Country-Musik:Nicht alle Traktoren sind grün

Country-Musik: (Foto: Drew Gurian/Invision/AP)

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  • Als erster schwarzer Musiker überhaupt schaffte Jimmie Allen es mit seiner Debüt-Single "Best Shot" im November 2018 an die Spitze der Country-Charts.
  • Zeitgleich landete der Afro-Amerikaner Kane Brown mit seinem Album "Experiment" ebenfalls einen Nummer-eins-Hit sowohl in den Billboard-Pop- als auch Country-Charts.
  • Allen und Brown stehen für das Selbstbewusstsein einer neuen Generation schwarzer Sänger und könnten das eher rückwärtsgewandtes Country-Genre verändern.

Von Jonathan Fischer

Country galt einmal als so schneeflockenblütenweiß wie ein Winter im Kinderbuch. Wer ein Amerika suchte, in dem kaukasisch aussehende Männer so langbärtige wie vorhersehbare Stammtischgespräche über Bier, Pick-up-Trucks und untreue Hausfrauen führten, der konnte sich auf die Country-Charts verlassen. Ebenso wie auf eine scheinbar gottgegebene Ordnung: weiße Jungs mit Stetson und Gitarre besangen Farmertöchter, ihre schwarzen Zeitgenossen mit den Baseball-Käppis dagegen ihre Hip-Hop-Hood. Diese Zeit könnte vorbei sein. Spätestens seit November 2018, als ein historischer Moment zwei afroamerikanische Stars an die Spitze der Country-Charts spülte.

Das hatte das Genre noch nie erlebt: Jimmie Allen, ein 32-jähriger Sänger und Songwriter schießt - als erster schwarzer Musiker überhaupt - mit seiner Debüt-Single "Best Shot" an die Spitze der Country-Charts. Während Kane Brown, ein einstiger Youtube-Cover-Star, mit seinem zweiten Album "Experiment" sowohl in den Billboard-Pop- als auch Country-Charts die Nummer eins hält. Was sagt das über ein eher rückwärtsgewandtes Genre aus, das immer noch die amerikanische Radiolandschaft dominiert?

Gehen wir vier Jahrzehnte zurück, in den März 1979: James Browns erster und letzter Auftritt auf der Bühne des Grand Ole Opry House in Nashville. Country-Legende Porter Wagoner hatte ihn eingeladen. Immerhin war Brown, wie so viele Soul-Stars seiner Zeit, mit Country aufgewachsen und hatte Coverversionen von Hank-Williams-Klassikern eingespielt. Viele der Stammgäste aber empörten sich über die "Entweihung" ihres Tempels. Als James Brown ein Medley aus "Your Cheatin' Heart", "Tennessee Waltz" und "Three Hearts In A Tangle" mit seinem Funk-Hit "I Feel Good" beschloss, begegnete ihm eisige Stille. Wie es ihm gefallen habe, wollte ein Reporter anschließend wissen. "Ich fühlte mich so geehrt", konterte Brown, "wie ein weißer Mann, der in eine schwarze Kirche geht und hundert Dollar in die Kollekte legt." Vierzig Jahre später scheint Browns milde Gabe auch in Nashville Früchte zu tragen. Längst hat Country - zum Bedauern so mancher Traditionshüter - Einflüsse von Rhythm'n' Blues, Hip-Hop und sogar Dance adaptiert. Zum anderen scheint die Rassenschranke nicht mehr so dicht zu halten wie zu der Zeit, als schwarzer Country für die meisten mit einem Namen abgehakt war: Charley Pride. Der Mann, dessen Plattenfirma es Ende der Sechzigerjahre noch vorzog, keine Promo-Fotos an die Radiosender zu verschicken.

Jimmie Allen: "Country wurzelt zum Großteil in schwarzer Musik."

"Ich möchte", sagt Jimmie Allen, "den jungen Menschen von heute ein Vorbild sein: der Beweis, dass du es mit einem schwarzen Gesicht schaffen kannst." Sein Erfolg jedenfalls fiel dem Jungen aus einer Kleinstadt in Delaware nicht in den Schoß. Sein Vater, ein Hilfsarbeiter, erzählt Allen, hörte den ganzen Tag Country: "Warum sollte ich mir da ein anderes Genre suchen?" Allen machte sich 2007, er war damals 21 Jahre alt, auf den Weg nach Nashville, aber anfangs wollte kein Verlag und kein Label dem Afroamerikaner von der Ostküste eine Chance geben. Hätte der nicht als R'n'B-Sänger bessere Chancen? Allen schlief vier Monate lang in seinem Auto, verdingte sich als Kellner, Hausmeister und Fitnesstrainer. Wenn er sagt: "Sie hatten einfach keine Erfahrung mit Typen, die so aussehen wie ich", dann schwingt keine Verbitterung mit. Sondern der Wille, durch bloße musikalische Qualität zu überzeugen. Und an eine vergessene Geschichte zu erinnern: "Country wurzelt zum Großteil in schwarzer Musik." Nicht nur stammt das Banjo ursprünglich aus Westafrika. Frühe Country-Sänger wie Hank Williams, Jimmie Rodgers und Bill Monroe hatten ihr Handwerk bei schwarzen Bluesmännern gelernt, viele Evergreens der Carter Family hatte Country-Urvater A. P. Carter seinem afroamerikanischen Begleiter Lesley Riddle abgelauscht. "Von allen ethnischen Gruppen", schreibt Bill C. Malone im Standardwerk "Country Music USA", "hatte keine eine bedeutendere Rolle gespielt, dem Countrymusiker Songmaterial und Stile zu liefern, als die aus Afrika verschleppten Sklaven."

Die Erfolgsgeschichte des Genres war immer auch eine Geschichte der Segregation. Country ermöglichte weißen Südstaatlern, sich eine gehörige Prise schwarze Musik zu genehmigen, ohne ihre Distanz aufzugeben. Die Industrie hatte in den Fünfzigerjahren beschlossen, Genres über ihre ethnische Zuordnung zu vermarkten. Hier Race oder Rhythm'n' Blues, dort Hillbilly und Country. Dass laut einer Umfrage aus dem Jahr 1993 dennoch ein Viertel aller Afroamerikaner Country hörten, zeigt, wie hartnäckig dieser Bevölkerungsteil einer schwer geprüften Liebe nachhängt.

In "American Bad Dream" kritisiert Brown lose Waffengesetze und Polizeigewalt

Müsste sich da nicht auch ein Anteil schwarzer Musiker in Nashville finden? Allen vermisst Vorbilder: "Der Erfolg von Motown in den Sechziger- und Siebzigerjahren hat ganze Generationen auf dieses Rollenmodell festgelegt." Schwarze Popstars konnten da nur als Quereinsteiger punkten: So wie Ray Charles, die Pointer Sisters, Tina Turner oder Lionel Richie, die große Country-Hits lieferten. Zuletzt gab Darius Rucker, einst Frontmann der Mega-Platin-Popband Hootie & The Blowfish, das schwarze Alibi-Gesicht bei den Country-Grammys ab. Kane Brown und Jimmie Allen aber stehen wie ihre Kollegin Mickey Guyton für das Selbstbewusstsein einer neuen Generation schwarzer Sänger, die Country ohne den demütigen Humor eines Charley Pride ("your brother with a heavy tan") leben. Immerhin spielen inzwischen selbst Trap-Rapper wie Young Thug aus Atlanta ganz unironisch mit Country-Insignien. Allens gerade veröffentlichtes Debüt-Album "Mercury Lane" bedient die Träume von Trinkgeldempfängern und Truck-Fetischisten und schmachtet gleichzeitig das "alltägliche Kleinstadt-Mädchen mit den zurückgekämmten Haaren" an.

Anrührend, wie der Sänger auf dem von weinenden Gitarren getragenen "Best Shot" seine eigene Verletzlichkeit ausstellt. Einziger Bezug auf seine Hautfarbe: Der Song "Not All Tractors Are Green" mit der Zeile "I might sound a little different than I look". Kane Brown wird um einiges deutlicher: So wagt er etwa in "American Bad Dream", lose Waffengesetze und Polizeigewalt zu kritisieren. Ein Tabubruch, der gerade angesichts des musikalisch eher konservativen Country-Rock-Crossover heraussticht. In einem Tweet beklagte Brown zudem, man habe ihn bei den "Country Music Awards" seiner Hautfarbe wegen von oben herab behandelt. Er hat ihn wieder gelöscht. Zu viel Kontroverse wirkt geschäftsschädigend. Und auch 2018 kommt niemand an der Tradition vorbei: So vermeldeten die Country-Medien nach Allens gefeiertem Auftritt in der Grand Ole Opry Genugtuung, dass Charley Pride als einer der ersten den jungen Country-Star umarmte.

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