Süddeutsche Zeitung

Comic:Hexen hexen

Von Martina Knoben

In den Büchern von Roald Dahl kann jederzeit das Allerschlimmste passieren. Dass die Eltern von einem Rhinozeros gefressen werden zum Beispiel wie in "James und der Riesenpfirsich" oder dass ein Junge in eine Maus verwandelt wird, wie es in "Hexen hexen" geschieht. Dahl hat das Buch 1983 geschrieben, Nicolas Roeg verfilmte es mit Anjelica Huston als Oberhexe. Der 1982 geborenen französischen Zeichnerin Pénélope Bagieu ist nun eine herrliche Comicfassung (bei Reprodukt) gelungen: komisch und gruselig, nah an der Vorlage, dabei mit eigenem, eigenwilligen Strich.

Als die Geschichte beginnt, ist das Schlimmste schon geschehen. Der im Comic namenlose Junge hat seine Eltern bei einem Unfall verloren, jetzt kümmert sich seine Oma um ihn. Mit ihren lila Haaren, der dicken Brille, immer wieder eine Zigarre paffend, ist die exzentrische Oma der Star des Comics. Seit "Unerschrocken", zwei Bänden über berühmte Frauen, gilt Bagieu als feministische Comiczeichnerin. Auch die furchterregende Hexenorganisation, von der Dahl erzählt, dürfte ihr gefallen haben. Schließlich ist es kein Satan, der hier die Frauen verführt, sondern eine mächtige, böse Oberhexe, die einen straff organisierten Frauengeheimbund leitet. Hexen, erfährt der Junge von seiner Oma, sehen wie normale Frauen aus, aber sie hassen Kinder und wollen sie töten. Erkennen kann man sie an ihren Krallenhänden, Kahlköpfen und Stummelfüßen. Das sieht bei Bagieu so komisch-schaurig aus, als hätte Dahl die Hexeneigenarten eigens für sie zum Illustrieren erfunden. Als der Junge zufällig in eine Sitzung der "Königlichen Gesellschaft zur Verhinderung von Kindesmisshandlung" gerät, kapiert er schnell, dass es sich dabei um eine Hexentarnorganisation handelt, die plant, alle Kinder Englands zu töten. Dabei wird er entdeckt und in eine Maus verwandelt - eine Katastrophe, aber nur aus Erwachsenensicht. Auch als Maus ist der Junge er selbst geblieben und kämpft zusammen mit der Oma und einem ebenfalls verwandelten, selbstbewussten Mädchen gegen die Hexen. Ein Psychologe würde vielleicht von Resilienz sprechen. Hier ist die Story so actionreich, spannend und lustig, dass sich der Kampf und der Wille weiterzuleben von selbst verstehen. Außerdem hat man selten eine so hübsche blauäugige Maus gesehen wie das verzauberte Mädchen.

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Quelle:
SZ vom 23.05.2020
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