Comicfestival in Frankreich:Überall Charlie Hebdo

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Auf dem Comic-Festival von Für die Besucher ist es eine Möglichkeit, Abschied zu nehmen von den Zeichnern von Charlie Hebdo. Das respektlose, zotige Magazin lebt weiter. (Foto: Pierre Duffour/AFP)

Solidarität und Polizeikontrollen: Nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" gedenkt das größte europäische Comic-Festival in Angoulême der getöteten Zeichner. Zu "Nationalhelden" werden sie aber nicht erklärt, da die Zeitschrift stets "auf die Macht in all ihren Formen geschissen" habe.

Von Heiner Lünstedt, Angoulême

Verschärfte Einlasskontrollen und Polizeistreifen überall signalisierten beim 42. "Festival International de la Bande Dessinée" in Angoulême den Ausnahmezustand, in dem die Comic-Szene sich nach dem Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitung Charlie Hebdo immer noch befindet.

Das drängte die Frage, ob der öffentlichkeitsscheue diesjährige Festivalpräsident Bill Watterson ("Calvin und Hobbes") doch noch in Frankreich auftauchen sollte in den Hintergrund. Er kam so oder so nicht.

Die Solidaritätsbekundung "Je suis Charlie" war überall präsent, und Charlie Hebdo erhielt einen Spezial-Preis. Comic-Autor Jean-Christophe Menu nahm die Ehrung entgegen - und wollte die getöteten Mitarbeiter von Charlie Hebdo nicht zu "Nationalhelden" erklärt wissen, da die Zeitschrift stets "auf die Macht in all ihren Formen geschissen" habe.

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(Foto: Pierre Duffour/AFP)

Charlie ist überall: Während des Festivals wurde ein Platz in der westfranzösischen Kleinstadt nach dem Satiremagazin benannt.

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Doch 42. Comicfestival in Angoulême will nicht nur Charlie sein, es finden sich auch viele Werke anderer Künstler.

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Dennoch: Die Attacke auf Charlie Hebdo ist überall präsent. Willem Holtrop, ehemaliger Festival-Präsident, zeichnete für das Magazin,...

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(Foto: Pierre Duffour/AFP)

...in der Ausstellungshalle erzählt eine Retrospektive die Geschichte des lauten Blattes - in leisen Tönen, lediglich die Cover sind ausgelegt.

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(Foto: Pierre Duffour/AFP)

Für die Besucher ist es eine Möglichkeit, Abschied zu nehmen von den Zeichnern von Charlie Hebdo. Das respektlose, zotige Magazin lebt weiter.

Es gab eine große Ausstellung zur Geschichte des Satireblattes, von der Gründung bis zu der eine Woche nach dem Anschlag herausgegebenen Ausgabe "der Überlebenden". Wie berichtet, setzt Charlie Hebdo sein Erscheinen vorerst aus.

Das Blatt werde in einigen Wochen wieder an den Kiosken ausliegen, schrieb die Redaktion am Sonntag auf ihrer Homepage. Viele seiner Karikaturisten waren regelmäßig Gast beim größten europäischen Comic-Festival in Angoulême.

Transparente mit den Namen der Opfer

Am Rathaus hingen nun große Transparente mit den Namen aller Opfer des Anschlags sowie mit der von Lewis Trondheim entworfenen Festival-Katze, die ein "Je suis Charlie"-Schild in Händen hielt; das Motiv war auch das Titelbild des Programmheftes.

40 französische Comic-Verlage verkauften an ihren Messeständen das gemeinsam verlegte Buch "Le BD est Charlie", wobei BD für Bande Dessinée, also die Comics, steht.

Enthalten sind Beiträge von über 170 Zeichnern, darunter auch Altmeister Robert Crumb mit seinem zuvor in der Tageszeitung Libération veröffentlichten Cartoon. Der Erlös des Buchs geht an die Familien der Opfer.

Das Fachblatt Comix druckte außerdem in einer Auflage von 20 000 Exemplaren eine 16-seitige Gratiszeitung mit Beiträgen von deutschen Comic-Künstlern wie Flix, Isabel Kreitz, Reinhard Kleist oder Volker Reiche.

Und auch die Ausstellungshallen dominierte Charlie Hebdo. Die noch bis zum 8. März laufende Retrospektive "Une histoire de Charlie Hebdo" wird im selben sehr großen Raum gezeigt, in dem vor drei Jahren der damalige Festival-Präsident Art Spiegelman eine Übersicht über die komplette US-amerikanische Comic-Geschichte zur Schau stellte.

In diesem Saal wurden schon aufwendiger kuratierte Ausstellungen präsentiert, doch die Charlie Hebdo-Präsentation beeindruckt durch ihre Schlichtheit. Auf Originalzeichnungen wird komplett verzichtet, zu sehen ist wenig mehr als eine chronologisch ausgelegte Auswahl von Charlie Hebdo-Ausgaben sowie vom Vorgänger-Magazin Hara-Kiri.

Viele der Titelbilder stammten von den begnadeten Schmierfinken Georges Wolinski - eines der Mordopfer, 2005 wurde er in Angoulême mit dem Großen Preis der Stadt ausgezeichnet - und Jean-Marc Reiser, denen keine Zote zu derb oder dumm war, sie in den französischen Alltag zu feuern.

Politiker, Päpste, Propheten und Proleten, alle wurden im gleichen Maße verspottet. So kommentierte 1970 das Ende des zu Hungersnot führenden Biafra-Krieges ein von Reiser mit wenig Strichen hingerotzter sehr fetter Kerl: "Jetzt kann man wieder beruhigter essen."

Zwischendrin auch mal feinfühlig

Als Hara-Kiri 1970 verboten wurde, nachdem sie sich traditionell geschmacklos über den Tod von Charles de Gaulle lustig gemacht hatte, ging es bereits eine Woche später unter dem Titel Charlie Hebdo im selben respektlosen Stil weiter.

Zwischendrin kamen aber auch immer wieder feinfühligere Karikaturen des manischen Zeichners Jean Cabu zum Abdruck oder des Niederländers Bernard Willem Holtrop, der im letzten Jahr Präsident des Festivals war.

Die schiere Menge der Exponate macht deutlich, wie in den letzten fünf Jahrzehnten mit schöner Regelmäßigkeit alle und jeder provoziert wurden. Dass nach dem Anschlag ein ganzes Land verkündete, Charlie zu sein, wirkt angesichts dieser Titelbilder nicht mehr pathetisch - immerhin lagen sie deutlich sichtbar an allen Zeitungskiosken.

So abgeschmackt manche dieser Zeichnungen wirken mögen, sie sind ein nicht mehr wegzudenkendes Stück Frankreich.

Ein harter Kontrast dazu bildete die nebenan gelegene, allzu putzige Präsentation der nilpferdartigen Mumins-Trolle der finnländischen Schriftstellerin Tove Jansson.

Es braucht seine Zeit, wieder auf normalen Festival-Modus zu schalten. Hilfreich kann es sein, in aller Ruhe die Holzbrücke über die Charante zu überqueren für die Werkschau von Jiro Taniguchi. Detailfreudig, dabei leicht distanziert hat der 1947 geborene Manga-Zeichner und Autor immer wieder die japanische Alltagswelt abgebildet.

Außerdem gab es eine Werkschau des Festival-Präsidenten Bill Watterson und eine Ausstellung zu Jack Kirby. Auch ohne Originalzeichnungen vermittelt letztere die Bedeutung des vielleicht größten Superhelden-Künstlers. Die Frankfurter Buchmesse war erstmals vertreten, mit einem Stand und den Künstlern Barbara Yelin, Ulli Lust und Jens Harder.

"Die Araber von morgen" sind Comic des Jahres

Sehr früh schon war der Name des nächsten Festival-Präsidenten und Gewinner des Großen Preis von Angoulême zu erfahren - es ist der einflussreiche japanische Künstler Katsuhiro Otomo, Erfinder der legendären "Akira"-Reihe. Als Comic des Jahres ausgezeichnet wurde Riad Sattoufs "Der Araber von morgen" - auch Sattouf hat früher für Charlie Hebdo gezeichnet.

Der Publikumspreis ging an "Les Vieux fourneaux, tome I - Ceux qui restent" von Wilfrid Lupano und Paul Cauuet. Den Spezialpreis bekam Chris Ware für "Building Stories", als beste Serie prämiert wurde "Lastman" des Zeichnerkollektivs Bastien Vivès, Michaël Sanlaville und Yves Bigerel.

© SZ vom 03.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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