Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:"Wo 'ne Villa ist, ist auch ein Weg"

Lesezeit: 3 min

Wie man als Musiker mit der Pandemie umgehen kann. Ein Stück in mehreren Akten. Mit: Mine, Cro, Sufjan Stevens, Fatoni & Edgar Wasser, "Genetikk" und "Weezer".

Von Jakob Biazza

Stimmt ja, es ist wirklich zäh gerade. Dieser ganze Zustand dehnt sich - zermürbend, nagend, bösartig. Die Berliner Songwriterin Mine hat es auf "Hinüber", dem Titelsong ihres neuen Albums (Caroline International), grad ganz gut formuliert: "Mein Kopf ist voll, die Füße kalt / die ganze Welt hat sich auf meine Brust gesetzt." Dunkles Stück, trübe Stimmung. Schwere Geigenvorhänge sperren das Licht aus. Popschlager-Traurigkeit beinahe, aber immer nur im Erstimpuls. Dann übernimmt wieder Mines famoses Gespür für Sprache und Ästhetik. Und irgendwann auch die Leichtigkeit. Man höre, dringend, den federleichten Pop-Minimalismus von "Eiscreme": "Steig auf meinen Lenker, Chopper / Macht dich 'ne Pistazie locker? / Apricot, Kokos, Haselnuss, Schoko / Ich mach gern' Promo für Frozen Joghurt". Das wird ein super Sommer.

Wie man bis dahin als Musiker mit der Pandemie umgehen kann, Teil I: Atmen. Loslassen. Frei werden. Chakren. Sufjan Stevens veröffentlicht am Freitag fünf (fünf!) Alben auf einmal. Auf dem Papier. Wenn man ehrlich ist, ist es womöglich eher nur ein Album, und wenn man ganz ehrlich ist, vielleicht auch einfach nur ein sehr langer Song. Denn Stevens, den man an sich lieben, seit seinem Familiengeschichten-Verarbeitungsmeisterwerk "Carrie & Lowell" aber eigentlich vergöttern muss, hat eine Art Meditationsalbum geschrieben. "Convocations" (Asthmatic Kitty Records) ist unterteilt in die Einheiten "Meditation", "Lamentation", "Revelation", "Celebration" und "Incantation", damit insgesamt zweieinhalb Stunden lang und, nun ja, vermutlich irgendwie tantrisch oder so - aber halt schon auch gleichförmig. Anders gesagt: Wenn man sich unbedingt ein Album mit bläwolkigem Synthie-Gesäusel zulegen möchte, dann sollte das freilich unbedingt von Sufjan Stevens sein. Aber der Vorgang an sich ist eben doch grundfalsch.

Wie man als Musiker mit der Pandemie umgehen kann, Teil II: Atmen. Loslassen. Frei werden. Chakren und so - aber auf Bali. Der Stuttgarter Rapper Cro lebt dort nämlich seit einem guten Jahr quasi Vollzeit. Großes Aussteigerprogramm: Yoga, meditieren, Beatles hören. Alles allerdings auf einem eigenen Grundstück, das er sich vor ein paar Jahren, beim ersten Besuch dort, gekauft hat. Schwabe ist er ja trotzdem noch. Scheint jedenfalls schön zu sein. In seinen Worten: "Ich wache mit der Sonne auf, kleine Welpen tollen über die Wiese, alles ist bunt und fröhlich." Seine neuen Songs heißen entsprechend "Alles Dope", "Good Vibes", "Nice!", "Smooth" und "Diamonds". Und das wären nur ein paar von der ersten Hälfte des Doppelalbums. Der, auf der er sehr beharrlich versucht, "Random Access Memories" von Daft Punk noch mal neu aufzunehmen. Auf der zweiten Hälfte von "Trip" (Universal Music) will der Mann mit der Maske dann Sixties-Psychedelic-Rock machen. Und das ist alles natürlich ungefähr drei Stufen zu ambitioniert, um nicht schiefzugehen. Aber wie knapp es zum Teil schiefgeht, allein das verdient tiefen Respekt. Und lässt über die latent einsetzende Wohlstandsverwahrlosung locker hinwegsehen: "Und sie staunt nicht schlecht, als sie checkt, dass man straight aus'm Bett ins Meer springen kann - oh yeah / sie schaut mich an, als ob das nicht geht / doch wo 'ne Villa ist, ist auch ein Weg".

Wie man als Musiker mit der Pandemie umgehen kann, Teil III: Meint in diesem Teil allerdings die pandemisch grassierende Blödheit der Welt und der Menschen. Konkreter: Rechtsruck, Frauenhass, Verschwörungsmythen, Cancel-Culture-Gewimmer. Also: Vollgas-Ironie. Also: Fatoni & Edgar Wasser. Die beiden klingen ein wenig, als würde der Satiriker Nico Semsrott, zu gleichen Teilen manisch und depressiv, Gangsta-Rap machen - also ziemlich lustig, wenn manchmal auch ein bisschen brachial. Beispiel: "Alle elf Minuten, alle alle elf Minuten, alle elf Minuten - fick' ich deine Mutter." Um den womöglich etwas in Vergessenheit geratenen Twitter-Account mal wieder heranzuziehen: "Das ist witzig, weil ..." sie das natürlich alles ganz anders meinen.

Wie man als Musiker mit der Pandemie umgehen kann, Teil IV: Der Twitter-Account des Hip-Hop-Duos Genetikk klingt dafür aktuell gar nicht so witzig, weil: "FREIHEIT vs EINGEBILDETE SICHERHEIT? WIE WOLLEN WIR LEBEN??". Oder: "LOCKDOWNS DON'T WORK". Oder: "Das einzige exponentielle Wachstum ist Angst!" So Kram. Die beiden haben allerdings auch gerade eine Single veröffentlicht, die "German Angst" heißt. Und wenn man jetzt Rapper ist und irre viel kifft, dann hält man das womöglich einfach für eine total verwegene Promo-Strategie.

Was zum Schluss zu Weezer führt, die auf ihrem von einigen sehr sehnlich erwarteten Album "Van Weezer" (Warner Music) - ganz unabhängig von Pandemie und Weltblödheit - jetzt Metal machen. Was bei den Kaliforniern natürlich heißt: eine (sehr ernst gemeinte) Persiflage von Metal. Was ganz genau genommen heißt, dass es zwar schon irgendwie Metal ist, aber gleichzeitig wirklich grandios strahlende Pop-Refrains und Strophen-Schmeicheleien hat. Kann man sich, nun ja: hart drauf freuen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5283731
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.