Comic-Salon Erlangen:Im Zeichen der Sprechblase

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Rätselhafte Bilder bildhübscher Boys und Girls: Mit der aktuellen Comic-Form "Manhua" geben sich junge chinesische Zeichner globalisiert und westlich orientiert. Eindrücke vom 13. Internationalen Comic-Salon.

Christoph Haas

Klein hat es angefangen. Am Markgrafentheater hing ein handgemaltes Transparent, ähnlich jenen, die besetzte Häuser schmückten, und wies auf die Veranstaltung hin. Drinnen, im überschaubaren Ratssaal, waren Händler und Verleger in engen Kojen untergebracht, die man der Frankfurter Buchmesse abgeguckt hatte. Ein paar Ausstellungen gab es auch; die wichtigste trug den stolzen Titel "Die Kunst der Comics" und präsentierte vor allem Klassiker wie Hal Foster und Carl Barks. Frisuren und Bärte der Anwesenden zeugten vom hartnäckigen Fortleben der Siebziger. Wer hipp sein wollte, wie der blutjunge Benedikt Taschen, trug ein Outfit, das ihn mühelos dazu qualifiziert hätte, in einer Band der Neuen Deutschen Welle mitzuwirken.

Gefangen im Herzeleid: eines der eurasischen Tokyo-Girls des Zeichners Benjamin. (Foto: Screenshot: comic-salon.de)

Mit einer Videokamera hat der Undergroundzeichner Werner Büsch die Atmosphäre des ersten Comic-Salons eingefangen, damals vor 24 Jahren in Erlangen. Am letzten Wochenende kamen die wackeligen Bilder dank dem Verleger Eckart Sackmann zu einer späten Uraufführung. Sie boten eine amüsante Zeitreise, ließen aber auch ermessen, wie sehr sich die Wahrnehmung des Mediums inzwischen erweitert hat. "Die Welt des Comics in Erlangen" - dieses Motto, das auf allen Plakaten prangte, war angesichts der Fülle an interessanten Ausstellungen von Künstlern aus Europa, Asien und den USA durchaus berechtigt.

Unvorstellbar

Bedauern mag man, dass der Salon mit der Erschließung immer neuer Räume - diesmal kam der Museumswinkel dazu, ein früheres Siemensgebäude - an Intimität verliert. Aber so vollzieht sich auch etwas früher Unvorstellbares: Für ein paar Tage steht eine deutsche Stadt tatsächlich im Zeichen von Panel und Sprechblase.

Eine Terra incognita selbst für ausgewiesene Kenner war bislang der Manhua, der aktuelle chinesische Comic. Die zentrale Ausstellung, die sich ihm widmete, überzeugte zunächst durch ihr unaufdringlich originelles Dekor. Auf Holzpfaden, die sich durch Stelen und Bambusstauden schlängelten, konnte der Besucher die Originalseiten von rund zwei Dutzend überwiegend jungen Zeichnerinnen und Zeichnern betrachten. Einige von ihnen präsentierten sich strikt globalisiert: Der Fantasy-Kitsch von Ma Yi wäre problemlos auch bei einem amerikanischen Mainstream-Verlag unterzubringen; die farbsatten Geschichten vom Herzeleid stets bildhübscher, eurasisch aussehender Boys und Girls, die Benjamin erzählt, erscheinen bereits in Frankreich.

Wer auf der Suche nach weniger glattem Material war, wurde etwa bei Zhu Le Tao fündig. Die Zeichnerin lässt in ihren flächigen, wimmeligen Panels anthropomorphe Tiere neben im Semi-Funny-Stil gezeichneten Menschen agieren; dazu montiert sie gerne alte Fotos und Postkarten. Worum es inhaltlich geht, war wegen der fehlenden Übersetzung leider kaum zu erraten.

Propaganda

Näheres über die fernöstliche Tradition, mit Bildern zu erzählen, erfuhr man in einem informativen Vortrag des Tübinger Sinologen Andreas Seifert. Schon vom 10. Jahrhundert an wurden in China illustrierte Romane verbreitet. Jede ihrer bis zu 1000 Seiten enthält im oberen Drittel eine Illustration, in den unteren zwei Dritteln den Text. Genau umgekehrt ist das Verhältnis im klassischen chinesischen Comic, der den Namen Linhuahua ("miteinander verbundene Bilder") trägt und ab den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts vor allem in Shanghai hergestellt wurde. Die 20 bis 30 Seiten starken Hefte wurden meistens nicht gekauft, sondern in den auf sie spezialisierten Bibliotheken an Ort und Stelle gelesen. Mit Gründung der Volksrepublik gerieten die Martial-Arts-Abenteuer und Romanzen des Linhuahua in Verruf. Nicht aber die Kunstform selbst: Sie wurde extensiv für propagandistische Zwecke genutzt.

Als Manhua ("rätselhaftes, spontan gezeichnetes Bild") werden chinesische Comics erst seit den neunziger Jahren bezeichnet; vorher waren damit stets Karikaturen gemeint. Ein Medium für die Massen, so Seiferts Fazit, ist der Comic in China inzwischen nicht mehr, aber eines der bevorzugten Medien der westlich orientierten Jugendkultur.

Spektakulär

Und die deutsche Szene? Beim letzten Salon vor zwei Jahren war mit Line Hoven und Ulli Lust, mit Arne Bellstorf, Mawil und Sascha Hommer eine neue Generation aufgetreten, die am Comic vor allem das Erzählen interessiert. Diesmal stellte Hendrik Dorgathen, einer der führenden Vertreter des im vergangenen Jahrzehnt populären malerisch-illustrativen Trends, nicht nur Zeichnungen und Objekte aus, sondern auch Seiten aus seinem vorzüglichen neuen Album "Slow". In den autobiographisch-phantastischen Geschichten "Robotrebellion on Venus", "Der Stahlgolem" und "Western - Kinder mit Knarren" vermischen sich Erinnerungen an eine Kindheit im Ruhrgebiet der sechziger Jahre mit den übermächtigen Mythen der Populärkultur:

Roboter und Raumschiffe, Frauen mit Atombusen und kühne Cowboys. In "Spore" jagt eine mit Plastiksprengstoff gefüllte Micky-Maus-Figur ein Flugzeug in die Luft; Erinnerungen an 9/11 werden wach. Vom Künstler, der von Comics fasziniert ist, zum Comic-Künstler - Dorgathen hat eine unerwartete, spektakuläre Konversion vollzogen.

Bei der Max-und-Moritz-Preisverleihung am Freitagabend erhielt Reinhard Kleists Johnny-Cash-Biographie "I See a Darkness" die Auszeichnung für das beste deutsche und David B.'s "Die heilige Krankheit" den Preis für das beste internationale Album. Anke Feuchtenberger, bekannt für ihre "Hure H"-Arbeiten, wurde als beste deutschsprachige Comic-Künstlerin gewürdigt.

Hervorzuheben unter den weiteren Ehrungen ist der - höchst verdiente - Sonderpreis für das Lebenswerk an Alan Moore. Der 55-jährige Brite ("Watchmen", "From Hell", "The League of Extraordinary Gentlemen") ist mehr als ein talentierter Szenarist: Er ist ein Demiurg, wie es ihn in der Geschichte der Comics nur sehr selten gegeben hat.

© SZ vom 27.5.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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