Cover-Versionen im Pop:Kann das gutgehen?

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Taylor Swift hat als Country-Musikerin angefangen. Ryan Adams' Cover-Album lässt ihren Bubblegum-Pop nun wieder stark nach Tennessee klingen. (Foto: Getty Images for TAS)

Ryan Adams hat Taylor Swifts Album "1989" komplett gecovert. Warum man aktuelle Popmusik sehr gut covern kann - und von älterer lieber die Finger lassen sollte.

Von Andrian Kreye

Dem Countryrock-Sänger Ryan Adams ging es im vergangenen Winter nicht gut. Seine Ehe war in die Brüche gegangen, deswegen hatte er über die Weihnachtswochen viel Zeit und großen Kummer. Für den Rest der Welt ist das bei großen Künstlern immer eine gute Kombination, denn so entstehen Meisterwerke. Ryan Adams kaufte sich allerdings einen altmodischen Vierspur-Kassettenrekorder, verkroch sich in seiner New Yorker Wohnung und begann, die Bubblegum-Songs von Taylor Swifts unfassbar erfolgreichem Album "1989" so nachzuspielen, als hätte sie Bruce Springsteen gesungen.

Was man halt so tut, wenn man so richtig verzweifelt ist.

Nach vier Nummern war der Kassettenrekorder kaputt, und die kurze Krise wäre wohl Privatsache geblieben, hätte Adams' manische Natur ihn nicht zurück ins Studio getrieben, um das alles noch einmal mit einer Band so einzuspielen, als hätte er sich die Songs selbst ausgedacht. Nun hat er das komplette "1989"-Album in vollster Countryrock-Melancholie veröffentlicht (Sony). Das ist eigentlich ein musikalischer Treppenwitz, den man gar nicht mögen will. Aber dann ertappt man sich, wie man es immer wieder anhört.

Das liegt nicht nur daran, dass Ryan Adams ein so grandioser Musiker und Sänger ist. Taylor Swifts Songs halten die Umdeutung gut aus. Oh ja, "Blank Space" als Emo-Ballade mit Arpeggio-Gitarre funktioniert. "Shake It Off" klingt wirklich nach einem gelungenen Springsteen-Song circa 1987. Und "Bad Blood" bekommt mit Stadionrock-Aufwallungen eine emotionale Tiefe, die das Original gar nicht gewollt hat.

Songs, die größer sind als ihre Interpreten

Entscheidend ist, dass Ryan Adams über die gesamte Strecke ironiefrei bleibt. Im Gegenteil, dem Rolling Stone sagte er, so etwas könne nur funktionieren, wenn man beim Singen hundertprozentig hinter jedem einzelnen Lied steht. Adams schließt damit an eine große Tradition des Jazz - das Prinzip des Songbooks, wie man jene Sammlungen von Stücken eines einzelnen Komponisten oder Teams nennt, die immer wieder aufs Neue interpretiert, dekonstruiert und als eigenständige Werke wahrgenommen werden, die größer sind als ihre Interpreten.

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Was im Jazz Standard ist, gibt es im Rock und Pop auch auf unzähligen Tributalben. Gut sind die selten. Bleibt die Frage, ob das im Jazz nicht eigentlich viel besser funktionieren würde. Zwei Berliner haben Antworten gesucht. Die Sängerin Lisa Bassenge veröffentlicht in dieser Woche ein Songbook-Album mit dem Titel "Canyon Songs" (MPS), für das sie Stücke von Classic-Rock-Dauerbrennern wie Buffalo Springfield, Joni Mitchell und den Doors aufgenommen hat, aber auch von solchen Musikern, mit denen man fortgeschrittene Repertoirekenntnisse vorzeigen kann wie Rickie Lee Jones und Shuggie Otis. Mit dem Canyon ist natürlich der Laurel Canyon gemeint, jenes Einfamilienhausviertel in den Hollywood Hills, in das sich Ende der Sechzigerjahre all jene Liedermacher zurückzogen, denen die Hippieszene von San Francisco zu schmuddelig war.

Auch Roger Cicero hat sich für sein neues Album "The Roger Cicero Jazz Experience" (wavemusic) diese Zeit vorgenommen. Im akustischen Comboformat singt er Stücke von Paul Simon, James Taylor und den Beatles. Sie folgen damit der kanadischen Jazzsängerin Diana Kral, die sich letztes Jahr auf ihrem "Wallflower"-Album an dieser Ära versucht hat, auch wenn sie neben Songs von Bob Dylan und Jim Croce auch welche von den Eagles, den Carpenters und Elton John sang. Das sind eigentlich Alben, die man gerne mögen würde (Classic Rock! Jazz! Berlin!). Doch Bassenges und Ciceros Alben sind leider gründlich missraten. Das liegt daran, dass Bassenge und Cicero die ewige Jazzfrage, ob man sich für Ekstase oder Opportunismus entscheidet, in ihren Arrangements radikal mit Letzterem beantwortet haben. Und es hilft auch nicht, dass beide mit einem deutschen Akzent singen, bei dem jeder englische Song nach Betriebsfestkaraoke klingen muss.

Hinter den musikalischen Schwächen steht aber die viel größere Frage, ob die Songs der goldenen Jahre des Rock überhaupt zum Songbook-fähigen Standard taugen. Theoretisch waren die Songs von Bob Dylan, den Beatles oder den Doors ja schon bei ihrer Veröffentlichung Standards. Zum einen, weil sie der Soundtrack für eine der größten gesellschaftlichen Umwälzungen der Neuzeit waren. Zum anderen, weil sich die Generation, die in Europa heute die 68er genannt wird, schon damals durch ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein auszeichnete, was ihre eigene Bedeutung für Gesellschaft und Kultur betraf.

Bei den klassischen Songbooks besteht kein Zweifel, warum es Standards sind. Die Musik von Irving Berlin, Jerome Kern oder George & Ira Gershwin wurde so komponiert, dass professionelle Sänger und Orchester sie bei Musicalaufführungen mit ein wenig Übung in den Griff bekamen. Das war einerseits alles auf einem hohen musikalischen Niveau, andererseits sehr klar strukturiert. Für den Jazz war das perfekter Rohstoff. Entweder, um die Musicalnummern mit einem Höchstmaß an Emotionen anzureichern, wie man das auf Songbook-Alben von Ella Fitzgerald und Sarah Vaughan hören kann. Oder um die Songs mit Verve zu zerlegen, wie das Charlie Parker mit "All The Things You Are" oder Thelonious Monk mit "Just A Gigolo" taten.

Vieles, was später mit den klassischen Songbooks geschah, war Kunsthandwerk. Und da liegt schon der erste Unterschied. Rock und Folk der Sechzigerjahre wurden gegen genau gegen dieses Kunsthandwerk geschrieben, gegen Frank Sinatra, Dean Martin und Doris Day. Sie bleiben sogar bis heute im streng marxistischen Sinne die bisher radikalste Demokratisierung kultureller Produktionsmittel. Handwerk und Virtuosität waren keine Kriterien mehr. Haltung und Pose waren viel wichtiger. Deswegen konnte eine mittelmäßige Band wie die Rolling Stones und ein Sänger mit begrenzten Möglichkeiten wie Bob Dylan Legendenstatus erreichen.

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Rocksongs, überführt in den Jazz, werden schnell bieder

Versuche, Rocksongs in den Jazz zu überführen, schlitterten aber regelmäßig in die Anbiederungsmechanismen der Unterhaltungsmusik. Große Meister gerieten da an ihre Grenzen. Joe Pass scheiterte an den Stones, Count Basie an den Beatles und Ella Fitzgerald an The Cream. Sie hatten sich an Songs versucht, die für eine bestimmte Haltung, einen bestimmten Moment geschrieben waren. Wobei der Impuls eigentlich redlich war. Sie wollten die relevante Musik ihrer Zeit interpretieren.

Moderne Coverversionen sind dagegen meist Reminiszenzen an die eigene Vergangenheit. Lisa Bassenge und Roger Cicero wurden Anfang der Siebzigerjahre geboren, da war die Musik auf ihren Alben schon Kanon. Und Diana Krall erinnerte sich an die Radiohits ihrer Kindheit.

Sie setzte auf "Wallflower" allerdings einen Hauch später an als Bassenge und Cicero. Das ist für eine Sängerin das größere Wagnis, weil die Eagles, die Carpenters und Elton John nicht für die goldenen Jahre der Rebellion standen, sondern für die Industrialisierung des Pop und damit auch für den Kitsch. Was allerdings musikalisch gut aufgeht, weil gerade die Carpenters und Elton John an die Songschreibertechniken der Songbook-Ära anknüpfen.

Moderner Pop knüpft an die Tradition des Broadway an

Das wiederum erklärt, warum Ryan Adams' "1989" so gut funktioniert. Taylor Swift schreibt die Entwürfe ihrer Songs zwar selbst. Sie arbeitet jedoch mit dem schwedischen Komponisten und Produzenten Max Martin zusammen. Der versteht das Handwerk der Hitproduktion wie kaum ein anderer. Früher musste ein Song für die Broadwaybühne und zum Mitpfeifen taugen. Heute soll ein Hit vom Handylautsprecher bis zum Subwooferturm sämtliche Klangspektren aushalten. Er muss sich zum Mitgrölen und fürs Karaoke eigenen, im Ohr bleiben, eine Videochoreografie und ein Stadionkonzert tragen.

So viel Handwerk ist in der Regel eben größer als der Interpret. Die Liste der Stars, die mit Songs von Martin groß wurden ist beachtlich: Katy Perry, Ariana Grande, Maroon 5 und The Weeknd. Und jeder dieser Hits hätte auch von den jeweils anderen gesungen werden können. Das ist die Tradition des Broadway. Deswegen taugt das auch zum Songbook.

Allzu ernst muss man Ryan Adams trotzdem nicht nehmen. Father John Misty hat Swifts "Welcome To New York" und "Blank Space" schon als "Coverversionen von Ryan Adams im Stil von Lou Reed" aufgenommen (findet man auf Youtube). Das klingt herrlich böse. Und ist reine Ironie.

© SZ vom 25.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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