Computerspiele (III):Mehr Hitze als Licht

Viel geredet, nichts geklärt: Die Gewalt in Computerspielen bleibt ein ungelöstes Problem.

BERND GRAFF

Es gehört zum Generationenkonflikt, dass Eltern Fehlentwicklungen fürchten, wenn sie ihre Einflussmöglichkeiten auf den Nachwuchs schwinden sehen.

Computerspiele (III): Aus dem "neuen" ´Counter-Strike: Source´: Auf "cs_havana" hat sich ein Terrorist zwischen den Geiseln verschanzt.

Aus dem "neuen" ´Counter-Strike: Source´: Auf "cs_havana" hat sich ein Terrorist zwischen den Geiseln verschanzt.

(Foto: Foto: Vivendi / GameStar)

Denn zu diesem Konflikt gehört auch, dass Heranwachsende mit der Verlässlichkeit von Kompassnadeln genau die Vergnügungen zu suchen und zu finden scheinen, die am weitesten von den elterlichen Polen entfernt sind.

Derzeit erhitzen sich die Gemüter an dem, was man pauschal "neue Medien" nennt, also am Internet und an den Computer- wie Konsolenspielen.

Grundsätzlich wird es, wenn das Faible für die immer schnell in einen Topf geworfenen "Shooter" generell in Frage gestellt wird, weil Eltern schlimme Wirkungen der Bilder befürchten.

Einer dieser inzwischen schon fast klassisch gewordenen Aufreger ist seit zwei Tagen in einer neuen Version in den Läden: "Half-Life 2" mit "Counter-Strike: Source".

Mehr Hitze als Licht

Gerade Counter-Strike ist ein Reizwort.

Denn dieser Zusatz, ein so genanntes "Add-on" für das Online-Spiel in Teams, ist zu einiger Berühmtheit gelangt, als bei den Ermittlungen des Amoklaufs von Erfurt herauskam, dass auch der Täter Robert Steinhäuser dieses Spiel auf seinem Computer gehabt haben soll.

Was lag näher als der Schluss, dass Steinhäuser am Rechner für das Massaker trainiert habe. Damit war eine heftige Debatte eröffnet, die ausnahmslos in allen Shootern Bilder aus dem Reich des Bösen dingfest gemacht zu haben glaubte, die man folglich verbieten, zumindest aber restringieren müsse, um Wiederholungen zu verhindern.

Und so wurde die "USK", die "Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle" damit beauftragt, so genannte Alterseinstufungen für die Spiele vorzunehmen.

Das geschieht seit April 2003.

Eine Maßnahme allerdings, die - völlig unabhängig von der attestierten Sorgfalt, mit der die USK wohl vorgeht - auch Ausdruck einer Nicht-Lösung ist.

Allen Beteiligten, Eltern und Politikern, Medienpädagogen und Spieleproduzenten ist klar, dass mit den Einstufungen keine wirkliche Kontrolle über die mutmaßlich gefährlichen Bilder verbunden ist: Was die Kids aufgrund der Altersbeschränkungen nicht selber kaufen können, besorgt eben die ahnungslose Oma. Und was hierzulande nicht zu haben ist, gibt es als Originalimport übers Internet.

Mehr Hitze als Licht

Symptomatisch für die unbefriedigende Situation ist einerseits, dass die Diskussion um die Computerspiele inzwischen Züge von Verhärtungen auf allen Seiten trägt: Ein Clash der Kulturen mitten im Kinderzimmer.

Während Eltern und Erzieher nach wie vor fassungslos vor den immer plastischer, immer realistischer werdenden Bildern stehen, gerieren sich Spieler-Communities wie christliche Pfadfinder-Vereine, die alten Muttchen über die Straße helfen wollen: Man betont das "Gameplay" hinter den Bildern, lobt die zu lösende Aufgabe und das soziale Netzwerk der Gemeinschaft.

So wird allein schon die Frage nach den kruden Inhalten (Warum muss eigentlich so viel virtuelles Blut vergossen werden, wenn es doch um e-Sport und Community geht?) mit dem immer gleichen Aufschrei quittiert, als sei irgendwem ein analoger Ziegelstein auf den entzündeten Zeh gefallen: "Aus uns werden keine Amokläufer, wenn wir ausgiebig in die Leere der virtuellen Bits ballern."

Inzwischen gehört diese wie eine Monstranz getragene Rundumrechtfertigung zum leichten Handgepäck: Sie ist sogar zu hören, wenn solche Vorwürfe gar nicht erhoben werden.

Symptomatisch ist des weiteren, dass sich die Spiel-Produzenten nicht selten zu waghalsigen Analogien hinreißen lassen, um die Brutalität der Bilder einzuordnen: Monotone Metzelspiele werden mit Brettspielen und Dracula-Romanen verglichen, um noch die ekelhaftesten Bilder an gesellschaftlich legitimierte Artikulationsformen von Grausamkeit und Gewalt anzuschließen. (SZ vom 19.10.)

Bezeichnend ist schließlich auch, dass keine eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Wirkmacht der heiklen Bilder vorliegen. Jede Fraktion hat hier ihre eigenen Forschungspfeile im Köcher: Spiele-Befürworter und auch die eigentlich zu Neutralität verpflichtete USK heben etwa auf die "Ästhetik einer Regelverabredung im Spiel" ab und sehen ganz im Gegenteil den Abscheu vor den Bildern in Abhängigkeit von jener "Wucht, mit der das Verdrängte sich stets irgendwo seine Rückkehr schafft."

Diese wachse "proportional zur Macht der Verdrängung" - was ja nur heißen kann: "Wer sich aufregt, sollte einen Analytiker aufsuchen." Abgesehen davon, dass man dem Verdrängten mittlerweile ein Monatsticket spendieren könnte für seine andauernde Wiederkehr.

Mehr Hitze als Licht

Dieser Sicht widerspricht eine Forschungsrichtung, die etwa von der American Academy of Pediatrics vertreten wird.

Sie will endlich "ein klares Bild von den pathologischen Effekten der ,Unterhaltungs-Gewalt'" zeichnen.

Besonnene Geister wie der amerikanische Psychologe Craig A. Anderson aus Stanford fassen die Situation in dem Satz zusammen: "Die neue Debatte produziert mehr Hitze als Licht."

Medienhistoriker verweisen hier gerne auf die Geschichte der Jugendattraktionen und erwähnen etwa, dass ähnliche Grabenkämpfe bereits vor einem halben Jahrhundert um die Comics geführt wurden.

Die damalige Aufregung um brutale Blasenbilder war jedoch beileibe kein historischer Ausdruck von Prüderie. Ging es doch etwa Titelbild der "Crime SuspenStories", auf dem man einen sauber vom Rumpf abgetrennten Blondinenkopf, einen Herrn, der eben diesen Kopf und blutíges Beil in Händen hielt, und einen mutmaßlichen Blondinen-Torso auf dem Boden liegen sah. Oder auch um zwei Mafiosi, die in einem Auto sitzen, an dessen Stoßstange Leichen gebunden sind. "Diese Kieswege sind Gift für die Reifen", sagt der eine. Antwort: "Du musst zugeben, es gibt nichts Besseres, um Gesichter auszuradieren." Klar, dass unsere Großväter darauf ähnlich ratlos reagierten wie heutige Eltern, die fürchten müssen, dass solche Bilder heute in einem 360-Grad-Panarama von unseren lieben Kleinen befehligt werden könnten, die dann das Gameplay loben.

Besorgte Eltern bleiben also in zunehmender Ratlosigkeit angesichts einer wachsenden Macht der Bilder. Das gilt für die Bilder der Wirklichkeit ebenso wie für die der Spiele. Ein nicht gering zu schätzendes Problem dabei ist ja gerade das der zunehmenden Verwischung, ja Auflösung der Grenzen.

Es wird viel, teils hanebüchen und manchmal auch verlogen über das Massenphänomen der Spiele geredet, aber erschütternd wenig miteinander kommuniziert. Elterliche Sorgen, die Interessen einer prosperierenden Industrie, die Bestimmungen der Politik und die Rechte der Konsumenten prallen unvereinbar aufeinander. Darum würde es der notwendigen Diskussion in Deutschland schon erheblich helfen, wenn man neue Spiele nicht mehr in einem Atemzug mit den Begriffen Zensur und Indizierung nennen würde. Denn zurückdrehen kann man das Rad der Geschichte ohnehin nicht mehr.

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