Dem Countryrock-Sänger Ryan Adams ging es im vergangenen Winter nicht gut. Seine Ehe war in die Brüche gegangen, deswegen hatte er über die Weihnachtswochen viel Zeit und großen Kummer. Für den Rest der Welt ist das bei großen Künstlern immer eine gute Kombination, denn so entstehen Meisterwerke. Ryan Adams kaufte sich allerdings einen altmodischen Vierspur-Kassettenrekorder, verkroch sich in seiner New Yorker Wohnung und begann, die Bubblegum-Songs von Taylor Swifts unfassbar erfolgreichem Album "1989" so nachzuspielen, als hätte sie Bruce Springsteen gesungen.
Was man halt so tut, wenn man so richtig verzweifelt ist.
Nach vier Nummern war der Kassettenrekorder kaputt, und die kurze Krise wäre wohl Privatsache geblieben, hätte Adams' manische Natur ihn nicht zurück ins Studio getrieben, um das alles noch einmal mit einer Band so einzuspielen, als hätte er sich die Songs selbst ausgedacht. Nun hat er das komplette "1989"-Album in vollster Countryrock-Melancholie veröffentlicht (Sony). Das ist eigentlich ein musikalischer Treppenwitz, den man gar nicht mögen will. Aber dann ertappt man sich, wie man es immer wieder anhört.
Das liegt nicht nur daran, dass Ryan Adams ein so grandioser Musiker und Sänger ist. Taylor Swifts Songs halten die Umdeutung gut aus. Oh ja, "Blank Space" als Emo-Ballade mit Arpeggio-Gitarre funktioniert. "Shake It Off" klingt wirklich nach einem gelungenen Springsteen-Song circa 1987. Und "Bad Blood" bekommt mit Stadionrock-Aufwallungen eine emotionale Tiefe, die das Original gar nicht gewollt hat.
Songs, die größer sind als ihre Interpreten
Entscheidend ist, dass Ryan Adams über die gesamte Strecke ironiefrei bleibt. Im Gegenteil, dem Rolling Stone sagte er, so etwas könne nur funktionieren, wenn man beim Singen hundertprozentig hinter jedem einzelnen Lied steht. Adams schließt damit an eine große Tradition des Jazz - das Prinzip des Songbooks, wie man jene Sammlungen von Stücken eines einzelnen Komponisten oder Teams nennt, die immer wieder aufs Neue interpretiert, dekonstruiert und als eigenständige Werke wahrgenommen werden, die größer sind als ihre Interpreten.
Was im Jazz Standard ist, gibt es im Rock und Pop auch auf unzähligen Tributalben. Gut sind die selten. Bleibt die Frage, ob das im Jazz nicht eigentlich viel besser funktionieren würde. Zwei Berliner haben Antworten gesucht. Die Sängerin Lisa Bassenge veröffentlicht in dieser Woche ein Songbook-Album mit dem Titel "Canyon Songs" (MPS), für das sie Stücke von Classic-Rock-Dauerbrennern wie Buffalo Springfield, Joni Mitchell und den Doors aufgenommen hat, aber auch von solchen Musikern, mit denen man fortgeschrittene Repertoirekenntnisse vorzeigen kann wie Rickie Lee Jones und Shuggie Otis. Mit dem Canyon ist natürlich der Laurel Canyon gemeint, jenes Einfamilienhausviertel in den Hollywood Hills, in das sich Ende der Sechzigerjahre all jene Liedermacher zurückzogen, denen die Hippieszene von San Francisco zu schmuddelig war.
Auch Roger Cicero hat sich für sein neues Album "The Roger Cicero Jazz Experience" (wavemusic) diese Zeit vorgenommen. Im akustischen Comboformat singt er Stücke von Paul Simon, James Taylor und den Beatles. Sie folgen damit der kanadischen Jazzsängerin Diana Kral, die sich letztes Jahr auf ihrem "Wallflower"-Album an dieser Ära versucht hat, auch wenn sie neben Songs von Bob Dylan und Jim Croce auch welche von den Eagles, den Carpenters und Elton John sang. Das sind eigentlich Alben, die man gerne mögen würde (Classic Rock! Jazz! Berlin!). Doch Bassenges und Ciceros Alben sind leider gründlich missraten. Das liegt daran, dass Bassenge und Cicero die ewige Jazzfrage, ob man sich für Ekstase oder Opportunismus entscheidet, in ihren Arrangements radikal mit Letzterem beantwortet haben. Und es hilft auch nicht, dass beide mit einem deutschen Akzent singen, bei dem jeder englische Song nach Betriebsfestkaraoke klingen muss.