Süddeutsche Zeitung

Kultur und Corona:Heimelige Hausmusik

Es fordert zwar ein wenig Geduld, ist aber eigentlich eine gute Idee: Singen und fideln in häuslicher Isolierung.

Von Johan Schloemann

"How to have fun in quarantine" - so überschreibt eine englische Zeitung ihre Empfehlungen für das Kulturprogramm in häuslicher Isolierung. Eine traditionell gute Beschäftigung ist da auf jeden Fall das eigene Musizieren.

Gut, man darf das nicht gleich zu sehr idealisieren. Ich zum Beispiel bin gerade wegen eines Corona-Falls an der Grundschule mit der ganzen Familie vorsichtshalber zu Hause, bis wir Entwarnung bekommen oder die zwei Wochen herum sind. Und unserer jüngerer Sohn, sechs Jahre alt, lernt gerade Geige spielen. Er ist aber noch in dem Stadium, dass er nur die vier Saiten mit dem Bogen streichen kann, ohne die Tonveränderung durch die Finger der linken Hand, das heißt: immer wieder dieselben vier Töne g, d, a, e.

Man kann das auf dem Klavier mit Akkorden begleiten, dann klingt es nicht ganz so dünn. Aber selbst wenn es dem Kleinen gelingt, die vier Töne immer engelsgleicher und weniger kratzig zu spielen - das Ganze erfordert, gelinde gesagt, ein wenig Geduld. Wohl auch der Nachbarn, aber die nehmen gerade davon Abstand, bei uns zu klingeln. Die berüchtigte Maxime, die Theodor W. Adorno in seiner "Kritik des Musikanten" (1954) gegen eine Ideologie der Musikpädagogik karikierend so formulierte: "Dass einer fidelt, soll wichtiger sein, als was er geigt" - diese Maxime können wir gerade auch nicht so recht unterschreiben.

Aber bis es so richtig fluppt mit der Hausmusik, muss man eben üben. Immer mehr kriegt man dann in wechselnden Konstellationen hin; ziemlich früh kann man auch schon Kanons singen, das tut gar nicht weh. Wer weiß, vielleicht wird die Quarantäne unsere ziemlich eingerosteten Pianohände auch wieder für etwas schwierigere Stücke geschmeidiger machen? So wie sich der frühere Guardian-Chefredakteur Alan Rusbridger mitten im News-Wirbel eine Chopin-Ballade erarbeitete ("Play it again").

Wenn jedenfalls jetzt die klassische Musik in kleineren Besetzungen wieder aus dem Konzertsaal in Privaträume verbannt wird, dann erinnert das daran, dass sie ja überhaupt erst von dort gekommen ist. Dass Streichquartette oder vierhändige Sonaten vor Hunderten von Leuten im Konzertsaal aufgeführt werden, ist eine Erfindung des modernen bürgerlichen Konzertbetriebs der Beethovenzeit. Eigentlich sind sie, wie es in einer Liedersammlung im 19. Jahrhundert hieß, "auf den Schimmer des äußeren Effektes gar nicht berechnet". Also: Kammermusik is coming home! Und wenn jetzt alle ganz viel üben, können vielleicht einige auch bald das Stück der Stunde spielen: das "Geistertrio".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4843549
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.03.2020/cag
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.