Kolumne "Was folgt?", 10. Folge:"Schönes Wetter heute"

Kolumne "Was folgt?", 10. Folge: Gerade als der Frühling mit seinen Lockerungen begann, lag Ruth Herzberg mit einem Rückenleiden im Total-Lockdown.

Gerade als der Frühling mit seinen Lockerungen begann, lag Ruth Herzberg mit einem Rückenleiden im Total-Lockdown.

(Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz)

Nach über einem Jahr Pandemie ist so viel passiert, aber gleichzeitig auch so wenig. Wo soll man anfangen, beim Reden mit den Menschen?

Gastbeitrag von Ruth Herzberg

Endlich wird geimpft. Aber sind wir noch die, die wir vor Corona waren? Sind wir, in mehr als dieser Hinsicht, überhaupt noch zu retten? Persönliche Geschichten aus helleren Tagen. Alle Folgen: sz.de/wasfolgt.

Wird der Sommer gut?

Könnte sein.

Wie soll man sagen, wie es sein wird, wenn man nicht weiß, was ist und erst recht nicht was war, und ob es das überhaupt schon war oder ob das, was war, noch ist.

Denn, als die Wochen vergingen und dennoch nichts weiter geschah, fragte ich mich immer dringlicher, ob und wann, es überhaupt endlich mal wieder Frühling werden würde.

Zur Person

Ruth Herzberg, 46, ist Autorin und lebt in Berlin. Zuletzt erschien von ihr das Buch "Wie man mit einem Mann unglücklich wird".

Oder ob das jetzt (was denn?) schon der Frühling war?

War der Winter denn überhaupt schon ins Land gegangen, oder war er noch da, beziehungsweise, war er eigentlich überhaupt ins Land gekommen?

Oder hatten wir es in diesem verflixten Jahr lediglich mit einer Art abgekühltem Herbst zu tun gehabt?

Einem Herbst, den es möglicherweise auch nicht gegeben hatte, weil er im Grunde nichts weiter als ein empfindlich abgekühlter Sommer war, ein Sommer, der eigentlich nur eine überhitzte Version des vorangegangenen Frühlings darstellte ... und so weiter ...?

Dennoch, was es auch war, als die Wochen weiterhin sang- und klanglos vergingen, eine grauer als die andere - manchmal freute ich mich, denn insgesamt kam es mir mittlerweile doch so vor, als regnete es immer häufiger immer weniger.

Vielleicht könnte ich mir nun, bei aller Vorsicht, eventuell langsam etwas Optimismus erlauben, schien mir, denn es hatte in letzter Zeit sogar schon Tage gegeben, an denen ich mit dem Gedanken spielte, ohne Strickjacke ins Freie zu gehen.

Aber dann konnte ich nicht mehr gehen.

Denn als ich mich quer übers Bett warf, um das auf dem Nachttischchen seiner immer vollständigeren Aufladung harrende, immer dringlicher klingelnde Mobiltelefon zu erreichen, durchzuckte mich mit zunehmender Plötzlichkeit ein jäher und in Sekundenschnelle immer jäher werdender Schmerz, der links unten neben der Wirbelsäule seinen Ursprung hatte und von dort aus, immer intensiver in meine Extremitäten strahlte, so wie die Sonne neuerdings Richtung Erde.

Die Monate der Pandemie hatten ihre Spuren auf meinem Leib hinterlassen

Ja, kaum hatte sich da draußen alles immer zunehmender gelockert, verkrampfte sich etwas in meinem unteren Rücken.

Die immer mehr und immer schneller und immer ereignisloser vergehenden vorletzten, letzten und allerletzten Monate, während der sich immer weltweiter ausbreitenden Pandemie, hatten scheinbar doch ihre Spuren auf meinem Leib hinterlassen.

Ich war in dieser Zeit kein einziges Mal erkrankt, währenddessen jedoch auch nicht gerade gesünder geworden, wie sich jetzt herausstellte.

Daher plötzlich engstens ans Bett gefesselt, befand ich mich ausgerechnet jetzt, als draußen mehr und mehr Menschen immer schneller Impftermine mit immer sichereren Impfstoffen ergatterten und täglich frohlockender in Richtung immer größerer Freiheiten schritten, in einem extraverschärften Total-Lockdown.

Während schon eine einfache Drehung von Seiten- zu Rückenlage oder umgekehrt, mich endlose Minuten kostete und meine Schmerzen mich ächzen ließen, wurden die Nächte kürzer und die Tage länger und die seit über einem Jahr sogenannte "Aktuelle Situation", beständig harmloser.

Meine Schmerzen waren so stark, mein Lebensmut so gering, dass mir nichts weiter übrig blieb, als mir ab sofort einen noch stärkeren Optimismus zu verordnen und noch intensiver auf den ganz bestimmt bald immer stärker nachlassenden Schmerz und die daraufhin hoffentlich sehr bald erfolgende Wiedererlangung meiner Bewegungsfreiheit zu hoffen.

Tatsächlich schenkte mir mein Körper, angetrieben durch positives Denken und beachtliche Dosen Schmerztabletten, nach wochenlanger Lähmung die Bewegungsfreiheit zurück.

Als ich mich infolgedessen auf immer energischer ausgeführten Trippelschritten in die zwischenzeitlich noch freier gewordene Außenwelt wagte, war es kühl und windig. Aber ich ging weiter. Ich war so froh, mich endlich wieder bewegen zu können und endlich auch in der neuen Gegenwart angekommen zu sein.

Die Zeit ist ungeachtet meines Stillstandes vorangeschritten.

Obwohl der Frühling sich eigentlich erst jetzt mit weiterhin zunehmender Deutlichkeit erahnen lässt. Zwischen den Schneestürmen und Hagelschauern brennt die Sonne inzwischen viel intensiver.

Ich fühle es deutlich:

Das Wetter ist wie die Pandemie. Es wird langsam immer besser.

Eventuell jedenfalls.

Wie das Wetter letztendlich wirklich war, kann man immer erst danach sagen. Ganz genau weiß man es mit Sicherheit doch meistens erst am Ende des Tages, falls man sich dann noch daran erinnern kann oder man sich um diese Uhrzeit überhaupt noch dafür interessiert.

Es ist wichtig, flink weiterzuflattern, wenn man noch etwas erleben will.

Wie auch immer, sowie die Sonne scheint, eile ich kompromisslos ins Freie, denn demnächst soll es ja wieder mehr regnen, so habe ich es kürzlich in der Wetter-App gelesen. Ich tue mich aber schwer, noch an deren Vorhersagen zu glauben. Da steht neuerdings IMMER irgendwas von Regenwahrscheinlichkeit.

Aber oft regnet es trotz 70 Prozent Regenwahrscheinlichkeit nicht, dann aber wieder doch, trotz 40 Prozent Regenwahrscheinlichkeit.

Wie peinlich, jetzt rede ich schon wieder übers Wetter. Das passiert mir in letzter Zeit ständig.

Das war "Früher" also "VORHER", vor der Pandemie nämlich nie der Fall. Sicherlich habe ich meine Erfahrungen zum Gespräch beigetragen, wenn es mit meteorologischen Beobachtungen eingeleitet wurde, aber ich habe die aktuellen Temperaturen doch niemals als Erstes angesprochen, bzw. das Wetter nie, nie, nie, niemals überhaupt als Gesprächsthema in Betracht gezogen.

Ich weiß neuerdings aber nicht mehr, worüber ich sonst mit den Leuten reden soll.

Ich habe die doch alle so lange nicht gesehen und es ist so viel passiert, aber gleichzeitig auch so wenig. Wo soll man da anfangen? Wenn man jemanden fragt, ob er / sie "ES" gut überstanden hätte, dann holen alle ganz tief Luft und nicken und dann sagen sie: "Naja...." und dann nickt man auch wissend und will es lieber noch nicht so schnell so genau wissen, will es mit dem Anhören der Bekenntnisse nicht überstürzen, will sich das noch aufsparen für Zeiten, in denen die Sonne weniger dringlich lockt und auch erstmal noch nicht so schnell so viel erzählen und den Vibe damit killen und deswegen sagt man ihn dann, den derzeit einzig brauchbaren Satz:

"Schönes Wetter heute."

Auch dieser Satz kann mit einem Nicken beantwortet werden, aber einem leichten Nicken und darauf folgt ein Winken und ein freundliches: "Bis bald!"

Schnell geht, nein, tänzelt man weiter, es ist wichtig, flink weiterzuflattern, wenn man noch etwas erleben, noch etwas sehen will, denn das Jahr ist schon wieder halb vorbei, schon bald werden die Nächte länger und die Tage wieder kürzer werden. Ganz egal, wie das Wetter sein wird. Die Sonne wird sowieso geschienen haben. Der Frühling wird gekommen und vergangen sein.

Was folgt? Der Sommer.

Und zwar schnell.

Beeilen Sie sich.

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