Süddeutsche Zeitung

CSU-Vorschlag zur Integration:Sprache als Waffe

Neben Herkunft, Glauben und Sexualität ist die Sprache der wichtigste Teil der menschlichen Identität. Wer dies in Frage stellt, wie es die CSU gerade macht, der zündelt. Das sollten gerade die Bayern wissen.

Kommentar von Andrian Kreye

Historische Bezüge können ein rhetorisches Meisterwerk sein. Verrennt man sich in ihnen, kann großer Schaden angerichtet werden. Die CSU wollte mit ihrem Vorschlag, Immigranten sollten doch nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch zu Hause Deutsch sprechen, sicher nur eine Wählerschicht mobilisieren, die immer dankbar ist, wenn jemand was sagt, was man ja wohl noch mal sagen dürfen sollte. Die ist nun auf Linie, auch wenn der Parteivorstand zurückrudert, weil die Medien, der Konsens und die Vernunft querulieren. Wäre da nur nicht der historische Ballast.

Sprachpolitik hat eine lange, unselige Geschichte. Denn Sprache ist Identität, und der Eingriff in die Identität war immer schon ein Mittel der Unterjochung. Es ging dabei nie nur um die Vereinfachung der Bürokratie mit der Einführung einer Amtssprache oder um den Schutz der Syntax und Wortwahl. Man darf die Bedeutung der Sprache nicht unterschätzen. Neben der Herkunft, dem Glauben und der Sexualität ist sie der wichtigste Teil der Identität eines Menschen.

Die Mechanismen der Unterdrückung durch den Glauben und die Sexualität mögen offensichtlicher sein. Von der Christenverfolgung über die Missionierung von Ureinwohnern während der Kolonialzeit bis zur Verfolgung Andersgläubiger in China, Indien oder Iran war der Glaube immer ein Vehikel für die Teilung einer Gesellschaft. Sexualität war nicht nur Mittel, sondern Waffe. Das reichte von der Zwangsverheiratung südamerikanischer Indios über die strategische Massenvergewaltigung bis zum Brauch der sogenannten Kriegsbräute in islamistischen Kampftruppen.

Demütigungen halten sich oft über Jahrhunderte

Sprachpolitik funktionierte im Vergleich dazu immer etwas subtiler. Und doch war das Ziel das gleiche - die absolute Unterwerfung der "anderen". Der Kolonisierten, der Eroberten, aber auch der Einwanderer. Im Bewusstsein dieser "anderen" halten sich die Demütigungen oft über Jahrhunderte. Bis heute sind Englisch und Französisch als Sprachen der Kolonialherren in Afrika entweder die Fortsetzung der Machtpolitik unter Diktatoren oder das notwendige Übel einer Handelssprache. In den USA und Kanada erzählen die Ureinwohner bis heute, wie ihren Kindern in den Schulen der Weißen bis in die 1950er-Jahre der Mund mit Seife ausgewaschen wurde, wenn sie in den eigenen Sprachen redeten.

Jüngste Beispiele findet man im Osteuropa der letzten Jahrzehnte. In Kroatien gab es nach der Unabhängigkeitserklärung von 1991 große Anstrengungen, serbische Spuren aus der Sprache zu verbannen. In Lettland und Litauen war nach dem Ende der Sowjetunion das Russische verpönt. In der Ukraine gehört die sogenannte Ukrainisierung der Medien und der Bildung zu einem der Konfliktpunkte.

Nicht weniger heftig sind die Debatten um die Sprachpolitik in Einwanderungsländern. Frankreich verfolgt beispielsweise traditionell eher die harte Linie, weil sich das Sprachgewirr der einheimischen Kulturen wie der Korsen und Bretonen und die sprachlichen Einflüsse der Eingewanderten sonst kaum kontrollieren ließe. In Brasilien wollte man in den Vierzigerjahren die deutschen Einwanderer mittels Sprachzwang "entgermanisieren". Die USA dulden Fremdsprachen wie Spanisch und Chinesisch inzwischen. Auch wenn für sie das Wort "Linguizid" erfunden wurde, weil sie in den Siedlungsgebieten der Ureinwohner und auf Hawaii ganze Sprachkulturen auslöschten.

Viel historischer Ballast also für einen scheinbar nebensächlichen Satz im Leitantrag eines regionalen Parteitages. Dabei sollten doch gerade Bayern verstehen, dass mit einer Sprache auch Bräuche, Lieder und Geschichten einer Kultur verloren gehen. Oder will irgendjemand den Brandner Kaspar oder Pumuckls Meister Eder in korrektem Amtsdeutsch hören?

Die Debatte um den bayerischen Sprachzwangsvorschlag wird bald wieder verstummen. Niemand zweifelt an der integrativen Kraft der Sprache, schon gar nicht die Einwanderer, die in ihrer Heimat in der Regel ja sowieso schon mehrere Sprachen beherrschen. Realistische Mittel der Durchsetzung von Sprachzwängen gäbe es sowieso nicht.

Der Schaden aber, den die Beschwörung so viel sprachpolitischer Geschichte angerichtet hat, geht weit über die Häme hinaus, die der Partei nun aus dem Internet entgegenschlägt. Als die Partei am Montag betonte, man habe die Einwanderer ja niemals zwingen, nur anhalten wollen, und überhaupt, nun wolle man sie eigentlich nur noch motivieren, war es zu spät. Lange wird man sich merken, dass es in Deutschland Deutsche gibt, die das "andere" aus ihrer Sprache merzen wollten. Denn wer Identitätsfragen stellt, der spielt nicht mit der Rhetorik, der zündelt.

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SZ vom 09.12.2014/mkoh
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