Computerspiele (I):Virtuelles Massaker im Kinderzimmer

Der Gesetzgeber tut sich mit Verboten von PC-Spielen schwer, deren Wirkung ist umstritten. Fördern sie die Gewaltbereitschaft oder bauen sie Aggressionen ab?

Bernd Graff

In diesen Tagen kommen neue Versionen einiger besonders beliebter, aber auch besonders abstoßender Computer-Spiele auf den Markt. Obwohl sie die Kennzeichnung: "Keine Jugendfreigabe" erhalten haben, boomt der Markt. Gerade für Spiele, die über das Internet gespielt werden können. Allerdings: Ihre Wirkung ist bei Experten umstritten. Fördern sie die Gewaltbereitschaft oder bauen sie Aggressionen ab? - Ein Special der SZ aus Beiträgen, die die aktuelle rechtliche Situation, das Phänomen der LAN-Partys, den Beruf des Profispielers und Autorenn-Spiele im Besonderen beleuchten.

Computerspiele (I): Verwischung von Realität und Virtualität? Screenshot aus Counter-Strike.

Verwischung von Realität und Virtualität? Screenshot aus Counter-Strike.

(Foto: Foto: ddp)

Die Aufregung war groß, als bekannt wurde, dass Robert Steinhäuser, der im April 2002 in einem Erfurter Gymnasium ein Blutbad anrichtete, eifriger Spieler des Online-Computerspiels "Half Life: Counter-Strike" gewesen sein soll. Denn dieses Spiel ist ein äußerst populärer "Ego-Shooter". Es gehört zu einem Genre, in dem der Spieler das zumeist realistisch gestaltete Geschehen aus der Ich-Perspektive erlebt. Und dieses Geschehen ist der Kampf mit Waffen. Das Spiel sei die "Software fürs Massaker", schrieb die Sonntagszeitung der FAZ damals. Es habe den "Handlungscode" für die Tat geliefert, den Steinhäuser eben nur "ganz wörtlich genommen" habe.

Nun erscheint dieses Spiel, das nach Herstellerangaben "zu jedem gegebenen Zeitpunkt zehntausende Spieler" in losen Teams oder festen "Clans" im Internet zusammenbringt, in einer neuen Version: "Counter-Strike: Source". Lang ersehnt von den Spielern -- und begleitet von den mulmigen Gefühlen nicht weniger Eltern und Erzieher. Denn eine zentrale Frage ist bislang unbeantwortet geblieben: Was bewirken die realistischen Bilder von Tötungen beim Spieler -- und wie geht man im Sinne des Jugendschutzes mit ihnen um?

Virtuelles Massaker im Kinderzimmer

In Deutschland hat sich seit dem Erfurter Massaker einiges bei der Reorganisation der Zuständigkeiten und Bestimmungen für die Einstufung von Computerspielen getan. Seit April 2003 ist nicht mehr die "Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien" (BPjM) für die Alterskennzeichnung der Spiele zuständig, sondern die Unterhaltungssoftware-Selbstkontrolle (USK): ein Gutachter-Gremium aus Pädagogen, Journalisten, Sozialwissenschaftlern, Vertretern der Kirchen und Wirtschaftsverbände und -- für die Obersten Landesjugendbehörden -- einem Vertreter der Bundesländer.

Kein leichtes Amt. Zum einen weil der Markt für PC-Spiele boomt, von denen Ballerspiele nur einen kleinen Teil ausmachen: Mit einem weltweiten Jahresumsatz von etwa 18,8 Milliarden Euro hat die Spiele-Industrie die Margen der Filmproduktion hinter sich gelassen hat.

Zum anderen existieren keine eindeutigen Erkenntnisse darüber, wie Gewalt-Spiele wirken. Es konkurrieren unterschiedliche Ansätze und Modelle: Einmal die "Stimulationstheorie". Nach ihr sollen aggressive Computer-Spiele zur Nachahmung anregen und die Bereitschaft zu Aggression fördern -- oder sogar erst freisetzen. Ihr steht die "Inhibitionstheorie" gegenüber, die davon ausgeht, dass aggressive Spiele soviel Angst erzeugen, dass sie Bereitschaft zur Aggression hemmen. Nach der "Habitualisierungstheorie" wirken aggressive Spiele so abstumpfend, dass sie Aggression als Mittel realer Auseinandersetzung etablieren können. Schließlich die "Katharsistheorie". Nach ihr bauen Computer-Spiele die Bereitschaft zu Aggression ab, weil man am Rechner genug davon abbekommen hat. Verschiedenere Standpunkte zur Mediengewalt lassen sich also kaum denken. Einig sind sich die Experten aber darin, dass es keine generellen Aussagen über die Wirkung von Gewalt in Computer-Spielen geben kann. Im Gegenteil: Ob sie überhaupt einen Einfluss haben können, hängt von der Biographie, Disposition und dem sozialen Umfeld des Spielers ab.

Solche Auskünfte befriedigen nicht alle Eltern. Vor allem angesichts mutmaßlicher Ungereimtheiten: So wurde etwa das im Sommer erschienene "Doom 3" mit der Einstufung "Keine Jugendfreigabe" versehen -- aber nicht von der BPjM indiziert. Eine solche Indizierung war jedoch noch für die beiden Doom-Vorgänger angeordnet worden. Sie bedeutet, dass solche Spiele nicht offen in den Läden ausliegen und beworben werden dürfen. Sie sind Erwachsenen aber legal zugänglich, werden also nicht zensiert.

Jürgen Hilse, in der USK zuständig für diese Altersfreigaben, betont, dass auch "Doom 3" nur an Erwachsene verkauft werden darf. Er weiß aber, dass es "illusorisch ist zu glauben", dass dessen Spieler auch alle erwachsen sind. Zu einfach seien solche Medien zu beziehen, etwa über das Internet. Hilse glaubt, dass sich die Verfahren zu Einstufung aber bislang bewährt haben. Sie stünden allerdings vor einer neuen Herausforderung: dem Problem der Verwischung von Realität und Virtualität, dann, "wenn die Spiele so spannend werden, dass man gar nicht mehr weiß, was nun wahr ist ".

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