Nach Plagiatsvorwürfen:Es geht um alles

Germany: Frankfurt Book Fair 2019 Day 1 German sociologist Cornelia Koppetsch speaks at the Frankfurt Book Fair. The 71

"Das Lagebild weist auf eine durchgehend verfehlte Arbeitsweise von C. Koppetsch hin", heißt es im Abschlussbericht der Untersuchungskommission.

(Foto: imago images/Pacific Press Agenc)

Die Soziologin Cornelia Koppetsch wurde vom Publikum und von Kritikern gleichermaßen hofiert. Ein schonungsloser Bericht entlarvt nun ihre Plagiate - und verteidigt entschieden wissenschaftliche Standards.

Von Felix Stephan

Der Abschlussbericht zu den Plagiatsvorwürfen gegen die Soziologin Cornelia Koppetsch, den die Technische Universität Darmstadt gerade vorgelegt hat, ist gleich aus mehreren Gründen ein bemerkenswertes Dokument. Weil es erstens ungewohnt deutlich die Vorwürfe bestätigt und der 53-jährigen Koppetsch "eine gravierende Missachtung guter wissenschaftlicher Praxis" attestiert. Weil es zweitens darauf verzichtet, die Verfehlungen der renommierten Professorin, von deren Ruhm und medialer Präsenz auch Institut und Universität unmittelbar profitieren, zu relativieren, um das eigene Kapital im Konkurrenzkampf um Drittmittel zu verteidigen. Und weil es sich auf diese Weise drittens gegen eine ganze Kultur wendet, in der Verstöße gegen grundsätzliche Standards in Kauf genommen werden, sofern sie sekundäre Ersatzbelohnungen abwerfen. Eine Praxis, durch die Standards kontinuierlich aufgeweicht und letztlich aufs Spiel gesetzt werden.

Erfolgreicher, als es das zeitdiagnostische Buch "Die Gesellschaft des Zorns" von Cornelia Koppetsch im Jahr 2019 gewesen ist, kann ein soziologisches Sachbuch jedenfalls kaum sein. Das Buch war Kritiker- und Publikumserfolg zugleich, ein Bestseller und Bestenlisten-Primus. Von seinen zentralen Thesen hatte jeder zumindest einmal gehört, auch wenn er das soziologische Fachgeschehen nicht unbedingt aufmerksam verfolgt.

Der Aufstieg des Rechtspopulismus hänge, so Koppetsch, mit der Auflösung sozialer Strukturen im Zuge der Globalisierung zusammen. Während in vielen Weltgegenden der Wohlstand zunehme, steige in vielen Milieus in Europa und den USA vor allem die Verlustangst. Der Klassenkampf sei global, deshalb drängten viele nach Jahrzehnten der physischen und ideellen Öffnung und Entgrenzung jetzt wieder auf eine Rückbesinnung auf das kulturelle und wirtschaftliche Schutzgebilde namens "Nation". Seine politische Kraft erlange diese Verlustangst, weil sie die unterschiedlichsten Milieus betreffe und so ganz neue Koalitionen ermögliche. Auf einmal haben der Kohlekumpel in Gelsenkirchen und ostdeutsche Bildungsbürger ein gemeinsames Anliegen. Im Herbst 2019 sind Koppetschs Thesen, und das ist vielleicht der größte denkbare Erfolg für eine Wissenschaftlerin, in die öffentliche Debatte diffundiert.

Unsaubere Übernahmen aus Texten von Slavoj Žižek, Frank Biess und Wendy Brown

Als sich das Buch allerdings im November beim Bayerischen Buchpreis unter den letzten drei Kandidaten befand, platzte die Bombe live im Fernsehen. Die Jurorin und FAZ-Kritikerin Sandra Kegel erklärte, sie habe aus vertrauenswürdiger Quelle von Vorwürfen "hinsichtlich der korrekten Zitierweise in diesem Buch" erfahren und es deshalb aus dem Wettbewerb genommen, nachdem die Autorin es abgelehnt hatte, es von sich aus zurückzuziehen.

Deutlicher wurde der Juror Knut Cordsen: Koppetsch habe nicht nur den Begriff "Neogemeinschaften" als ihren eigenen ausgegeben, obgleich er von dem Soziologen Andreas Reckwitz stamme. Sie habe auch aus einem Aufsatz von Reckwitz, der im "Jahrbuch für Kulturpolitik" erschienen war, "nicht nur einzelne Termini, sondern zeilenlang ganze Satzperioden" ohne Angabe der Quelle übernommen. Kurz darauf wurden Koppetsch weitere unsaubere Übernahmen unter anderem aus Texten von Slavoj Žižek, Sighard Neckel, Maurizio Bach, Frank Biess und Wendy Brown nachgewiesen und die TU Darmstadt setzte schließlich die Untersuchungskommission ein.

Deren Abschlussbericht liest sich nun verglichen mit den gewöhnlich bis an die Grenze der strategischen Leblosigkeit nüchternen Wissenschaftskommunikation wie ein Wutausbruch: "Das Lagebild weist auf eine durchgehend verfehlte Arbeitsweise von C. Koppetsch hin", heißt es dort. Die Befunde dokumentierten "eine gewisse Routine bei einer Form der Texterstellung, die den Eindruck der Originalität der eigenen Schrift zu Lasten anderer" steigere. Dichte und Häufigkeit der Plagiate sprächen sogar "eindeutig" dagegen, den Text als Qualifikationsschrift anzunehmen. Gemessen an den Standards wissenschaftlichen Arbeitens hätte die renommierte Professorin also nicht einmal promoviert werden können. Ein Schlüsselwort des Gutachtens ist die Bewertung von Koppetschs Gebaren als "rücksichtslos", weil es sich dabei nicht um eine fachliche Bewertung der Arbeitsweise handelt, sondern um eine moralische.

Hochstapler können in einem Umfeld reüssieren, dessen Kontrollsysteme versagen

Dass sich die Kommission überhaupt genötigt sieht, auf den zwangsläufig immer auch moralischen Dimension des Plagiats hinzuweisen, hat möglicherweise mit einem anderen Plagiatsfall zu tun, der diesem unmittelbar vorausgegangen ist: der Doktorarbeit der Familienministerin Franziska Giffey (SPD). Auch in dieser Arbeit wurden Plagiate nachgewiesen, die Freie Universität Berlin, die die Arbeit angenommen hatte, verzichtete jedoch auf eine Aberkennung des Titels.

Stattdessen sprach sie eine "Rüge" aus und berief sich bei dieser Entscheidung auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, nach dem Plagiate nur dann zu sanktionieren seien, wenn "die Plagiatsstellen die Arbeit quantitativ, qualitativ oder in einer Gesamtschau beider Möglichkeiten prägen". Dies sei erst dann der Fall, wenn die Anzahl der Plagiatsstellen überhandnähmen. Dieser Argumentation zufolge sind Plagiate nicht per se ein sanktionsfähiger Verstoß gegen die gute wissenschaftliche Praxis, sondern letztlich Abwägungssache. Ob Plagiate eine Arbeit "prägen" oder "überhandnehmen", ist letztlich kaum zu beweisen. Im Fall von Cornelia Koppetsch teilte die Universitätspräsidentin Tanja Brühl unmittelbar nach der Veröffentlichung des Berichts mit, dass sie ein Disziplinarverfahren gegen Koppetsch einleiten werde, das Koppetsch im schlimmsten Falle ihren Beamtenstatus kosten könnte.

Zuletzt haben der Spiegel-Journalist Claas Relotius und der Wirecard-Gründer Markus Braun gezeigt, dass Hochstapler nur in einem Umfeld reüssieren können, dessen Kontrollsysteme versagen. Dass die Darmstädter Kommission die wissenschaftlichen Standards jetzt so entschieden verteidigt, könnte deshalb auch damit zu tun haben, dass diese ohnehin unter Druck sind. Es geht in diesem Fall nicht nur um Cornelia Koppetsch, sondern im Zweifel um alles.

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Kaum ein Plagiatsfall verlief so geräuschlos wie der von Familienministerin Giffey. Ist diesem so titelgläubigen Land der Doktor plötzlich egal geworden? Wohl eher nicht.

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