Süddeutsche Zeitung

Comicfestival in Angoulême:Trauma und Träume

Das Comicfestival in Angoulême beschäftigte sich mit dem Ersten Weltkrieg und demonstrierte die politische Kraft des Bilds. Besonders beeindruckt die Ausstellung zu Jacques Tardis monumentalem Werk "Putain de guerre".

Von Heiner Lünstedt

Als Bernard Willem Holtrop letztes Jahr erfuhr, dass er zum Präsidenten des diesjährigen Comicfestivals im französischen Angoulême gewählt wurde, hielt der politische Karikaturist das für einen Witz. Der 1941 geborene, in Frankreich lebende Zeichner sah sich nicht auf Augenhöhe mit den ebenfalls nominierten Comicgrößen Alan Moore, Marjane Satrapi, Joann Sfar oder Chris Ware. Doch bei den meisten seiner auf dem Festival ausgestellten satirischen Arbeiten, die der Zeichner als "Willem" in Magazinen wie Hara-Kiri oder Charlie Hebdo veröffentlichte, handelt es sich tatsächlich um Comicgeschichten, nur selten um Cartoons. Und Willems bissiger politischer Humor passte gut zum größten Thema des Festivals: Präsentiert wurden die Arbeiten des Zeichners Jacques Tardi zum Ersten Weltkrieg. "La Grande Guerre" hat den Zeichner immer wieder beschäftigt. Tardis Großvater hatte die Schlachtfelder von Verdun neben einer verwesenden Leiche überlebt.

Tardis Arbeiten werden inmitten einer beeindruckenden Installation gezeigt. Die Gänge, durch die die Besucher sich bewegten, ähneln Schützengräben; akustisch gefördert wird der Eindruck von fernem Kriegsgrollen und - inhaltlich passenden - Chansons von Tardis Ehefrau Dominique Grange. Ausgestellt sind alle schwarz-weißen und farbigen Originalzeichnungen sowie erstmals auch Skizzen zu Tardis monumentalem Werk "Putain de guerre" (auf Deutsch unter dem Titel "Elender Krieg" bei Edition Moderne erschienen). In detailreich ausgeführten, breiten Einzelbildern rekonstruiert Tardi auf der Basis eines akribisch recherchierten Szenarios von Jean-Pierre Verney vier zermürbende Kriegsjahre. Die Ausstellung endet in einem Raum voller Soldatengräber und zerlumpter Nationalflaggen, deren Farben kaum noch zu erkennen sind. "Tardi et la Grande Guerre" ist noch bis 8. März im Comicmuseum von Angoulême zu sehen und wird in Teilen auch auf dem Comic-Salon in Erlangen gezeigt.

Alternativen zu Krieg und Politik

Weniger dramatisch waren zwei weitere Jubiläumsausstellungen. Eine Freiluft-Präsentation feierte den 80. Geburtstag von Le Journal de Mickey, dem französischen Jugendmagazin, das im Gegensatz zur deutschen Micky Maus nicht nur Disney-Comics, sondern auch Material aus einheimischer Produktion enthält.

Mafalda, die vor 50 Jahren von dem Argentinier Joaquín Salvador Lavado alias Quino erfundene Comicstrip-Figur, der die zweite Ausstellung gewidmet ist, war bei ihrer Geburt bereits sechs Jahre alt und ist seit 1966 ein achtjähriges Mädchen. Die mit vielen Objekten bestückte Ausstellung zeigte aber auch, dass der in Angoulême anwesende Quino nicht nur familienfreundlichen Humor fabriziert, sondern - wie Willem - in seinen Arbeiten auch das politische Tagesgeschehen kommentiert.

Als Alternative zu den Ausstellungen über Krieg und Politik gab es eine Hommage an Winsor McCays Zeitungscomic-Klassiker "Little Nemo", in dem ein kleiner Junge sich ein verrücktes Paralleluniversum erträumt. Das Musée de la bande dessinée präsentierte einen Raum voller surreal verfremdeter Bettgestelle; dazu wurden Bildbeispiele aus Comics gezeigt, die sich mit Träumen beschäftigen.

Mit der Verleihung der Festivalpreise endete am Sonntag das Festival. Zum nächsten Präsident wurde der Amerikaner Bill Watterson ("Calvin und Hobbes") gewählt. Den Spezialpreis der Jury erhielt Rutu Modan für "Das Erbe", "Mein Freund Dahmer" von Derf Beckderf teilt sich den "Prix Révélation" mit "Le Livre de Léviathan" von Peter Blegvad; der Preis für den besten Comic erhielt Alfred für "Come Prima".

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SZ vom 05.02.2014/mkoh
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