Süddeutsche Zeitung

Serie "Welt im Fieber": Indien:Eine grausame Woche

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Die indische Regierung hat die akute Corona-Krise vor allem dazu genutzt, Arbeitsrechte zu beschneiden und Überwachungsapps zu installieren.

Gastbeitrag von Venkataraman Ramaswamy

Indien hat eine grausame Woche erlebt. Am Donnerstag hat ein Gasleck in einem Chemiewerk in Visakhapatnam, das der koreanischen LG-Gruppe gehört, 13 Menschen getötet und mehr als 1 000 Leute verletzt. Am selben Tag gab es ein weiteres Gasleck in einer Papiermühle in Raigarh, das sieben Arbeiter verletzte, drei davon schwer. Am Freitag explodierte ein Boiler in einem staatlichen Elektrizitätswerk in Neyveli, bei dem acht Arbeiter verletzt wurden. Und ein Güterzug überfuhr 16 Wanderarbeiter in der Nähe von Aurangabad.

Sie liefen von Maharashtra nach Hause nach Madhya Pradesh und waren auf den Gleisen eingeschlafen. Die Bilder der rotis, der Fladenbrote, die sie bei sich trugen, versprengt auf den Gleisen, waren von großer Eindringlichkeit. Am Tag zuvor hatten ein Wanderarbeiter und seine Frau in Lucknow ihre 750 Kilometer lange Heimreise per Fahrrad angetreten, sie wurden von einem Auto überfahren und starben. Ihre beiden Kinder, beide unter fünf Jahren, überlebten. Und am Samstag überschlug sich ein Zug mit Wanderarbeitern auf dem Weg von Hyderabad nach Uttar Pradesh, fünf Menschen starben.

Der Verwaltungschef von Bangalore hatte den Betrieb der Züge eingestellt, mit denen Wanderarbeiter heimfahren. Das geschah auf Betreiben der Lobby des Baugewerbes. Es gab Demonstrationen, die Entscheidung wurde zurückgenommen. Dennoch wurden am Freitag zwei Bürgerrechtler angeklagt, die den Wanderarbeitern geholfen hatten, sich Zugtickets nach Hause zu kaufen. Man wirft ihnen vor, zu Ausschreitungen aufgerufen zu haben.

Schon vorher, im April, sind die prominenten Bürgerrechtler Anand Teltumbde und Gautam Navlakha verhaftet worden. Human Rights Watch verurteilte die Verhaftungen und beschuldigte die Regierung, Anti-Terror-Gesetze gegen Leute anzuwenden, die die "Regierung kritisieren oder ihre Stimme gegen Unrecht erheben". Und eine Reihe von Intellektuellen und Studenten, die mit regierungskritischen Organisationen arbeiten, wurden festgenommen und angeklagt. Muslime, besonders jene, die gegen den berüchtigten Citizenship Amendment Act - Indiens "Nürnberger Gesetze" - protestiert hatten, waren das Ziel. Das unabhängige Newslaundry hat eine Liste von Fällen zusammengestellt, in denen Journalisten seit Beginn der Ausgangssperre in ihrer Arbeit behindert wurden. Und es wurde eine Anklage erhoben gegen drei führende Beamte, die den Vorschlag gemacht hatten, die Einkommenssteuer zu erhöhen und eine zusätzliche Covid-19-Abgabe einzuführen.

Ein Teil des Establishments denkt, wenn jetzt die Investitionen großer Konzerne in China zurückgehen, dann könne Indien zum Zug kommen. Sofort hat der Staat Uttar Pradesh einige zentrale Arbeitsgesetze für drei Jahre ausgesetzt, unter anderem den Mindestlohn, den Mutterschutz und das Recht auf gleiche Bezahlung. Auch Assam will nun sein Arbeitsrecht ändern, damit Konzerne außerhalb des bestehenden Arbeitsrechts operieren können. Außerdem soll die Arbeitszeit um 50 Prozent erhöht werden.

Premierminister Modi hat im vergangenen Monat die Bürger dazu gedrängt, eine App zu benutzen, die Arogya Setu heißt, "Brücke zur Gesundheit", sie sei entscheidend im Kampf gegen Covid-19. Ein französischer Hacker, der unter dem Namen Eliot Alderson agiert, hat die Sicherheitslücken der App in einem Blog aufgedeckt. Der Zugang zu persönlichen Daten damit ist leicht, man kann sehen, wer wo in Indien erkrankt ist. Alderson schrieb, er habe sehen können, dass fünf Leute im Büro des Premiers und zwei im Hauptquartier der Armee erkrankt seien. Estelle Massé, eine Politikwissenschaftlerin in einem Verein für Digitalrecht, sagt: "Hier werden Bürgerrechte auf eine Art beeinträchtigt, die nicht zu rechtfertigen ist." Und ergänzt: "Es ist das Risiko entstanden, dass hier ein Werkzeug der Überwachung geschaffen wurde, dass nach der Pandemie missbraucht werden kann." Indien hat noch kein Datenschutzgesetz. Jetzt werden die Menschen tatsächlich dazu gezwungen, die App zu benutzen. Wer sie nicht installiert, könnte seinen Job verlieren, muss Strafen zahlen oder tatsächlich ins Gefängnis gehen.

Aus dem Englischen von Susan Vahabzadeh.

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SZ vom 13.05.2020
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