Noch häufiger als in den letzten Jahren riefen die Hilfskräfte und Aussteller der Comic-Con den Besuchern "Keep Moving!" zu. Dies wäre mit "Gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen" gänzlich falsch übersetzt. Zu sehen gab es auf der größten US-Veranstaltung zur populären Kultur reichlich, sogar mehr als das Auge erfassen und das nicht eben kleine San Diego Convention Center eigentlich beherbergen kann. Text: Heiner Lünstedt / SZ vom 17.07.2012 Bildauswahl: Süddeutsche.de/feko
In der riesigen 57.000 Quadratmeter großen Messehalle herrschte permanente Reizüberflutung. Hier präsentierte etwa Twentieth Century Fox zum Bewerben der 007-Blu-ray-Komplett-Edition jeden Tag ein anderes Fortbewegungsmittel aus einem James-Bond-Film. DC-Starzeichner Jim Lee demonstrierte auf einer Großbildleinwand, mit welchen grafischen Tricks er seine kontrastreichen Batman-Zeichnungen zu Papier bringt. Im exakten Tolkien-Maßstab gefertigte - also überdimensionale - Troll-Figuren sollten für Peter Jacksons "Herr der Ringe"-Prequel "Der Hobbit" werben.
Bei Hasbro oder Lego war limitiertes Spielzeug im Angebot, was lange Besucherschlangen erzeugte. Als den Besuchern dann noch der leibhaftige "Iron Man" Robert Downey Jr. an der Marvel Bude erschien - der dritte Teil der erfolgreichen Superhelden-Filmreihe startet nächstes Jahr im Mai - brach der Wahnsinn aus. Wer stehen blieb, um mehr zu sehen, versperrte anderen die Sicht und wurde aufgefordert weiterzugehen, bis er nach ein paar Schritten wieder im Weg herumstand und erneut mit "Keep Moving!"-Rufen bedacht wurde. Kann das wirklich so weitergehen?
Was in San Diego einmal als Messe für ein paar Comic-Kenner begann, ist eine grelle und sehr wirksame Werbeveranstaltung der Branche für Genrestoffe geworden. Hier treffen sich Comic-Fans, Science-Fiction- und Computerspiel-Begeisterte - und vor allem die Filmbranche testet die Attraktivität ihrer Großproduktionen an diesem Publikum aus. Eine ganze Weile hatte die seit 1970 alljährlich zunächst in Hotels stattfindende Comic-Con ständig steigende Besucherzahlen und zog Anfang der Neunziger in das Convention Center um.
Dieses wurde beständig ausgebaut, in den letzten Jahren kamen die umliegenden Hotels und einige Freiflächen hinzu, auf denen in diesem Jahr etwa eine beachtliche Ansammlung von Batmobilen aus diversen Kinofilmen gezeigt wurde. Doch die meisten der deutlich mehr als 100.000 - mittlerweile durch ein kompliziertes Voranmelde-Prozedere limitierten - Besucher zog es auch diesmal wieder ins Convention Center.
Wer dort an der Präsentation der ersten Ausschnitte von kommenden Kino-Blockbustern und den zugehörigen Stars interessiert war, dem konnte es allerdings passieren, dass er gar nichts erlebte, sondern den ganzen Tag darauf wartete, in die 6500 Besucher fassende Halle H zu gelangen, wo man die Stars dann eher als Leinwandprojektionen denn als anwesend erlebte.
Zu den Hauptattraktionen gehörten Veranstaltungen zu Tim Burtons schwarzweißem 3-D-Stop-Motion-Film "Frankenweenie" (Foto), zur Vollversammlung der Actionhelden-Rentner "The Expandables 2", unter anderem mit Arnold Schwarzenegger (64) und Silvester Stallone (66), zum letzten Teil der "Twilight"-Reihe, zu "Man of Steel", dem erste Film, in dem Superman von einem Nichtamerikaner (dem Briten Henry Cavill) verkörpert wird, und zu Quentin Tarantinos "Django Unchained", hier war auch Hauptdarsteller Christoph Waltz anwesend. Auf ebenso große Resonanz stießen Veranstaltungen zu TV-Hits wie "The Big Bang Theorie", "The Walking Dead" oder dem auch in den USA erstaunlich vitalen britischen TV-Klassiker "Doctor Who".
Trotz dieses Hollywood-Aufgebots sind es die verrückten Kleinigkeiten geblieben, die die San Diego Comic-Con so besonders machen und der Messe immer noch den Status eines Familientreffens garantieren. Viele Besucher sind kostümiert, sogar Säuglinge oder Tiere werden als Superhelden verkleidet. Und nicht wenige Besucher werden zu Skurrilitäten-Jägern: In diesem Jahr wurden an neun weit auseinandergelegenen Messeständen neun verschiedene exklusive neue Sammelbildchen aus der legendären Serie "Mars Attacks" verteilt, die Tim Burton zu seinem gleichnamigen Kinofilm inspirierte. Zusammengesetzt ergeben diese Trading Cards ein hübsch-grausiges Alien-Invasions-Motiv, das vom Comiczeichner John McCrea gestaltet wurde.
Dass zwar immerhin knapp die Hälfte der Programmpunkte und der Messestände mit Comics zu tun hatte, es aber doch die meisten Besucher zu den Film- oder TV-Events zog, war allerdings auch bei der schwach besuchten Verleihung der Will Eisner Comic Industry Awards zu spüren. Um überhaupt Publikum anzulocken, wurde im Programmheft jedem Besucher der Zeremonie eine Graphic Novel von Will Eisner, dem Namenspaten des Preises, versprochen.
Als "Beste Graphic Novel" wurde dann nicht etwa "Habibi" von Craig Thompson ausgezeichnet (Thompson bekam immerhin den Preis als bester "Writer/Artist"), sondern Ramón K. Perez' Adaption von "Jim Hensons Tale of Sand". In die jährlich wachsende "Hall of Fame" der Comic-Con wurden in diesem Jahr unter anderem Richard Corben ("Den"), Katsuhiro Otomo ("Akira") und mit viel Verspätung Gilbert Shelton ("Freak Brothers") aufgenommen.