Süddeutsche Zeitung

Comic: "Sandman"-Serie:Herr der Träume

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Der Sonderling unter den Superhelden: "Sandman" trägt kein Cape, sieht eher aus, wie der Sänger einer Gothic-Punk-Band. Die legendäre Comic-Serie liegt jetzt komplett auf Deutsch vor.

C. Haas

"Daß du nicht enden kannst, das macht dich groß" - dieser Satz aus dem "West-östlichen Divan" könnte auch das geheime Motto der großen amerikanischen Comic-Serien sein. Superman ist seit 1938 unterwegs, Batman seit 1939, und Spider-Man, das Nesthäkchen in der Trias der beliebtesten Helden, spannt immerhin schon seit 1962 seine Netze. Einen Anfang kennen sie alle - eine origin story, die erzählt, wie ein katastrophaler Zufall aus Menschen Übermenschen werden ließ. Aber zu einem Ende dürfen sie nicht kommen; ihre Abenteuer müssen immer weitergehen.

Das ist einerseits faszinierend: Von einem kleinen, festen Kern abgesehen, sind populäre Mythen von proteischer Wandlungsfähigkeit; sie können eine potentiell unendliche Zahl von Geschichten hervorbringen. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass unter diesen Voraussetzungen viel Ausschuss entsteht; grandiose Momente sind im Laufe der Jahrzehnte seltener als die ermüdende Wiederkehr des Immergleichen.

Schon in dieser Hinsicht hob sich die Horror-Fantasy-Serie "Sandman", die von 1988 bis 1996 erschien, vom Üblichen deutlich ab. Sie war ausgedehnt und verschlungen konzipiert, und doch war stets klar, dass sie eines Tages abgeschlossen sein würde; dies war schließlich nach 75 Heften der Fall. Und noch etwas war höchst ungewöhnlich: Wenn eine immer größere Lesergemeinde ungeduldig auf die Fortsetzungen wartete, dann tat sie es nicht etwa wegen des Artworks.

Exzentrische Helden

Hierfür waren verschiedene Künstler verantwortlich, in Gastbeiträgen auch Größen wie P. Craig Russell und Jon J. Muth; insgesamt aber boten die Zeichnungen im "Sandman" nicht mehr als eine durchschnittliche Qualität. Die Serie bezauberte primär, weil sie in dem Briten Neil Gaiman, der hierzulande vor allem durch seine Fantasy- und Kinderbücher "Coraline", "American Gods" oder "Die Wölfe in den Wänden" bekannt wurde, einen außergewöhnlich starken Autor hatte.

Nach dem Sensationserfolg von "Watchmen" und "Batman - Die Rückkehr des Dunklen Ritters" erlaubte der DC-Verlag ab Ende der Achtziger einen respektlosen, revisionistischen Umgang mit einigen seiner weniger bekannten, mehr oder minder verschollenen Figuren. So entstanden mehrere Serien, die sich durch exzentrische Helden und komplexe, an ein erwachsenes Publikum gerichtete Storys auszeichneten.

Der Sandman stammte ursprünglich aus dem Golden Age der amerikanischen Comics. Im Trenchcoat und mit einer Pistole, die ein Betäubungsgas verschoss, ging er in den Vierzigern auf Verbrecherjagd. Mit dieser Gestalt hat Gaimans Sandman, der wie der melancholische Leader einer Gothic-Punk-Band ausschaut, kaum etwas gemein: Ihn hat es immer schon gegeben, und es wird ihn ewig geben; er ist der mächtige Hüter der Träume, bekannt als Dream oder Lord Morpheus.

Das Epische mit dem Intimen versöhnt

Im auffälligen Gegensatz zum Aktivismus der Superhelden ist der Sandman eher Beobachter als Handelnder. Wie in Will Eisners "The Spirit" steht die Hauptfigur oft am Rand, greift nur gelegentlich in die Geschicke der Menschen ein. Bewundernswert ist die bildungsgesättigte Phantasie Gaimans, die aus der antiken Mythologie ebenso souverän schöpft wie aus den englischen Klassikern von Chaucer bis Algernon Swinburne; zwei der schönsten Geschichten ranken sich um die Entstehung des "Sommernachtstraums" und des "Sturms". Bewundern muss man aber auch, wie überaus präzise die "Sandman"-Saga strukturiert ist. Die Haupthandlung, die in der Gegenwart spielt, wird durch Exkurse in die Vergangenheit ergänzt, die Bedeutung vieler Details erschließt sich nur bei wiederholter Lektüre.

Nach einer unglücklichen, verstreuten deutschen Publikationsgeschichte liegt die Serie jetzt komplett in zehn Trade Paperbacks beim Panini-Verlag vor. Ausgerechnet der jetzt erschienene letzte Band ist etwas schwächer als die Vorgänger. Da geht es um das Begräbnis des Sandman, der gestorben und in neuer Gestalt wieder auferstanden ist - und da gibt es auch ein bisschen Fantasy-Kitsch: pompöse Bilder und mystisches Geraune. Mehr als versöhnt wird man aber mit der Coda, die alles sanft ausklingen lässt: drei betont unspektakuläre Geschichten, in denen unter anderem der alternde Shakespeare auftritt. Wie Gaiman hier das Epische mit dem Intimen versöhnt, das kann in der Welt der amerikanischen Comics niemand besser, nicht einmal Alan Moore.

NEIL GAIMAN/MICHAEL ZULLI, JON J. MUTH, CHARLES VESS, JOHN BOLTON: Sandman. Bd. 10: Das Erwachen. Aus dem Amerikanischen von Gerlinde Althoff. Panini Verlag,Nettetal-Kaldenkirchen 2010. 216 S., 24,95 Euro.

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SZ vom 19.07.2010
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