Süddeutsche Zeitung

Seuchenfilme in Corona-Zeiten:Wenn das echte Grauen nicht reicht

  • Die Filme "Contagion" von Steven Soderbergh und "Outbreak" von Wolfgang Petersen stehen seit Beginn der Corona-Krise weit oben in den Film-Streaming-Charts.
  • Durch sie kann man aus der Sicherheit des eigenen Wohnzimmers durchspielen, was gerade passiert - und was noch kommen könnte.
  • Wer sich diese Filme ansieht, merkt auch, welche Narrative unsere Vorstellung von Pandemien prägen.

Von Kathleen Hildebrand

Eigentlich muss man für ein apokalyptisches Gruseln gerade bloß die Nachrichten einschalten. Viele der Bilder, von denen sonst der Katastrophenfilm lebt, sind dort zu sehen: menschenleere Straßen und Cafés, besorgte Experten, leer gekaufte Supermärkte.

Aber wie es aussieht, sind die Nachrichten den Menschen nicht genug. Seit Wochen stehen zwei Filme ganz oben in den Streamingcharts, die von tödlichen Virenkrisen handeln. In Deutschland findet man Steven Soderberghs "Contagion" von 2011 gerade auf Platz fünf der iTunes-Charts, weltweit steht der Film sogar auf Platz zwei. "Outbreak" von Wolfgang Petersen aus dem Jahr 1995 steht auf Platz zwölf. Für Filme, die nicht aktuell sind, ist das ungewöhnlich. Woher kommt diese Faszination für Fiktionen, die der aktuellen Realität so ähnlich sind?

Anruf bei Eva Horn, Professorin für Germanistik an der Universität Wien und Expertin für Katastrophenszenarien. In Wien herrscht Ausgangssperre, Eva Horn ist also zu Hause. Soderberghs Film hat sie drei Tage zuvor noch einmal angeschaut. "Was Fiktion kann", sagt sie, "ist, ein konkretes Bild von einer Situation zu erzeugen, die sich eigentlich niemand vorstellen kann." In ihrem Buch "Zukunft als Katastrophe" nennt sie solche Filme und Romane "Experimentalanordnungen": Man kann aus der Sicherheit des eigenen Wohnzimmers durchspielen, was gerade passiert - und was noch kommen könnte.

Beruhigend ist daran zuerst einmal gar nichts. Besonders "Contagion" ist dazu viel zu realistisch. Der Film beginnt, bei schwarzem Bild, mit einem ziemlich ernsthaft klingenden Husten von Gwyneth Paltrow. Sie kommt gerade aus Hongkong, hat Zwischenlandung in Chicago und knabbert mit fiebrig glänzendem Gesicht ein paar Erdnüsse an der Flughafenbar. Als sie zahlt und sich zum Gate aufmacht, lässt Soderbergh die Kamera jeweils ein paar Sekunden auf allem ruhen, was sie berührt hat: den Nüssen in der Schale für alle Gäste, ihrer Kreditkarte, die sie der Bedienung gibt, die wiederum den Touchscreen der Kasse bedient. Es ist klar: Sie ist sehr krank, andere werden es auch bald sein. Das Virus klebt überall. Zehn Filmminuten später liegt Gwyneth Paltrow auf einem Obduktionstisch, ein Pathologe klappt ihr die Kopfhaut nach vorn. Wer sich nach zwei Monaten Corona-News noch immer nicht alle fünf Minuten die Hände wäscht, fängt nach diesen Bildern damit an.

Seuchenfilmlogik: Die untreue Frau muss sterben, der biedere Ehemann überlebt das Virus

Scott Z. Burns, der das Drehbuch zu "Contagion" geschrieben hat, gab kürzlich dem Magazin Slate ein Interview. Er sagt, dass das Virus im Film zwar stärker sei als Corona, aber dafür sei die aktuelle US-Regierung auch schwächer gerüstet für den Kampf dagegen. Das mindert die einigermaßen tröstliche Wirkung von "Contagion", an dessen Ende es immerhin einen Impfstoff gibt und Matt Damon als Familienvater seine Tochter vor der Erkrankung bewahrt hat, auch wenn er sie dafür streng von ihrem Boyfriend fernhalten musste.

Wolfgang Petersens "Outbreak" ist im Vergleich fast beruhigend realitätsfern: Hier ist das Ursprungsvirus ein künstlich gezüchteter Biokampfstoff, dessen Existenz das Militär um jeden Preis geheimhalten will. Über dem Militärlager in Afrika, in dem es erstmals getestet wird, wirft die Armee eine Bombe ab. Nur drei schwarz-weiße Äffchen springen aus den brennenden Bäumen in Sicherheit. Dreißig Jahre später kommt das Virus über einen importierten Affen in eine idyllische Kleinstadt in Kalifornien, Dustin Hoffman und Rene Russo sollen sie als Virologen und Ex-Eheleute retten. Bis es soweit ist, muss aber unter anderen Kevin Spacey als lustiger Virologenkollege von Hoffman sein Leben lassen. Anders als im verwandten Zombiegenre enthumanisiert der Pandemiefilm seine Infizierten nicht, ganz im Gegenteil.

Wer sich diese Filme ansieht, merkt auch, welche Narrative unsere Vorstellung von Pandemien prägen: Das gefährliche Virus kommt aus dem Dschungel von Asien oder Afrika, aus westlicher Perspektive also aus der nicht so richtig zivilisierten Welt, wo Mensch und Tier sich noch näher sind als bei uns. Von dort dringt es in die Zivilisation ein, beschleunigt von globalisierten Transport- und Handelswegen.

Am Schluss von "Contagion" zeigt eine Montage zu treibenden Technobeats, woher das Virus kam: Eine Fledermaus wird von Baumaschinen aufgeschreckt, lässt ein angeknabbertes Stück Banane fallen, das ein Ferkel in Massentierhaltung frisst, das wiederum von einem chinesischen Koch zubereitet wird, der sich nicht die Hände wäscht, bevor er Gwyneth Paltrow für ein Foto im Restaurant die Hand schüttelt. Selbst das uralte Motiv der Krankheit als Strafe für Sünden ist noch da: Paltrows Figur ist auf ihrem Zwischenstopp in Chicago mit ihrem Ex-Freund fremdgegangen. Die Person, die das Virus in "unsere" Welt bringt, ist also eine untreue Frau - der personifizierte Kontrollverlust. Ihr braver Ehemann, gespielt vom amerikanischen Jedermann Matt Damon, überlebt. In "Outbreak" wendet sich die Sünde der Biowaffenherstellung gegen die Sünder selbst und verwüstet mit dem beschaulichen Cedar Creek genau den Ort amerikanischer Idyllik, den die ruchlosen Militärs angeblich schützen wollen.

Die Helden sind am Ende, wie meistens in Hollywoodfilmen, einzelne mutige Menschen. Die Behörden in "Contagion" mögen behäbig sein, sie knausern und geben zu wenige Informationen an die Öffentlichkeit. Aber einzelne Forscher und Beamte verhalten sich dann doch so heldenhaft wie die Medizinerin, die sich den experimentellen Impfstoff selbst injiziert, um die Zeit für die klinischen Tests zu sparen.

Der Grund dafür, dass diese Filme gerade Konjunktur haben, liegt aber nicht nur im Trost funktionierender Rettungsmaßnahmen in der Fiktion und auch nicht nur in der Angstlust, dem Grusel des Realen. Eva Horn erklärt die Wirkung katastrophischer Szenarien in ihrem Buch "Zukunft als Katastrophe" einerseits als alarmistisch - sie weisen auf Gefahren hin, machen sie anschaulich und können so aktivieren, mindestens zum Händewaschen. Andererseits beschreibt sie sie mit dem Konzept der Interpassivität: Man delegiert durch die Fiktion eines Films oder eines Romans das Handeln an jemand anderen, einen Filmhelden wie den Familienvater, der die Seuche überlebt. "Das Starren auf die Katastrophe" schreibt Horn, entlaste von der schwierigen Aufgabe, angesichts der Katastrophe zu handeln.

Dass offenbar vor allem zu Hause auf dem Sofa gestarrt wird, ist im Fall von Corona freilich tröstlich. In "Outbreak" sagt Rene Russo angesichts Dutzender neuer Infizierter in Cedar Creek: "So viele. So plötzlich." Und Dustin Hoffman antwortet: "Wahrscheinlich waren sie alle im Kino."

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Quelle:
SZ vom 19.03.2020/khil
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