Comic-Roman "Blutspuren":Comic-Bomben

Ein Junge trifft ein Mädchen: Rutu Modan erzählt in ihrer Graphic Novel eigentlich eine klassische Geschichte. Doch der Schauplatz ist Israel, der Grund für das Treffen ein Bombenanschlag.

T. von Steinaecker

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Rutu Modan, Blutspuren

Quelle: SZ

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Trifft ein Junge ein Mädchen. In den Künsten hat diese Ausgangssituation zwar eine lange Tradition; in letzter Zeit wurden ihr aber kaum noch neue Aspekte abgewonnen - vor allem im Comic. Das liegt nicht zuletzt am aktuellen Boom der autobiographisch geprägten Werke von Autoren um die dreißig, wo nicht selten ein scheuer Nerd auf sein weibliches Pendant trifft.

In den typischen öffentlichen Räumen einer Großstadt kommt man sich näher. Kurzes Glück, schmerzvolle Trennung, offenes Ende. Das alles im lakonischen Ton und in nüchtern klaren Zeichnungen erzählt.

Bild: Rutu Modan: Blutspuren. Edition Moderne, Zürich 2008.

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Im Unterschied zu seiner Verwendung in belletristischen Texten gehen diesem Schema im Comic selbst die letzten Zwischentöne leicht verloren: Geradezu zwangsläufig, da medienbedingt, wird hier in stets ähnlichen kurzen Szenen und Gesten das Psychologische aufs Ikonische reduziert.

Aus dem autobiographisch-individuellen Ausdruck ist Uniformität geworden. Auch die knapp vierzigjährige Kinderbuchillustratorin und Comicautorin Rutu Modan erzählt in ihrer ersten Graphic Novel eine Boy-meets-Girl-Geschichte, die nach bekannten Mustern funktioniert - und bei der doch alles anders ist. Denn "Blutspuren" spielt in Israel.

Bild: Rutu Modan: Blutspuren. Edition Moderne, Zürich 2008.

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Der mürrische Außenseiter heißt hier Kobi und arbeitet als Taxifahrer in Tel Aviv. Nach dem frühen Tod der Mutter ist er bei seinem Onkel und seiner Tante aufgewachsen; mit dem Vater, Gabriel, hat er sich heillos zerstritten und schon seit Jahren keinen Kontakt mehr. Das Mädchen, auf das er trifft, wird nicht zu Unrecht "Giraffe" genannt: Die Soldatin Numi ist groß gewachsen und burschikos.

Aus heiterem Himmel berichtet sie Kobi von einem palästinensischen Selbstmordanschlag auf eine Bushaltestelle in Hadera. Eine Leiche konnte nicht identifiziert werden, die sie nun für die Gabriels hält. Der hat sich bei ihr, seiner Geliebten, seit dem Attentat nicht mehr gemeldet; außerdem hat sie auf den TV-Bildern seinen Schal wiedererkannt.

Bild: Rutu Modan: Blutspuren. Edition Moderne, Zürich 2008.

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Um Gewissheit zu erlangen, müsste sich der Sohn, der nicht weiß, über welche der Neuigkeiten er mehr staunen soll, einem DNA-Vergleich unterziehen. Als sich herausstellt, dass die Leiche bereits beigesetzt wurde, machen sich die beiden, die zunächst wenig voneinander begeistert sind, auf die Suche nach dem Verbleib Gabriels.

Die Menschen, auf die sie im Krankenhaus oder am Ort des Anschlags stoßen, prägt eine Art pragmatischer Zynismus. Dass ja wenigstens an Leichen im Land kein Mangel herrsche, meint die Krankenschwester lächelnd. Und für die Stadtverwaltung bedeutet der Anschlag Glück im Unglück, weil sie ohnehin schon lange die nun zerstörten alten Gebäude durch eine Shoppingmall ersetzen wollte.

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Bald jedoch treten diese Geschichten der Überlebenden und die überraschenden Einzelheiten aus der Vergangenheit von Kobis Vater in den Hintergrund. Denn über den gemeinsamen Recherchen entwickelt sich zwischen dem Sohn und der Geliebten Gabriels eine zaghafte Zuneigung.

Geschickt verbindet Modan kriminalistische und dokumentarische Elemente: Ein mit Fahnen und Kränzen geschmücktes Coca-Cola-Regal dient als improvisierte Gedenkstätte für die Opfer des Anschlags. Doch wäre es verfehlt, in "Blutspuren" das israelische Pendant zu Joe Saccos grandioser Comic-Reportage "Palestine" zu sehen, wo der Autor mit außergewöhnlicher Präzision und Eindringlichkeit das Leben im Gaza-Streifen schilderte.

Im Mittelpunkt der Graphic Novel stehen letztlich Versatzstücke der bekannten Boy-meets-Girls-Geschichte; der Palästinakonflikt wird nie direkt thematisiert, sondern teilt sich sehr subtil als Stimmung aus Trauer und Angst in den leisen Tönen der privaten Tragödie mit.

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So passen Modans minimalistischer Stil und die genau gesetzten Sprechblasen perfekt zur angeschlagenen Psyche der Figuren. Wie alle in ihrer Umgebung sind auch sie darum bemüht, Ruhe zu bewahren und ihre Gefühle zu unterdrücken. Wenn sich die beiden schließlich doch näher kommen und miteinander schlafen, verdeutlicht das zweigeteilte Panel des sich küssenden Paars, dass dieses Glück nicht ungebrochen ist.

Es unterstreicht das große Können Modans, dass sie jene Szenen der Liebe, die andernorts abgedroschen wirken würden, hier als Oasen in einem latent bedrohlichen Alltag sichtbar werden lässt, in einem Alltag, in dem Dialoge wie der folgende keine Ausnahme bilden: "Erinnerst du dich an den Anschlag in Hadera vor drei Wochen?" - "Hadera? Du meinst Haifa?" - "Nein, nicht der im Restaurant. Der in der Cafeteria am Busbahnhof."

RUTU MODAN: Blutspuren. Edition Moderne, Zürich 2008. 168 Seiten, 28 Euro.

Bild: Rutu Modan: Blutspuren. Edition Moderne, Zürich 2008.

(SZ v. 3.9.2008)

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