültig zum Kronprinz des Neo-Soul machte, zum sehnsüchtig erwarteten Nachfolger von Black-Music-Heiligen wie Marvin Gaye, George Clinton, Stevie Wonder, Sly Stone oder Prince. Inklusive Grammys und Kritiker-Hymnen.

Die Sensibilität hinter den Songs

Zu dem D'Angelo also, dem Ahmir Thompson alias Questlove, der Gralshüter der anspruchsvollen schwarzen Musik, in seiner in den USA in diesem Jahr erschienenen Autobiografie "Mo' Meta Blues" fast vierzig Seiten widmet.

Thompson, der nicht nur der Kopf der Roots ist, der besten Hip-Hop-Band der Gegenwart, sondern auch einer der besten Studio-Drummer, schreibt: "Ich hasste, was damals aus dem R'n'B geworden war. Er war banal, seelenlos und leidenschaftslos. Er gab mir nichts mehr. Und dann hörte ich D'Angelo, und es veränderte mein Leben. (. . .)

Schuld war die Musik auf seinem Album, natürlich, aber es war noch mehr: Mich berührte, was hinter den Songs zu hören war, die Sensibilität, die die Songs befeuerte, die offensichtliche Fähigkeit zu erkennen, was die beste Soulmusik ausmacht. (. . .) Es war wie die Wiederauferstehung des Soul."

Lernen, wirklich falsch zu spielen

Thompson und D'Angelo lernten sich danach bald kennen und arbeiteten bei "Voodoo" schließlich jahrelang eng zusammen. D'Angelo bezeichnete Thompson später als Co-Pilot des bahnbrechenden Albums. Thompson wiederum lässt bis heute kaum eine Gelegenheit aus, D'Angelos Genie zu preisen - und zu erklären.

Vielleicht am eindrucksvollsten ist der gut sechsminütige Clip, in dem er am Schlagzeug sitzend erklärt, wie D'Angelo ihn, den Beat-Perfektionisten, hartnäckig zwang, nicht nur ein bisschen zu synkopieren, sondern zu lernen, wirklich falsch zu spielen.

Also nicht so exakt wie möglich zu trommeln, sondern um den Takt herum, die Bassdrum etwa mal ein bisschen zu früh zu spielen, mal ein bisschen zu spät, oder einen Part so lange zu wiederholen, bis er so müde war, dass er so schwankend trommelte wie ein Betrunkener.

Das habe, so Thompson, allein schrecklich geklungen, und er sei manchmal fast verzweifelt daran. Im Zusammenhang der kompletten Songs aber sei so genau dieses Stolpern und Glitschen zustande gekommen, dass der schwarzen Musik wieder Leben einhauchte.

Die Wiederauferstehung: "Bis dahin stapelte man im Hip-Hop einfach alte Sounds auf neue Sounds und setzte auf die Dynamik von Gegensätzen und ungewöhnliche Kollisionen. Man ging nicht besonders ehrfürchtig mit den Klassikern um . . ., Voodoo' funktioniert anders. Es suchte eine organischere Verbindung in die Vergangenheit. D'Angelo war nicht Curtis Mayfield oder Marvin Gaye, aber er war eben auch kein Hip-Hop-Produzent, der Curtis Mayfield oder Marvin Gaye einfach rekontextualisieren wollte."

Womit man wieder beim neuen Album wäre. Dem Neo-Soulfunkhiphop geht es gut. Common, Erykah Badu, Talib Kweli, Mos Def und Q-Tip sind sehr aktive lebende Legenden. Und Thompson und die Roots sind als Band der populären "Tonight Show" von Jimmy Fallon sogar bekannter als je zuvor. Die Rettung des Genres ist nicht mehr nötig. Diesmal hat sich der ausgefuchste Soul-Trickster D'Angelo selbst gerettet.

Nie retroselig

"Black Messiah" ist eine Platte, die den Meister vollkommen auf der Höhe seiner Kunst zeigt. Das alte Genie steckt in jedem Moment. Sehr funkig hört sich das an, knarzig, leichtfüßig, ausschweifend, und doch immer wieder fest zusammengehalten von D'Angelos typisch übersteuert-kratzig aufgenommener, näselnder Stimme.

Man höre nur "Really Love", "Back To The Future" oder eben "Sugah Daddy". Ganz weit entfernt ist das vom elektronisch aufgemotzten zeitgenössischen High-End-R'n'B, und doch nie retroselig.

An vielen Stellen wird es sogar eminent politisch. Nach dem Freispruch des weißen Polizisten, der im Bundesstaat Missouri einen unbewaffneten schwarzen Jugendlichen erschossen hatte und den darauf folgenden landesweiten Unruhen, wollte D'Angelo das Album so schnell wie möglich veröffentlichen: "Ich wollte mich zu Wort melden." Es ist ein großer musikalischer Kommentar geworden zum Erbe der schwarzen Kultur für die amerikanische Identität. Mindestens.

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