Comic-Neuauflagen "The New 52":Superman trägt jetzt Knieschoner

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Der neue Superman ist vertraut und fremd zugleich: Der DC-Verlag, Heimat von Clark Kent, Batman und vielen anderen, hat seine Comic-Serien neu gestartet. Das verrät einiges über den prekären Status der Superhelden von heute.

Christoph Haas

Ein neuer Held ist in der Stadt. Er hat ein energisches Kinn, eine kecke, schwarze Tolle und muskelbepackte Oberarme. Er kann fliegen; manchmal macht er aber auch nur etwas komische, känguruartige Sprünge. Sein Outfit: schwere Bauarbeiterstiefel, Krempeljeans mit Knieschonern, ein kurzes, rotes Cape. Auf dem schmuddeligen blauen T-Shirt, das vom mächtigen Brustkorb fast gesprengt wird, prangt ein vertrautes Zeichen: ein großes S auf gelbem Grund.

Er ist Superman - und auch wieder nicht. Die Comic-Serie ist eines von mehreren neu gestarteten Projekten. Nicht nur das Kostüm des Helden ist gewöhnungsbedürftig. (Foto: DC Comics/Panini)

Ist das etwa Superman? Ist das Clark Kent, im bürgerlichen Leben ein unauffälliger Reporter, in Wahrheit aber ein Außerirdischer, dem die Strahlen unserer Sonne übermenschliche Kräfte verleihen? Ja, er ist es - und auch wieder nicht. Der Superman, dessen aktuelle Abenteuer in der Serie "Action Comics" erscheinen, ist eine zugleich vertraute und fremde Gestalt, und das nicht nur wegen seines dilettantischen Kostüms.

Die Gründe hierfür sind in einer einzigartigen Publikationsoffensive zu finden, die im vergangenen September begann. Unter dem Signum "The New 52" wurden alle Serien des DC Verlages, der Heimat von Superman, Batman und zahlreichen anderen Helden, neu gestartet. 52 Mal gab es eine neue Nummer 1 und damit verbunden gleich eine gründliche Revision des DC Universums.

Ein europäischer Leser mag sich da zunächst etwas gelangweilt fragen: Na und? Aber "The New 52" ist mehr als ein Achselzucken wert. Die Aktion verrät einiges über den prekären Status, den die Superhelden heute gerade in ihrem Mutterland besitzen. Um zu verstehen, wie es zu "The New 52" überhaupt kommen konnte, muss man weit zurückblenden.

Superman wurde 1938 erfunden, Batman ein Jahr später; ihr Erfolg rief viele ihnen verwandte Figuren hervor. Die Große Depression war gerade abgeklungen, dann kam der Zweite Weltkrieg - es war eine gute Zeit für Crimefighter mit sagenhaften Fähigkeiten. In den Abenteuern, die sie in den frühen Vierzigern erlebten, halfen die Superhelden gerne den alliierten Truppen aus und vermöbelten auch mal den "Führer"; danach wurde es etwas still um sie.

Wenn Superhelden aussortiert werden

Auf das "Golden Age" folgte ab Ende der Fünfziger aber das "Silver Age". Schon damals versuchte DC im Kern nichts anderes als heute: Die Helden, ihre Identität und die Zusammenhänge, in denen sie agieren - die berühmt-berüchtigte Continuity -, wurden überarbeitet, um sie einem veränderten Zeitgeist anzupassen. Zugleich wucherte das DC-Universum erheblich, dehnte sich durch immer neue Figuren und durch den Zwang, unendliche Variationen des Ähnlichen erzählen zu müssen, zu einem "Multiverse" aus, in dem mehrere Parallelerden existierten.

Anfang der Achtziger war die Unübersichtlichkeit so groß geworden, dass der Verlag sich erneut zu einem Eingriff gezwungen sah. Die zwölfteilige Serie "Crisis on Infinite Earths" (1985-1986) beschwor eine kosmische Katastrophe, die einigen Helden das Leben kostete und an deren Ende nur eine Erde zurückblieb.

Superman mit runder Brille und Schlabberpullover

"The New 52" ist nun also schon der dritte Versuch eines Updates. Schaut man sich die "52"-Storys an, die der Panini Verlag seit Mitte Juni auf Deutsch herausgebracht hat, so lassen sich in ihnen allerdings verschiedene Strategien unterscheiden. Der Held, der uns in "Action Comics" begegnet, steht tatsächlich ganz am Anfang; die Abenteuer spielen sozusagen im "Jahr null" seiner Karriere. Auf offizielle Unterstützung kann dieser Superman nicht hoffen; im Gegenteil, er wird von der Polizei gejagt - darin gleicht er ein wenig Spider-Man.

Und so super ist er noch gar nicht: Er ist gerade erst dabei, seine Fähigkeiten zu erproben. In seiner Alltagsidentität, mit runder Brille und Schlabberpullover, erinnert er physiognomisch an einen sehr bekannten britischen Zauberlehrling. Das sind kleine Verschiebungen, gewiss, aber sie lassen den sehr matten Glanz dieser Figur wieder etwas heller strahlen.

Bei anderen Serien hat der Verlag sich dagegen auf das bereits in seinem Vertigo-Imprint erprobte Erfolgsrezept besonnen, weniger populäre, exzentrische Figuren neu zu erfinden. So gibt es in "Aquaman" nicht nur schön schauerliche, wie von H. P. Lovecraft ersonnene Unterwassermonster, sondern Geoff Johns, der Autor, thematisiert auch in sehr offener, ironischer Weise den Underdog-Status seines Helden, der zunächst von niemandem ernst genommen wird. Wer seriösen Horror schätzt, ist bei "Animal Man" sehr gut aufgehoben. Die Serie um einen Tierschutzaktivisten, der sich die diversen Kräfte seiner Schützlinge zu eigen machen kann, überzeugt auch durch ihren human touch und die für einen Superhelden-Comic eigenwillige, psychedelisch-karikaturistische visuelle Gestaltung.

Anderswo hat sich wiederum so gut wie nichts geändert. Dies gilt vor allem für Batman und die mit ihm verbundenen Titel "Batgirl" und "Catwoman". Sie sind eine große Enttäuschung. Dass Barbara Gordon, die Tochter des wackeren Polizeichefs von Gotham City, nicht länger gelähmt ist, sondern wieder als Batgirl agiert - nun gut; die Storys sind leider mäßig. Dass die Meisterdiebin Catwoman und Batman heftigen Sex auf dem Fußboden haben - nun ja. Geknistert hat es zwischen den beiden schon immer, und das war eigentlich ein gutes Stück aufregender anzugucken. Und der "Dark Knight" selbst schlägt sich wie gehabt mit dem Joker und anderen Serienkillern herum: Erstaunlich daran ist nur, wie viel von den Gewaltexzessen der torture porn movies inzwischen in die Mainstream Comics diffundiert ist.

Zieht man eine vorläufige Summe der Revisionen, die "The New 52" eingeleitet hat, muss man feststellen: Sie sind nicht nur, was zu erwarten war, unterschiedlich gut gelungen, sondern insgesamt ziemlich halbherzig. Dazu passt, dass DC die Uhren keineswegs ganz zurückgedreht hat. Im "neuen" Universum gibt es nämlich schon seit fünf Jahren Superhelden; das lässt Spielraum, um aus der alten Continuity einiges herüberzuretten. Musste das so sein? Hätte es jetzt nicht die Chance gegeben, mit einem Schwung allen Ballast über Bord zu werfen? Dann wäre es möglich gewesen, die Superhelden endlich als das zu begreifen, was sie im Grunde schon immer waren: proteisch wandelbare Mythen, mit denen sich, muss man keine Rücksicht auf pseudologische Verknüpfungen mehr nehmen, wunderbar spielen lässt.

Doch solche träumerischen Überlegungen stehen in keinem Bezug zur Wirklichkeit des amerikanischen Verlagswesens, das auch im Comic-Bereich vor allem eins ist: ein hartes Geschäft. Zwar haben sich einige der attraktivsten Titel, die DC in den letzten gut 25 Jahren publiziert hat, außerhalb der Continuity bewegt: von "Batman: Die Rückkehr des Dunklen Ritters" (1986) über "Watchmen" (1986-1987) bis zu "Superman: Für alle Zeiten" (1998). Geht es aber darum, nicht kühn am Rande des Mainstreams, sondern solide in dessen Mitte zu navigieren, gelten andere Regeln. "The New 52" ist der etwas verzweifelte Versuch von DC, den massiven Leserverlust, den der Verlag seit einiger Zeit erleidet, zu stoppen und nach Möglichkeit umzukehren. Das heißt aber auch: Die wenigen monatlichen Serien, die noch gut liefen, wurden kaum angetastet - daher gibt es von Batman so wenig Neues zu berichten.

Kommerziell erfolgreich

Zugleich sollte der Relaunch nicht nur neue oder verloren gegangene Leser akquirieren, sondern die verbliebenen, oft lang gedienten nicht verschrecken. Zugänglicher zu werden, ohne die verwickelte, fast 75 Jahre zurückreichende Continuity völlig außer Kraft zu setzen - das ist eine Quadratur des Kreises. Aber die eingeschworenen Fans wollen es nicht anders. Zu ihnen zählt sich auch Thorsten Kleinheinz, der als Product Manager bei Panini "The New 52" betreut: "Wenn mir gesagt würde, dass alles, was ich in zehn oder 20 Jahren gelesen habe, nicht mehr zählt, dann würde ich das Interesse verlieren. Für uns Stammleser ist gerade die Frage interessant, was aus der alten Continuity bewahrt wird, und auf welche Weise. Außerdem gibt es praktische Gründe, die gegen einen radikalen Neuanfang sprechen. Dann müsste man nämlich 52 Mal eine Origin Story lesen, in der die Herkunft des Helden erklärt wird - und das wäre langweilig."

In kommerzieller Hinsicht hat der Relaunch sich für DC bislang ausgezahlt. Von den Auflagen um die 100.000, die früher bei Comic-Serien üblich waren, war der Verlag zuletzt weit entfernt. Dank "The New 52" ist es nun wieder gelungen, in diese Bereiche vorzustoßen. Vom ersten Heft der "Justice League" wurden in mehreren Auflagen sogar 450.000 Stück abgesetzt. Bei Panini plant man naturgemäß mit deutlich niedrigeren Zahlen. Immerhin 29 Serien will man herausbringen, die kommerziell viel versprechenderen als Hefte, die anderen als Trade Paperbacks, in denen mehrere Hefte zusammengefasst sind. Die Auflage der Heftserien liegt bei 50.000; allerdings geht Kleinheinz davon aus, dass sie sich bei 20.000 einregulieren wird. Das Minimum, mit dem sich noch kalkulieren lässt, liegt bei einer nur halb so hohen Vertriebsauflage. Vor "The New 52" gab es bei Panini gerade eine Heftserie. Ob es der Verlag in diesem Segment wieder erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten.

Im Kino können die Helden punkten

Ebenso unsicher ist, ob der buzz, ob die große Aufregung und Aufmerksamkeit, die DC in den USA erzielen konnte, dauerhaft sein wird. Es stellt sich womöglich die Frage, ob die Zeit, als das Interesse an Superhelden ein massenhaftes Phänomen war, sich nicht ihrem Ende zuneigt. Dass Hollywood seit mehreren Jahren mit DC- und Marvel-Verfilmungen Kasse macht, spricht nicht dagegen. Im Kino können die Superhelden dank Special Effects-Gewittern punkten. Ihre Abenteuer aber Monat für Monat in kleinformatigen Heften zu verfolgen, setzt eine ganz andere affektive Bindung voraus. Vielleicht werden ja Superhelden irgendwann nur noch von engagierten Kleinverlagen publiziert, so wie es heute in den USA bei Indie-Comics der Fall ist. Sollte es aber in ein paar Jahrzehnten noch erfolgreiche DC-Helden geben, ist eines gewiss: Der letzte Relaunch war "The New 52" sicher nicht.

© SZ vom 11.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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