Markus Hinterhäuser, der Intendant der Salzburger Festspiele, ist kein Japaner. Aber er weiß, dass Japans Götter demjenigen, der 1000 Kraniche aus Papier faltet, einen Wunsch erfüllen. Vermutlich hat Hinterhäuser in den letzten Wochen, als fast alle Festivals absagten, viel mehr als 1000 Kraniche gefaltet. Auf jeden Fall genug Vögel, sodass er jetzt doch eine 100-Jahr-Jubiläumsspielzeit zeigen kann, mit deutlich weniger Aufführungen und nur im August.
Wer aber nicht weiß, was sonst bei den Salzburger Festspielen los ist, wird angesichts der diesjährigen Programmfülle beeindruckt sein. Die Weltstars sind zur Stelle. Von Peter Handke wird "Zdeněk Adamec" uraufgeführt, der "Jedermann", seit 1920 das alljährliche Salzburger Aushängeschild des Festival-Co-Gründers Hugo von Hofmannsthal, wird mit Tobias Moretti in der Titelrolle gespielt. Milo Rau konterkariert das Spiel vom Sterben des reichen Mannes mit seiner Ein-Frau-Show "Everywoman", Igor Levit spielt die 32 Beethoven-Sonaten an acht Tagen, Krzysztof Warlikowski inszeniert die "Elektra" von Richard Strauss, Joana Mallwitz - die Festspiele sind mustergültig um die auch in ihren Programmen in der Unterzahl spielenden Frauen bemüht - dirigiert "Così fan tutte" von Wolfgang A. Mozart. Die Wiener Philharmoniker spielen beide Opern, dazu Konzerte unter Andris Nelsons, Riccardo Muti, Christian Thielemann, Gustavo Dudamel, aber auch Daniel Barenboim, Anna Netrebo, Daniil Trifonov, Martha Argerich, und die Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko schauen vorbei. Schütter dazwischen eingestreut Modernes von Georg Friedrich Haas, Luigi Nono, Salvatore Sciarrino, Iannis Xenakis.
Ufff! Das ist ein beeindruckendes Programm für so ein berühmtes Festival, das schon aus finanziellen Gründen keine Experimente wagen will. Ein Programm, das in keinem Moment nach Corona schmeckt. So stimmig gebaut hätte dieses Programm auch vor dem März 2020 überzeugt. Hinterhäuser hat sich unter den derzeit extrem schwierigen Bedingungen, die anderswo oft seltsame dramaturgische Blüten austreiben, als der souveräne Programmierer bewiesen, als der er einst beim Salzburger Zeitfluss-Festival seine Karriere begann.
Dieses Programm erweckt aber auch die Illusion, dass die Seuche vorbei wäre. Es wirkt wie ein lässiges Schulterzucken in Richtung anderer, nicht so mutiger Festivalmacher: Was habt ihr denn? Geht doch! Liest der potenzielle Festivalaspirant dann das Kleingedruckte auf der Salzburg-Site, fühlt er sich gleich wieder angekommen im Schatten Mordors, vulgo der Seuche. Eine Maskenpflicht soll es auf den Sitzplätzen nicht, aber überall sonst geben. Ein Meter Abstand, keine Pausen, kein Toilettenbesuch, keine Bewirtung, personalisierte Eintrittskarten ...: Alles, was diese Seuche an lästigen Einschränkungen mit sich gebracht hat, ist auch in Salzburg omnipräsent.
Hinterhäuser aber, der "1000 Kraniche" als Musiktheater zeigt, wird auch die nächsten Wochen nicht aufhören, Papiervögel zu falten. Damit die Götter das Publikum in Scharen herbeiströmen lassen und die Seuche zumindest diesen August lang Salzburg einfach vergisst.