Auch die Popgeschichtsschreibung läuft ja schon eine gute Weile auf Hochtouren. Das Problem ist nur leider allzu oft, dass es im Wesen der Geschichtsschreibung liegt, dass sie vieles retrospektiv arg abkühlt. Insbesondere im Pop ist das meist ein echter Verlust. Anders als etwa bei der politischen Geschichtsschreibung, die einen im Nachhinein durch die Hitze der Gefechte klarer auf das Wesentliche blicken lässt, ist diese Hitze des Moments im Pop meist selbst das Wesentliche. Nur schreibend, in Form eines klassischen Sachbuches zumal, ist ihr jedoch kaum beizukommen.
Die Idee des amerikanischen Comic-Zeichners Ed Piskor, die frühe Zeit des Hip-Hop Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger als eine Folge von einseitigen Comicstrip-Episoden zu erzählen, ist also - anders als man im ersten Moment glauben könnte - absolut zwingend. Ganz abgesehen davon, dass es ihm auch im nun auf Deutsch erschienenen zweiten, die Jahre 1981 bis 1983 behandelnden Band seiner Reihe "Hip Hop Family Tree - Die frühen Jahre des Hip Hop" ( Metrolit Verlag, 112 Seiten, 24 Euro) wieder sehr, sehr gut gelungen ist (im Original liegen mittlerweile noch zwei weitere Bände für die Jahre '83/'84 und '84/'85 vor).
Es ist hier nämlich nicht nur ein so eindrucksvoller wie präziser Zeichner am Werk, sondern auch ein bestens informierter Musik-Experte, der nichts Wichtiges auslässt. Von der Erfindung des Scratchens, dem ikonischen Hip-Hop-Geräusch, über die Geschichten von berühmten Battles, Tänzern, Graffiti-Künstlern, Hits und Samples bis zur Entdeckung der neuen schwarzen Kunst durch weiße New Yorker Pop-Hipster und ihren Weg in den Pop-Mainstream ist alles drin. Sein von Robert Crumb beeinflusster Noir-Stil sorgt dabei zudem für angenehm existenziell-ernsthafte Porträts des historischen Personals von Kool Herc, Grandmaster Flash und Afrika Bambaataa bis zu den Beastie Boys, Run-DMC und Dr. Dre, die die Abfolge der Ereignisse aus heutiger Sicht nur ein ganz kleines bisschen zu zwangsläufig erscheinen lässt. Aber Hip-Hop ist eben nicht nur eines der einflussreichsten, sondern auch eines der fintenreichsten Pop-Genres überhaupt. Die deutsche Übersetzung, bei Hip-Hop-Slang natürlich besonders schwierig und heikel, ist im Übrigen in Ordnung.
Das einzig Hinterhältige der Reihe ist, dass sie auf Fußnoten sowie Schlagwortoder Personen-Register verzichtet. Es ist deshalb ratsam, wenigstens ein Smartphone zur Hand zu haben, um sich die Tracks und Samples, um die es geht, zwischendurch anhören und Hintergründe zu Details und Protagonisten recherchieren zu können. Dann allerdings ist die Lektüre ein umso größeres Vergnügen und macht klar, was man da vor sich hat: ein Standardwerk der jüngeren Kulturgeschichte ganz neuer Art!