Comic: Vier Augen:Spürst du was?

Vom Eimerrauchen über LSD, die deutsche Comicszene will nicht erwachsen werden: Sascha Hommers Kiffkumpanen in der Erzählung "Vier Augen".

Thomas von Steinaecker

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Sascha Hommer, Comic

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Vom Eimerrauchen über LSD, die deutsche Comicszene will nicht erwachsen werden: Sascha Hommers Kiffkumpanen in der Erzählung "Vier Augen".

Es tut sich was in der deutschen Comicszene. So lautete der allgemeine Tenor nach dem Erlanger Comic-Salon 2006, der wichtigsten Comic-Biennale Deutschlands. Diese Hoffnung gründete sich vor allem auf die Debüts einer Reihe junger Nachwuchszeichner. Fast immer handelte es sich bei den schmalen Büchern um die Diplomarbeiten ihrer etwa 30-jährigen Autoren, mit denen sie einen Studiengang für Design oder Gestaltung abschlossen, die meisten von ihnen an der HAW-Hamburg, wo ATAK und Anke Feuchtenberger unterrichteten, zwei der wenigen Comickünstler hierzulande, die es in den 1990ern zu internationaler Beachtung gebracht haben.

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Text: Thomas von Steinaecker/SZ vom 20.11.2009/sueddeutsche.de/iko

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In ihrem Ansatz ähnelten sich "Wir können ja Freunde bleiben" von Mawil, "Acht, Neun, Zehn" von Arne Bellstorf und "Insekt" von Sascha Hommer stark: Deutlich waren die autobiographischen Bezüge und eine subtil angedeutete Grundstimmung zwischen Lakonie und Melancholie, die jener der zur gleichen Zeit erschienenen literarischen Carver-Epigonen mit ihrer Vorliebe fürs Elliptische entsprach. Zeichnerisch bewegte sich das alles ausnahmslos auf erstaunlichem Niveau; erzählerisch hingegen fielen gerade dadurch, dass die Titel so dicht nacheinander veröffentlicht wurden, ihre Mängel ins Auge.

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Die Beschreibung der Probleme des Erwachsenwerdens mit den typischen Stationen von erster Liebe, Abnabelung von den Eltern und einem allgemeinen Gefühl der Ziellosigkeit mochten zwar den Nerv einer Generation treffen, die überrascht das Medium Comic als Lektüre jenseits der "Lustigen Taschenbücher" für sich entdeckte. Die mal traurigen, mal humorvollen Szenen der Adoleszenz wirkten freilich oft arg schematisch, das inhaltliche Niveau der Comics bewegte sich auf dem guter Jugendliteratur, kaum jedoch auf jenem der Romane und Erzählungen gleichaltriger Schriftsteller.

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Jetzt, drei Jahre nach der Aufbruchsstimmung der deutschen Comicszene, in denen das Label der Graphic Novel dem Medium einen ungeahnten Hype beschert hat und nach und nach die Folgewerke der damals mit viel Lorbeeren bedachten Debütanten erscheinen, kann man den Eingangssatz noch einmal neu formulieren: Was tut sich in der jungen deutschen Comicszene? Was wurde aus den damaligen Talenten? Eine Antwort bietet die Lektüre der zweiten eigenständigen Arbeit des 30-jährigen Sascha Hommer, "Vier Augen". Auf den ersten Blick ist alles beim Alten geblieben.

Die Hauptfigur in dem offensichtlich autobiographischen Band ist der knapp 20-jährige Sascha, der Ende der neunziger Jahre im Schwarzwald die allzu bekannten Phasen des Heranwachsens durchläuft: Er verliebt sich in die magersüchtige Julia, hat mit ihr erste sexuelle Erlebnisse, langweilt sich in der Schule und weiß nicht so recht, was mit seinem Leben anfangen. Vor allem aber entdeckt er zusammen mit einigen Freunden, denen es ähnlich geht wie ihm, das Kiffen.

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Der Begriff "Vier Augen" bezieht sich also sowohl auf das Intime einer Zweiersituation als auch auf die plötzliche, bedrohliche Veränderung der Umwelt, wo dem Gegenüber schon mal ein weiteres Augenpaar wachsen kann. Denn Sascha und seine Kiffkumpanen lassen nichts aus, vom Eimerrauchen über LSD bis hin zum Sammeln psychotropischer Pilze im Wald. Das Elend nach dem Rausch und der Horrortrip als Höhepunkt sind also vorprogrammiert.

Die Handlung wird vergleichsweise brav heruntergespult, die Charaktere bleiben so flach wie ihre Gespräche, die ironiefrei nach dem Muster verlaufen: "Spürst du schon was?" und "Ich hab' da was Neues für dich". Ebenso enttäuscht die bildnerische Umsetzung der Rauscherlebnisse, die dem üppigen Katalog der Werke über Drogen von Aldous Huxley, Robert Crumbs Undergroundcomics bis hin zu "Trainspotting" nichts Neues hinzufügt. Lediglich im letzten Viertel nimmt das Buch mit dem irritierenden Auftauchen eines sprechenden Hundes, der sich als Drogen-Alter-Ego des Protagonisten entpuppt, eine überraschende Wende, und mündet die öde Nabelschau in einen raffinierten Schluss.

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Nur selten entfaltet Hommers sehr individueller Zeichenstil, eine Mischung aus Manga und Klarer Linie, seine Wirkung, so etwa in den Bildhintergründen, in den unheimlichen Baum- und Schneelandschaften. Mit diesem Ungleichgewicht aus erzählerischer Einfallslosigkeit und zeichnerischem Können kann man "Vier Augen" exemplarischen Wert in Hinblick auf die junge deutsche Comicszene beimessen, wo weiterhin die eigene Autobiographie als das bevorzugte Thema gilt. Was vor einigen Jahren noch wie eine Verheißung klang, ist heute eine Enttäuschung: Die Entwicklung des Comics steckt hierzulande nach wie vor in den Kinderschuhen.

SASCHA HOMMER: Vier Augen. Reprodukt Verlag, Berlin 2009. 124 Seiten, 13 Euro.

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