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Curtis Sittenfeld: "Hillary":Immer Rodham

Feministische Fan-Fiction: Curtis Sittenfelds Roman "Hillary", der am Montag auf Deutsch erscheint, stellt sich eine andere Version von Hillary Clinton vor- eine, die Bill nie geheiratet hat.

Von Susan Vahabzadeh

Die tröstlichsten Träumereien sind jene, in denen die Fantasie dann doch keine Flügel verleiht: Die Schwerkraft ist noch einigermaßen intakt, aber sie bringt nur die Richtigen zu Fall. Zum Genre der minimal veränderten Paralleluniversen gehört der neue Roman der amerikanischen Schriftstellerin Curtis Sittenfeld. Er erzählt von einer Frau, die jeder zu kennen meint und die doch ein Enigma bleibt: Hillary Clinton.

In "Hillary" stellt sie sich eine Welt vor, in der im Januar 2017 die erste Frau ins Weiße Haus zieht. Was dabei herauskommt, ist feministische Fan-Fiction. Dem ersten Drittel von Curtis Sittenfelds Roman liegt die wahre Geschichte der jungen Hillary Rodham zugrunde, als Lebensbeichte in der Ichform aufgeschrieben, alles, was so in ihrem Kopf vorgegangen sein könnte, inklusive: Wie sie in Wellesley als beste Absolventin ihres Jahrgangs die Abschlussrede hielt, einem Senator widersprach und damit im Time Magazine landete; wie sie nach Yale kam und sich in einen Kommilitonen aus Arkansas verliebte, den charmantesten Typen weit und breit - einer, von dem alle jetzt schon sagen, dass er eines Tages Präsident wird. Die Eckdaten stimmen. Die Gedanken, die Curtis Sittenfeld ihrer Hillary in den Kopf legt, gehen aber naturgemäß viel weiter als alles, was Hillary Clinton je von sich preisgegeben hat.

Man kann ein Buch mögen und beim Lesen dennoch ein schlechtes Gewissen haben

Die Roman-Hillary gewöhnt sich etwa schon als Kind daran, dass ihr dauernd über den Mund gefahren wird, nicht dessentwegen, was sie sagt, sondern weil sie es ist, die es sagt. Hat die junge Hillary Rodham die Erfahrung gemacht, dass Männer sich wahnsinnig gern mit ihr unterhalten, mehr aber auch nicht? Eigentlich geht das niemanden was an. Es macht eine übergroße Frau vielleicht nahbarer, ja, aber es tritt ihr vielleicht auch zu nahe. Man kann ein Buch mögen und beim Lesen dennoch ein schlechtes Gewissen haben.

Die Abspaltung der Universen findet Mitte der Siebzigerjahre statt. Die brillante Juristin Hillary Rodham, die nach dem Abschluss in Yale allen verlockenden Jobangeboten widerstanden hat, ist ihrer Uni-Liebe Bill nach Arkansas gefolgt, wo er sich um einen Kongresssitz bewirbt und die Wahl verliert. Seine Seitensprünge hat sie verziehen; dass ihr aber Monate zuvor, im Wahlkampf, eine fremde Frau auf einem Parkplatz gesagt hat, sie sollte wissen, dass Bill sie vergewaltigt habe, kann sie nicht vergessen. Was, wenn das stimmt? Die fiktive Hillary lehnt Bills dritten Heiratsantrag ab, fährt nach Chicago und wird dort erst Jura-Professorin und zieht dann für Illinois in den Senat. Für immer Hillary Rodham.

Das ist Sittenfelds Rezept, um Hillary zu einem anderen Menschen zu machen: Sie nimmt Bill aus der Gleichung. Dass sie geht, verändert nicht nur Hillarys eigene Biografie, es verändert die Welt. Was nun Bill Clinton betrifft: In "Hillary" ist es ganz sicher, dass er nicht nur ein Filou ist, sondern ein Vergewaltiger. In Wirklichkeit ist das nicht so klar. Hier auf unserer Erde flog jedenfalls 1992, mitten im Präsidentschaftswahlkampf, Bill Clintons Beziehung zu Gennifer Flowers auf, und er gab mit Hillary an seiner Seite ein Interview, das sie an sich riss und damit seine Kandidatur rettete. Nur eine wie Hillary Rodham Clinton kann da sitzen, ruhig und lächelnd, und sagen: Ich liebe und respektiere ihn, und wenn euch das nicht reicht, dann kann ich euch, verdammt noch mal, nicht helfen.

In Curtis Sittenfelds Paralleluniversum befindet sie sich mit ihrem Team auf der anderen Seite des Bildschirms, sie schaut zu, wie er untergeht: Bill hat eine eher schlichte junge Frau aus Arkansas geheiratet, weil er wusste, so erklärt eine Freundin es Hillary, dass sie nicht zu ersetzen war - und die hat für das, was da von ihr verlangt wird, einfach nicht das Format. Vielleicht auch nicht den Ehrgeiz. Die fiktive Ehefrau bricht in Tränen aus.

Für Clinton ist der Wahlkampf zu Ende, Amtsinhaber Bush Senior gewinnt die zweite Wahl, später wird John McCain Präsident, und erst mit Barack Obama ist die Welt wieder in den uns bekannten Fugen. Weitestgehend - immerhin wird eine Frau nach ihm Präsidentin der Vereinigten Staaten und ihr wichtigster Gegenspieler ist ein ganz schlechter Verlierer aus Arkansas, Bill Clinton.

Diese Version von Hillary verrät ihre Ideale nicht. Der Roman bewegt sich, nachdem er die Realität hinter sich gelassen hat, zwischen Hillarys Präsidentschaftswahlkampf und diversen Rückblenden hin und her, und wirklich kunstvoll ist es, wie Sittenfeld immer wieder kleine Reminiszenzen an wahre Begebenheiten einfließen lässt. Da ist eine frühe Weggefährtin, die afroamerikanische Kinderrechtsaktivistin Gwen Greenberger, die ihr im Lauf des Lebens abhandenkommt - die gab es wirklich; in der Fiktion ist das Ende dieser Freundschaft eine Episode, in der Hillary Rassismus letztlich nicht begreifen kann.

Es kommt dann auch zum großen Keksskandal, weil die amerikanische Hausfrau und ihre konservativen Freunde auch in dieser Version der Geschichte zutiefst beleidigt sind, dass eine der besten Anwältinnen des Landes öffentlich sagt, Backen sei nicht so ihr Ding. Sittenfeld übertreibt es aber nicht mit der Wunschträumerei: Der beiläufigen Bemerkung eines gewissen Donald Trump, dem die fiktive Hillary mit viel Geschick eine eigene Kandidatur ausgeredet hat, ist zu entnehmen, dass der Irakkrieg dann doch stattgefunden hat, auch ohne George Bush jr. und seinen Vizepräsidenten Dick Cheney im Weißen Haus.

Es ist alles ein bisschen weniger furchteinflößend, als es in Wirklichkeit war

Ein paar Schwachstellen gibt es in Curtis Sittenfelds Konstruktion: Damit die fiktive Hillary als Figur einen Sinn ergibt, wird die Schwerkraft doch immer wieder außer Kraft gesetzt. Bill, der durch ihr ganzes restliches Leben spukt, soll die eine große Liebe gewesen sein - und dennoch reut es die fiktive Hillary nie, sich gegen ihn entschieden zu haben? Was für ein prinzipientreues Fabelwesen.

Vor allem ist es aber in Wirklichkeit nicht allein Bill Clintons Schuld, dass Hillary Clinton bei den amerikanischen Wählern den Eindruck hinterlassen hat, Wall Street stünde ihr näher als Main Street, das gemeine Volk. Sie wird auch hoffentlich als Senatorin ihre Entscheidungen - den Irakkrieg zu befürworten, zum Beispiel - , selbst getroffen haben. Hätten die Amerikaner sie ohne Bill geliebt? Das darf man bezweifeln. Vielleicht wäre sie, als alleinige Architektin ihrer eigenen Karriere, noch bedrohlicher gewesen.

Auch die fiktive Hillary wird in Wahlkämpfen angefeindet und verleumdet, es heißt gar, sie habe ihren Liebhaber umgebracht. Für eine Welt ohne Misogynie reicht nicht einmal die Fantasie von Curtis Sittenfeld. Es ist aber alles ein bisschen weniger furchteinflößend, hoffnungsvoller, als es in Wirklichkeit war. Weil sie ja gewinnt.

Bill Clinton ist dann aber doch omnipräsent in diesem Buch, wenn er nicht in ihrem Leben herumfuhrwerkt, ist er in ihren Gedanken. Sittenfeld mutet dem Feingefühl ihrer Leser einiges zu: Bill, der nackt Saxofon spielt, diverse Sexszenen, einen inneren Monolog über die faktische Nichtexistenz von Cellulite. Das ist spannend, oft witzig. Liest sich alles großartig. Ist aber, weil diese Figuren nach realen Vorbildern geformt sind, nicht nur ungehörig, sondern manchmal ganz schön gemein. Darf man so ein Buch schreiben? Vielleicht nicht. Aber wenn doch - dann genau so.

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