"Coolhaze" von Studio Braun:Ein Theaterstück fürs Impfverweigerer-Land

Fotoprobe 'Coolhaze' im Schauspielhaus Hamburg

Nächstes Kapitel der männlichen Selbstüberschätzung: Rocko Schamoni, Heinz Strunk und Jacques Palminger (v. l.) in "Coolhaze" am Deutschen Schauspielhaus Hamburg.

(Foto: Markus Scholz/dpa)

Das Hamburger Spaßtrio Studio Braun macht aus Kleists "Michael Kohlhaas" die rasend komische Hollywood-Rächer-Parodie "Coolhaze". Mit Charly Hübner statt Charles Bronson.

Von Till Briegleb

Wann lässt es sich schon einmal beobachten, dass Jungs auf der Bühne erwachsen werden? Zumal solche, die weit bis in ihre Fünfziger hinein noch gerne Kackewürstchen spielten, über Samenstau witzelten und mit den fürchterlichsten Achtzigerjahre-Perücken und Haarbürsten in der Brusttasche die ewige Mofa-Gang gaben. Heinz Strunk, Rocko Schamoni und Jacques Palminger, die Reichsverweser des bad acting im deutschsprachigen Theater, haben die Verarbeitung einer abscheulichen Jugend durch Adoleszenz-Verweigerung über Jahre erfolgreich und mit Querflöte auf die Bühnen der Hamburger Staatstheater gebracht - unter dem Bandnamen Studio Braun und in Kollektivregie.

Ihr Œuvre zum lächerlichen Mann, der sich zu Großem berufen fühlt (und dabei auch mal bei Grässlichem landet), umfasst mittlerweile flachgreifende Beschäftigungen mit dem Kremlflieger Rust, dem Frauenmörder Honka und ihren eigenen Musikstarträumen in Form des fiktiven Elektropop-Trios Fraktus. Nun folgt als nächstes Kapitel zur männlichen Selbstüberschätzung, in der Tragik und Komik musikalisch verschlungen sind, der rasende Bühnenengel für Recht und Rache: Michael Kohlhaas. Allerdings in der Reinkarnation als Charles Bronson, und nicht in Brandenburg, sondern New York.

Bei aller Ironie: "Coolhaze" ist absolut hängerfrei und mit dem Willen zur Beeindruckung inszeniert

Pathos und Erschütterung, die Kleist in seiner Erzählung vom betrogenen Rosshändler, der zum Fackelträger der Selbstjustiz wird, ständig steigert, haben im Textbuch von Studio Braun natürlich keinen Zutritt. Der Türsteher gegen diese Zumutung echter Empörung ist in "Coolhaze", das jetzt am Hamburger Schauspielhaus Premiere hatte, wie immer die Ironie. Die Pferde sind Fahrräder in Chopper-Verkleidung, die Bühne von Stéphane Laimé ist ein potemkinsches Downtown aus kreiselnden Brownstones mit absurder Nostalgie-Werbung, etwa für "Fish Steak, Fish Cake". Und die versammelten "Revenge"-Posen rotsehender Männer im Hollywood-Kino werden mit Überbetonung und Slow Motion in ihrer Peinlichkeit verhöhnt.

So weit alles wie immer. Doch der Unterschied zu früheren Produktionen, die Studio Braun mit bewusst peinlichen Unterbrechungen davor bewahrten, zu professionell auszusehen, ist frappant: "Coolhaze" ist in Rhythmus, Tempo, Fluss und Komposition absolut hängerfrei und mit dem Willen zur Beeindruckung inszeniert. Ein riesiges Orchester unter Leitung von Sebastian Hoffmann, der auch die meisten Stücke komponiert hat, treibt den zweistündigen Abend mit Motiven aus Titelmelodien beliebter US-Serien der Sechziger, Siebziger und Achtziger voran. Die Selbstinszenierung von Studio Braun als singende Stümper begrenzt sich auf einen fetzigen Quälreim-Rap über New York und Jacques Palmingers Rolle als stinkende, traurige Leichenmade, die über die Rolle des Menschen bei der Zerstörung des Ökosystems philosophiert.

"Coolhaze" von Studio Braun: Explosionsgefahr: Charly Hübner als Michael Coolhaze am Deutschen Schauspielhaus Hamburg.

Explosionsgefahr: Charly Hübner als Michael Coolhaze am Deutschen Schauspielhaus Hamburg.

(Foto: Markus Scholz/dpa)

Vor allem aber ist die Erzählung von Kleists berühmter Fehde als Filmdreh ein Kniff, der aus Studio Brauns Niveauflucht plötzlich eine unbekannte Vielschichtigkeit und Dynamik entwickelt. Samuel Weiss als wienernder Regisseur aus Kassel, der als größenwahnsinniges Arschloch mit "Coolhaze" einen "Welterfolg" zu drehen glaubt, der halb Céline Dion, halb Leni Riefenstahl sei, liefert eine brillante Show als herrschsüchtiger Zyniker alter Schule. Er demütigt und beschimpft seine Mitarbeiter so formvollendet als eitle Autorität, dass "Rache" eigentlich mehr das Hauptthema dieser ätzenden Rahmenhandlung ist. Nur Charly Hübner, sein "Star", der sich für göttlich hält, darf sich ebenfalls ungestört und komisch im Status männlicher Unfehlbarkeit suhlen.

Vor allem im Verhältnis zu seiner Filmfrau lässt er den Obermacker raushängen, aber Ute Hannig als Ladybird Coolhaze weiß sich mit Spott, Intrige und Piccolöchen aus den verschiedenen Affären zu ziehen. Alle auf der Bühne sammeln in dieser Entmännlichung des Rache-Genres Lacher - wie in einer handfesten Komödie. Und genau das ist der Unterschied zu früheren Abenden mit Studio Braun. Das Publikum lacht nicht verdruckst über zugemutete Peinlichkeiten, sondern über echten Humor, gute Pointen sowie Darstellerinnen und Darsteller, die das Timing platzender Bühnenkomik beherrschen - inklusive Heinz Strunk als "Oma" Coolhaze und Rocko Schamoni, der den tumben Rocker "Shaggy" im Glamrock-Outfit spielt.

Begeisterung für harte Bullen und die weichen Kerle der Ironie-Aufklärung

Was diese Produktion zudem über den charmanten Dilettantismus früherer Produktionen erhebt, ist der neue Mut zur seriösen Stiltreue. Die Choreografin Rica Blunck zitiert "West Side Story", die Kostümbildnerin Dorle Bahlburg ruft die Modewelt von "Kojak", "Shaft" und "Starsky & Hutch" wach. Und der Animationskünstler Luis August Krawen entwickelt aus den grafischen Vorspännen alter Serien einen neuen Bildkosmos, der die nostalgische Begeisterung für diese Epoche harter Bullen mit Humor perfekt in die Kulisse weicher Kerle der Ironie-Aufklärung fügt.

Michael Kohlhaas' berühmtes Motto, "Fiat iustitia et pereat mundus", also: "Gerechtigkeit soll geschehen, und gehe die Welt dabei zugrunde", sorgt als viel zitiertes Leitmotiv dieser mitreißenden Komödie trotzdem dafür, dass der ernste Hintergrund fanatischer Gesinnungstäter, die im Impfverweigerer-Milieu vermutlich gerade herangären, stets präsent bleibt. Wären auch diese Leute sich ihrer Lächerlichkeit so bewusst wie die Protagonisten dieser Show, es wäre viel gewonnen im Lande Kleists.

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