Süddeutsche Zeitung

Corona in Großbritannien:Seele der Nation

Der britische Kulturminister verspricht Milliarden für die Rettung von Kunst und Kultur. Die Sache hat allerdings einen Haken.

Von Jan Kedves

Die Regierung von Boris Johnson hat nach dreieinhalb Monaten Corona-Krise entschieden, dass Kultur, die Geld bringen soll, zunächst einmal Geld braucht. Am Montag hat der Kulturminister Großbritanniens, Oliver Dowden, ein Rettungspaket von 1,57 Milliarden Britischen Pfund für Kultur und die Künste angekündigt, umgerechnet 1,74 Milliarden Euro. Knapp drei Viertel dieses Geldes sollen an Theater, Orchester, Museen, Kinos und andere Kultureinrichtungen in England ausgeschüttet werden. Den Rest sollen sich Nordirland, Schottland und Wales teilen.

Mit dem Geld sollen die "Kronjuwelen" des britischen Kultursektors gerettet werden und lokale Veranstaltungsorte, so Dowden. Großbritannien ist nicht nur das am schlimmsten von der Corona-Pandemie betroffene Land Europas, sondern seit jeher ein globaler Taktgeber der Kultur, vor allem der Popkultur. Die Beatles, die Rolling Stones, "Top Of The Pops", der Turner Prize, Shakespeare, Grime-Musik, das Londoner West End mit Andrew Lloyd Webber und seinen Musicalbühnen: Der Erfolg britischer Kultur gründete nicht zuletzt auf dem Umstand, dass Englisch zur kulturellen Lingua franca geworden ist, weswegen britische Kultur sich selten nur an ein britisches, sondern immer gleich an ein globales Publikum richtet. Sie lässt sich also gut exportieren.

Nach dem Brexit mit seinen ungewissen Folgen könnte Kultur als Exportgut noch wichtiger werden. Entsprechend bezeichnete Oliver Dowden Kunst und Kultur am Montag als "Seele unserer Nation", als "Dreh- und Angelpunkt unserer weltbesten und rasch wachsenden Kreativindustrien". Die Finanzhilfen sollen als Zuschuss oder Darlehen ausgeschüttet werden. Wie über die Vergabe entschieden wird, blieb zunächst unklar - außer dass Bewerber ihren Nutzen für das Wirtschaftswachstum beweisen sollen und "unabhängige Experten" aus den Kultursparten in die Entscheidungen mit einbezogen werden.

Unterdessen schließen die ersten Einrichtungen. Zuletzt gaben die Nuffield Southampton Theatres an der südenglischen Küste auf. 86 Mitarbeiter verloren ihren Job. Jo Stevens, Kultur-Schattenministerin der Labour-Partei, bezeichnete das Hilfspaket zwar als "dringend notwendig", kritisierte es aber als "zu wenig, zu spät". Sir Simon Rattle, früher Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, inzwischen in gleicher Funktion beim London Symphony Orchestra, rief laut BBC dazu auf, das Geld "so schnell wie möglich zu verteilen".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4958458
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 07.07.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.