Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise und Schauspieler:Das Ende des Schmetterlingshaften

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Freie Schauspieler trifft die Corona-Krise hart. Uwe Dag Berlin über die Nöte des Berufs.

Von Christine Dössel

Die Corona-Krise mit ihren existenziellen Ausschlägen förderte zutage, wie wenig Politiker, aber auch Normalbürger über die Arbeitsrealität von freien Schauspielern und Regisseuren wissen. Einer von ihnen ist der in Schleswig-Holstein lebende Uwe Dag Berlin, 62. Als freischaffender Künstler, der es gewohnt ist, sich und seinen Beruf dem Finanzamt zu erklären, ist es ihm ein Anliegen, in seine Situation Einblick zu geben. Das Gespräch begann auf Facebook und wurde telefonisch fortgesetzt.

SZ: Seit März sind Sie zwangsarbeitslos. Wie geht es Ihnen damit?

Uwe Dag Berlin: Der letzte Job war im November. Die Wintermonate sind eine Saure-Gurken-Zeit, da wird nicht viel gedreht. Im Frühjahr hätte es wieder losgehen sollen. Anfang März hatte ich noch ein erfolgreiches Casting in Berlin für eine Rolle in einer tollen Fernsehproduktion. Das wurde komplett abgesagt. Auch alle anderen Projekte sind weggebrochen. Meine finanzielle Situation ist entsprechend: die Winterrücklagen aufgebraucht, keine Einnahmen auf unabsehbare Zeit. Glücklicherweise hat meine Frau als freie Dramaturgin über Jahre freiwillig in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt, so dass sie derzeit monatlich 1100 Euro Arbeitslosengeld bekommt. Davon bestreiten wir knapp unsere Fixkosten, der Rest ist Improvisation.

Welche staatlichen Hilfen haben Sie als Solo-Selbständiger bekommen?

Als freiberuflicher Regisseur - nicht als Schauspieler - wurden mir für drei Monate je 450 Euro Soforthilfe zugesprochen, also insgesamt 1350 Euro, die ich nur als "Betriebskosten" verwenden darf. Die GVL (Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten) zahlte mir wegen nachgewiesenem Drehausfall 250 Euro. Und dann gab es einmalig 500 Euro von der Kulturhilfe Schleswig-Holstein für ein Projekt, an dem man gerade arbeitet. Das ist bei mir das Treatment für eine Filmidee. Ein Folgeantrag wurde abgelehnt, weil ich nicht in der KSK, der Künstlersozialkasse, bin und ich damit sozusagen keinen Nachweis erbringen kann, dass ich ein professioneller Künstler bin. Das muss man sich mal vorstellen, nach 35 Jahren in diesem Beruf!

Auch in anderen Ländern, etwa in Bayern oder Hessen, richteten sich Künstlerhilfen erst mal nur an Selbständige, die in der Künstlersozialkasse versichert sind. Dass die meisten Schauspieler gar nicht in der KSK sind, war vielen nicht bewusst.

Dahinter steckt die Auffassung, dass freischaffende Schauspieler, wenn sie in einem Stück oder Film mitspielen, "weisungsgebunden" sind, also den Vorgaben eines Vertrags und eines Regisseurs unterliegen. Wenn ich als Gast an die Berliner Volksbühne komme, habe ich einen Vertrag mit diesem Theater, bin abhängig und für diese Zeit auch sozialversichert.

Dann sind Sie quasi angestellt?

Genau. Dann zahle ich für die Dauer der Produktion als "abhängig beschäftigter" Schauspieler Sozialabgaben, wie ein Festangestellter. Sobald man aber sozialversichert ist, hat man kein Anrecht auf KSK-Mitgliedschaft. Ich war da immer nur drin, wenn ich hauptsächlich als Regisseur gearbeitet habe. Für Regisseure gilt diese Weisungsgebundenheit nicht. Oder man tingelt als Schauspieler mit einem Solo durch die Lande. Dann giltst du als selbständig.

Aber Sie sind doch beides, freier Schauspieler und freier Regisseur?

Ich habe in den letzten drei Jahren hauptsächlich gedreht und war Gastschauspieler. Also war der Hauptanteil meiner Einnahmen aus einem Angestelltenverhältnis. Deshalb hat die KSK mich rausgeschmissen. Dieser Umstand führt dazu, dass wir jetzt keine Hilfen bekommen. Das geht verdammt vielen Kollegen so.

Was konkret ist Ihre Kritik?

"Weisungsgebunden", das heißt letztendlich: Der Regisseur sagt mir, was ich zu sagen und zu spielen habe. Damit spricht man uns Schauspielern die selbständige Künstlerschaft ab. Als wären wir nur eine Hülle, ein Gefäß, darauf wartend, vom Regisseur gefüllt zu werden. Was ist das für ein überholtes Kunstverständnis? So funktioniert im heutigen Theater doch keine Zusammenarbeit. Schauspieler sind Künstlerpersönlichkeiten und stehen für mich auf der gleichen Ebene wie der Regisseur.

Es wird heute ja auch viel mehr in Kollektiven gearbeitet. Es gibt gemeinsame Stückentwicklungen und Performances, gespeist aus den Biografien der Darsteller.

Es muss eine künstlerische Wahrheit aus dem Ensemble heraus entstehen. Da zählen die Persönlichkeit, die Ausbildung und künstlerische Entäußerung eines jeden Einzelnen. Ich frage mich, was unser schauspielerisches Hochschulstudium sonst wert sein soll. Als bloßen Erfüllungsgehilfen der Regie kann ich mir auch einen Begabten von der Straße holen, der ins Konzept passt. Über all das wurde lange nicht gesprochen, jetzt fällt uns das auf die Füße. Weil die geringste Beschwerde uns sofort in die Loser-Ecke bringt.

Wie meinen Sie das? Dass Schauspieler nicht aufmucken wollen oder dürfen?

Man darf nicht nach Misserfolg riechen. Es gibt in Schauspielerkreisen so ein Konditioniertsein auf Glamour und Sorglosigkeit: Ich bin gefragt, erfolgreich, hab' keine Probleme. Dass die künstlerische Realität meistens ganz anders ausschaut, wird verdrängt. Deshalb ist es jetzt auch so schwer, unsere Situation klar zu machen und über Dinge zu reden wie Soforthilfe, Grundsicherung, KSK. Ja, das ist langweilig und unsexy und verlässt das Schmetterlingshafte unserer Branche, so wie man uns gerne sieht. Aber es ist auch unerwachsen und eine extreme Verdrängung der Realität.

Das hat mit dem Bild vieler Schauspieler in der Öffentlichkeit zu tun: Schönheit, VIP-Glanz, Empfänge, roter Teppich.

In den Köpfen lebt ein Klischee. Es herrscht die Illusion vom wohlhabenden Schauspieler, der in einer Art Filmkulisse lebt. Da erfährt man auch unheimlich viel Hass, Neid und Wut. Ganz schlimm sind die Kommentare in den sozialen Medien. Von wegen Künstler sollen mal die Klappe halten, die hätten eh mehr als genug. Übelst fand ich aber auch, wie der Intendant eines berühmten Theaters im Fernsehen darüber sprach, dass Schauspieler jetzt einfach gerne wieder spielen wollen. Und das in so einem Ton, als ob wir kleine Kinder wären: Die freuen sich schon. Entschuldigung, aber das ist unser Beruf!

Was fordern Sie?

Wenn wir als Schauspieler engagiert werden, sollten wir auch den Status der Selbständigkeit haben dürfen. Das wäre ein ganz konkretes soziales Reformanliegen. Oder aber die KSK nimmt uns auch als freie Schauspieler auf. In den Zeiten zwischen den Engagements sind wir nicht sozialversichert und müssen uns selber um eine Krankenversicherung kümmern. Wenn wir dann wieder einen Job haben, zahlen wir Höchstsätze in die Sozialkassen, bekommen aber keine Leistungen heraus.

Frau Grütters verweist krisengebeutelte Künstler auf die Grundsicherung und bietet dafür einen "vereinfachten Zugang" an. Das wäre dann Hartz IV, oder?

Als Schauspieler unterliege ich einem coronabedingten Arbeitsverbot. Durch Corona lösen sich aber meine privaten finanziellen Verpflichtungen nicht auf. Die kann ich nicht ad hoc runterschrauben: Versicherungen, Kredite, Handy, Fitnessclub. Da sind 389 Euro Grundsicherung pro Ehepartner weit von der Lebensrealität entfernt. Dazu würden noch alle fließenden Gelder von mir oder meiner Frau, die wir aus Steuerrückzahlungen oder Verwertungsgeldern für monatliche Verpflichtungen nutzen könnten, mit dem Regelsatz verrechnet. Jeder zusätzliche Cent wird verrechnet. Da ist auch das neue Konjunkturpaket mit einer Milliardenhilfe für die Kultur keine Hoffnung für uns Schauspieler. Es ist eine Mogelpackung, die uns bürokratischen Zwängen aussetzen würde, die gar nicht mit dem Leben vereinbar sind.

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Quelle:
SZ vom 05.06.2020
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