Alben der Woche:Glamour in den Müll

Wurst trägt Conchita eher halbherzig zu Grabe, die Düsseldorf Düsterboys halten sich aus dem Trouble raus - und Ringo Starr macht gemütliche 08/15-Musik für Senioren im Privatjet.

Von den SZ-Popkritikern

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Düsseldorf Düsterboys - "Nenn mich Musik" (Staatsakt)

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Quelle: SZ

Besonders Düsseldorfer finden ja, dass ihre Stadt als deutsche Pophauptstadt notorisch übersehen ist. Aber es stimmt schon. In Düsseldorf liegt nicht nur der sagenhafte Ratinger Hof, das Epizentrum des deutschen Punk, aus der Stadt kommt auch ein auffällig großer Teil der besten Bands des deutschen Pop, DAF etwa, Fehlfarben oder die Krupps. Ach ja, und in ihren Düsseldorfer Klingklang-Studios revolutionierten Kraftwerk die Musik. Zuletzt waren die viel zu früh wieder aufgelösten Susanne Blech würdige Erben, und zum Glück gibt's jetzt die Düsseldorf Düsterboys und ihr grandioses Debüt "Nenn mich Musik". Wobei natürlich auch richtig ist, dass die Chef-Düsterboys Peter Rubel und Pedro Crescenti aus Essen stammen und noch nie in Düsseldorf gelebt haben, aber mit Essen funktioniert die Alliteration halt nicht. Außerdem geht der Anschluss schon allein mit den ersten Takten des Albums klar. Nach ein paar robust getupften trägen Pianotönen singt ein Männerchor verschleppt-elegisch: "Oh Mama, halt mich aus / halt mich aus dem Trouble raus / Denn ich habe ein Gefühl / es bringt nicht viel". Wer da nicht vor Glück auf die Knie sinkt, muss in Köln eine Büttenrede halten. Die Düsterboys machen ziemlich altmodischen, schön verschaukelten Sixties-Folkrock, nur echt mit Klarinette, Orgelrabatz, Gitarrengeschrammel und sanftem Männergesang: "Wir trinken Messwein, Baby / Messwein / Oh, nein". Manchmal klingt's sogar fast nach Simon & Garfunkel, aber dann geht der Text so: "Und willst Du mir die Beichte sagen / hol ich uns 'nen Leichenwagen / und der fährt nonstop / nach Teneriffa". Songs für die Kaffeepause im Ratinger Hof. Plüschgewitter mit Mittelfinger.

Jens-Christian Rabe

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Swans - "Leaving Meaning" (Mute)

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Quelle: SZ

Die amerikanische Experimental-Rockband Swans, 1982 gegründet, 1997 aufgelöst, 2010 wiederbelebt, hat eine neue Platte gemacht: "Leaving Meaning". Nach der gefeierten Trilogie "The Seer" (2012), "To Be Kind" (2014) und "The Glowing Man" (2016) hatte das einzige verbliebene Gründungsmitglied, Sänger und Songwriter Michael Gira, angekündigt, neue Wege zu gehen. "Leaving Meaning" ist nun keine Neuerfindung des Sounds der Band, aber angesichts der Intensität, die man von den Swans gewöhnt ist, doch so etwas wie eine zurückgelehnte, manchmal sogar fast beschwingte Geisterbeschwörung.

Jens-Christian Rabe

3 / 5

Ringo Starr - "What's My Name" (Universal)

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Quelle: AP

Ja, nun, Ringo. Als es mit den Beatles vorbei war, blieb für ihn nicht viel übrig. Er war nie ein richtiger Songschreiber, als Sänger eher mäßig, auf der Bühne bestenfalls Schunkelbär. Zum Glück ist er auf die Idee gekommen, Butterfahrten für Altrocker zu organisieren: Er geht auf Tournee mit anderen ergrauten Musikern, spielt Beatles-Songs und Hits der Kollegen. Mit denen hat er jetzt mal wieder ein Album aufgenommen: "What's My Name" - etwas Rock, etwas Schlager, viel Geschunkel. Den Versuch, musikalisch Bedeutendes oder Zeitgemäßes zu schaffen, unternimmt Ringo gar nicht erst. Die Lieder heißen programmatisch "Life Is Good", "Thank God For The Music" und "Send Love Spread Peace". Den Titelsong "What's My Name" (Antwort: "Ringo!") hat ihm Colin Hay geschrieben, einst Sänger der Band Men At Work, außerdem dabei: der Gitarrist Joe Walsh (Eagles), Steve Lukather (Toto), Edgar Winter, Benmont Tench und Dave Stewart (einst Eurythmics). Ist das gut? Ist das schlecht? Sagen wir so: Der Mann wird nächstes Jahr 80, er geht raus und wärmt die Herzen der Fans, die mit ihm alt geworden sind, er verschafft seinen Kumpels ein paar entspannte Reisen zu den Bühnen der Welt (Privatjet!), er hält sich in Bewegung. Was soll daran falsch sein? "What's My Name" ist keine Bewerbung um einen Musikpreis, sondern ein gut gelauntes Seniorenprogramm gegen eingeschlafene Füße.

Max Fellmann

4 / 5

Neil Young - Colorado (Warner)

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Quelle: SZ

Von allen alten Helden ist Neil Young der eine, der sich wirklich nie weichspülte. Also kratzt und knarzt und rumpelt er seine Songs bis heute nimmermüde minimalistisch um seine markant dünne Stimme herum - und bringt auch auf seiner neuen, 39. Platte "Colorado" das Kunststück fertig, fast so gut zu sein wie zu besten Zeiten in den Siebzigern. Man höre nur "Help Me Lose My Mind"!

Jens-Christian Rabe

5 / 5

Wurst - Truth Over Magnitude (Sony)

Wurst

Quelle: Sony Music

Tom Neuwirth nennt sich als Künstler jetzt nur noch "Wurst", weil er Abstand zu Conchita braucht, seiner überlebensgroßen, ESC-gewinnenden, Glamour-Kunstfigur. Die trägt er auch direkt in der ersten Nummer auf "Truth Over Magnitude" zu Grabe - beziehungsweise zum Müllcontainer: "Trash All The Glam" heißt sie, wie viele der Songs eigentlich recht solide Pop-Elektronik mit verhältnismäßig unverbrauchten, aus auf- und abkletternden Syntie-Patterns arrangierten Melodien, dabei allerdings irritierend roh produziert: Den Beats fehlt es an Druck, Neuwirths Stimme, die eigentlich ziemlich innovativ zwischen eher femininer anmutender Kopf- und tiefer Bauchstimme mit sich selbst duettiert ("Can't Come Back"), wirkt unnötig dünn abgemischt. "Truth Over Magnitude" klingt daher eher wie ein im Schlafzimmerstudio zusammengeklopftes Vorab-Demo zum eigentlichen Album. Das ist zwar andererseits wieder ganz im Sinne der Glam-Reduktion - für die große Befreiung von Conchita reicht es aber nicht ganz, zu unfertig wirkt der Gegenentwurf.

Quentin Lichtblau

© SZ.de/qli
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